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Geldscheine und Münzen auf einem Antrag zur Mindestsicherung

APA/BARBARA GINDL

Kritik an der „Mindestsicherung neu“

Die Diskussion rund um die geplante Reform der Mindestsicherung reißt nicht ab. Kritik kommt nicht nur von NGOs, sondern auch von Soziologen, die etwa darlegen, dass von der „Mindestsicherung neu“ niemand ernsthaft gut überleben könne.

Von Christoph Weiss

Die bedarfsorientierte Mindestsicherung ist eine Reform der ehemaligen Sozialhilfe aus dem Jahr 2010. Derzeit setzt sie sich aus zwei Beträgen zusammen: einem zur Deckung des Lebensunterhalts und einem zur Deckung des Wohnbedarfs. Beide werden jedes Jahr neu berechnet. Dabei gelten Mindeststandards. Derzeit können Alleinstehende 863 Euro pro Monat erhalten, Paare (pro Person) 647 Euro, Kinder (pro Kind) 233 Euro. Damit sollen all jene Menschen unterstützt werden, die für ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft nicht mehr aufkommen können.

Ein Anspruch kommt allerdings erst in Frage, wenn keine ausreichende finanzielle Absicherung durch andere Mittel oder Vermögen möglich ist – wer also eine Eigentumswohnung besitzt, erhält keine Mindestsicherung, ein Auto darf man nur behalten, wenn man es berufs- oder behinderungsbedingt braucht.

Die Mindestsicherung steht neben Österreicherinnen und Österreichern auch EU-Bürgern (mit Ausnahmen bei den neuen Mitgliedsstaaten), EWR-Bürgern, die in Österreich arbeiten, und Drittstaatsangehörigen, wenn sie mehr als 5 Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet haben, zu.

„Sozialhilfe“ mit Höchstwert statt „Mindestsicherung“

Den Plänen der Regierung zufolge soll die Mindestsicherung in Zukunft wieder - so wie vor 2010 - “Sozialhilfe” heißen. Pro Monat gibt es auch in Zukunft maximal 863 Euro für Einzelpersonen. 300 Euro davon sind allerdings an Kriterien wie einen österreichischen Pflichtschulabschluss, Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 oder Englischkenntnisse auf dem Niveau C1 gebunden. Wer diese nicht vorweisen kann, kann nur 563 Euro erhalten.

Die 863 Euro sollen dann ein Höchstwert als Vorgabe für die Länder sein, die innerhalb dieses Rahmens auch niedrigere Summen vorsehen können, zum Beispiel, wenn die Wohnkosten in der Region besonders niedrig sind. Auch inwieweit die Vergütung über Sachleistungen erfolgt, können die Länder mitbestimmen.

NGOs kritisieren, dass der Gesetzesentwurf nur noch Höchstsätze kennt, die nicht überschritten werden dürfen, aber keine Mindeststandards - diese sind im Gesetzesentwurf nämlich komplett verschwunden. SOS Mitmensch befürchtet einen “Kürzungswettbewerb zwischen den Bundesländern”.

Der mögliche Zugriff des Staates auf Privatvermögen bleibt erhalten, lediglich beim Zugriff aufs Eigenheim gibt es eine längere Schonfrist als früher. Für kinderreiche Familien bleibt aufgrund einer neuen Staffelung unterm Strich weniger übrig. Verliert ein Familienvater mit drei Kindern seinen Job und erhält Arbeitslosenunterstützung, die zu niedrig ist, kann sie mittels Mindestsicherung „aufgestockt“ werden – vorausgesetzt, die Familie hat kein Sparbuch, keine Eigentumswohnung und keine Lebensversicherung. Unterm Strich beträgt die Mindestsicherung für kinderreiche Familien weniger als vorher - SOS Mitmensch sagt, das schade den Geringverdienern und erhöhe das Armutsrisiko.

Studie: Mindestsicherungsbeziehern mangelt es jetzt schon am Vielem

Wie es den Beziehern und Bezieherinnen der Mindestsicherung in Österreich eigentlich derzeit geht, hat eine Gruppe von Soziologen in der Studie „Die subjektive Erfahrung des Bezugs derbedarfsorientierten Mindestsicherung in Niederösterreich“ untersucht.

Viele Menschen, die derzeit Mindestsicherung beziehen, haben es schwer, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen - oft aus ganz einfachen Gründen wie z.B. ihrem Alter. Die inoffizielle Altersgrenze am Arbeitsmarkt sei teilweise sehr niedrig angesetzt, sagt der Sozialwissenschaftler Bernhard Kittel beim Mediengespräch unter dem Titel „Solidarität in einem reichen Land – Was kann sich Österreich leisten?“: „Es gibt Wirtschaftssektoren, zum Beispiel den Verkauf von modischen Kleidern, wo bei 30 Schluss ist, wo es schwierig ist, wenn man einmal über 30 Jahre alt ist, in diesem Bereich noch einen Job zu finden. In anderen Sektoren liegt die Grenze etwas höher, aber es ist nicht so, dass die Schwierigkeit einen Job zu finden nur für Personen über 50 relevant ist.“

In seiner Studie stellt Kittel fest: Bezieherinnen und Bezieher der Mindestsicherung sind schon jetzt – vor der geplanten Reform und Kürzung – ständig mit Mangel konfrontiert: „Wenn die Schule einen Ausflug macht, fehlt das Geld dafür und man muss beim Elternverein betteln gehen. Man ist kontinuierlich auf der Suche nach herabgepreisten Produkten, abgelaufenen Produkten, die gerade noch verkauft werden, gebrauchten Kleidern. Die Suche nach dem Bedarf des allgemeinen Lebensunterhalts ist mit einem enormen Aufwand verbunden.“

Die Beiträge von Bernhard Kittel und SOS Mitmensch zum Leben in der Mindestsicherung und deren geplanten Reform im Wortlaut.

Der Universitätsprofessor und Soziologe Emmerich Talós von der Uni Wien findet, dass mit der geplanten „Mindestsicherung neu“ der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft unterminiert wird. „Es werden Gruppen gegeneinander ausgespielt: Die Einheimischen versus die Fremden. Die sogenannten Durchschummler versus die Fleißigen.“ Den Betrag von 563 Euro, den Zuwanderer pro Monat künftig erhalten können, hält er für viel zu niedrig: „Davon kann niemand ernsthaft gut überleben.“

Dieser Meinung ist auch Studienautor Bernhard Kittel. Er sieht die Gefahr, dass die bereits jetzt vorhandene Ausgrenzung jener Menschen, die auf Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe angewiesen sind, weiter steigt. Im Rahmen seiner Forschung stelle er immer wieder fest, dass die heutigen Bezieher der Mindesicherung starker Stigmatisierung ausgesetzt sind, und zwar in zweifacher Hinsicht: „Die Aussage ‚ich füttere dich durch‘ ist etwas, das Menschen in Mindestsicherung oft hören. Einerseits gibt es also die soziale Ausgrenzung, andererseits auch die insitutionelle Stigmatisierung: Das angeblich angenehme Leben in der sozialen Hängematte ist in Wirklichkeit ein unheimlich prekäres Leben an der Kante des Abgrunds.“

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