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Bandportrait Scarabeusdream

Kurt Prinz

Genre-sprengende Euphorie

Nach dem Schweigen kommt die expressive Euphorie. Mit „Crescendo“ liefert das österreichische Duo Scarabeusdream ein lautes, energiegeladenes, aber auch poppiges Album ab.

von Andreas Gstettner-Brugger

Vor zweieinhalb Jahren hat das Burgenländische Duo Scarabeusdream mit dem zweiten Album „Tacet Tacet Tacet“ sich eher auf die Stille beziehungsweise das Schweigen konzentriert. Zumindest inhaltlich. Die brachiale Spielfreude, die zwischen Punk, Hardcore, Rock und balladesken Popanleihen pendelt, ist dabei immer integraler Bestandteil. Und doch hat damals dieses Album mit Experimentierfreude und viel Mut zu leisen Tönen überrascht.

Jetzt präsentieren Scarabeusdream mit „Crescendo“ ihr bis dato bestes, abwechslungsreichstes, stimmigstes, schönstes und trotz der lauten, herausschreienden Passagen zugänglichstes Werk, das auch vor großen Popmomenten wie der Single „Valley“ nicht halt macht.

Die achtjährige Momentaufnahme

Scarabeusdream sind dafür bekannt, ihre Songs in ihren schweißtreibenden Live-Schows immer wieder neu zu erfinden und sich ganz dem Moment hinzugeben. Ähnlich ist es sicher auch bei ihren bisherigen Studioaufnahmen abgelaufen. Im Alleingang produziert, haben sich Hannes Moser und Bernd Supper ganz dem Augenblick hingegeben. Da scheint es schon verwunderlich, dass das neue Werk „Crescendo“ nicht nur von einem Produzenten begleitet worden ist, sondern, dass sich die Entwicklung der Songs über acht Jahre gezogen hat.

Albumcover "Crescendo" Scarabeusdream

Kurt Prinz

Das dritte Album „Crescendo“ von Scarabeusdream erscheint am 18. Jänner auf Noise Appeal Records.

Bernd: „Im Studio kann man natürlich auch viel Gas geben, schwitzen und herumschreien. Aber da fehlt dann halt auf der Aufnahme diese visuelle Komponente und auch frequenzmäßig ist vielleicht nicht alles drauf. Dafür ist es natürlich gut, dass jemand in seinem Überwachungskammerl sitzt und sagt, da fehlt noch was oder da ist es jetzt zu viel oder auch: Ihr seid’s zu selbstverliebt. Für uns als Freigeister war das schon schwierig, aber auf der anderen Seite sind wir auch große Masochisten und da ist das dann wieder sehr konsistent, wenn man so was macht.“

Aus diesem Prozess heraus hat sich so ein großartiges, zweiteiliges Stück wie „Euphoria Pt. I & II“ ergeben, das „Gehirn“ der Platte, wie Bernd meint. Denn das schöne, melancholische Klaviertheme taucht auf dem Album immer wieder mal auf. Die Euphorie bei Scarabeusdream wechselt von ruhiger Atmosphäre zu geschrienen Hardcore-Ausbrüchen, geht in einen stampfenden Mosh-Part über, um dann wieder in sich zusammenzufallen. Neben dem brachialen Schlagzeug und dem perkussiven und gleichzeitig harmonisch gut durchdachten Klavier, schmiegt sich auch immer wieder ein Synthesizer an die Soundwand, hin und wieder werden Filter über alles gelegt und die Nummer driftet in psychedelische Sphären ab.

Die Euphorie der Empörung

Thematisch dreht sich in „Euphoria“ alles um den Verlust des Ursprungs. Wie dem Verlust der Heimat, ein Thema, mit dem Hannes und Bernd sich auch schon in dem Stück „Leaving Home“ von „Tacet Tacet Tacet“ auseinandergesetzt haben. Schließlich haben Scarabeusdream auch eine starke politische Agenda, die auf ihre Aufwachsen im Burgenland zurückzuführen ist.

Bandfoto Scarabeusdream

Kurt Prinz

Hannes: „Wir haben Rassismus und Xenophobie auch schon als Jurgendliche miterlebt. Das hat es ohnehin sowieso schon immer gegeben, nur ist es damals versteckter abgelaufen und war nicht so offensichtlich.“

Bernd: „Als ich noch Unterstufler war, da war das Franz Fuchs Attentat in Oberwart, wo in einer Roma-Siedlung eine Rohrbombe detoniert ist, die vier junge Menschen getötet hat. Das war der unmittelbar politisch gröbste Einschnitt in meinem Leben, der dann auch kulturell dort etwas zu Tage gebracht hat, nämlich eine Art Widerstandskultur. Wir sind beide in dieser Generation aufgewachsen, wo man sich automatisch, wenn man etwas künstlerisch von sich gibt, zu empören hat. Das wäre sonst nicht fair, sich auf die Bühne zu stellen, wenn man nur unterhalten möchte.

So sind die sehr komplex arrangierten, teils wütenden, teils melancholischen Songs Ausdruck genau dieser künstlerisch-politischen Grundhaltung. Das knapp zehnminütige Soundmonster „But Me“ macht eindrucksvoll hörbar, dass das Aufbrechen klassischer Song-Strukturen viel Spannung erzeugen kann, ohne die Zugänglichkeit zu dem Klanguniversum zu verlieren. Hier kann Tempo, Intensität, Harmonie und Gesangsausdruck wechseln, ohne das der rote Faden verloren geht. Und das ist wirklich ein Kunststück.

Elvis und Pop

Das, was „Crescendo“ ausmacht, ist nicht nicht nur diese pure, brachiale und ansteckend explovise Energie, die Hannes und Bernd auch im Studio mit ihrem Produzenten sehr gut eingefangen haben, es sind auch die zarten, sanften Momente und die wirklich poppige Ausrichtung. Die erste Single „Valley“ besticht durch kurzes, knackiges Arrangement und eingängige Vocals, die engelsgleich über so mancher Synth-Fläche schweben, untermauert von einem reduziert lässigen Beat und schönen Breaks. Und das poppige Highlight der Platte, das drei-minütige Stück „Geee!“ hat die beiden Musiker selbst überrascht.

Scarabeusdream live in Österreich:

  • 18.1. PMK, Innsbruck
  • 19.1. Kammgarn, Hard
  • 25.1. Stadtwerkstatt, Linz
  • 31.1. Chelsea, Wien
  • 02.2. Freiraum, St. Pölten

Bernd: "Für uns stellt sich ja nicht die Frage, wollen wir jetzt laut oder wild sein und schreien, oder wollen wir total sanft sein. Es geht darum, was will der Song von uns, wo bringt uns die Musik oder die Idee hin? Bei „Geee!" haben wir uns selbst etwas geschreckt. Total! (lacht) Aber ganz ehrlich, nach dem ganzen harten Zeugs war’s dann für uns auch ein Moment, wo wir gesagt haben, jetzt haben wir einfach wirklich nur Spaß daran. Und es ist wirklich lustig zu spielen.“

Der berühresnste Moment von „Crescendo“ ist das letzte Stück der Platte. „Elvis“, eine Hommage an Bernds Vater, der ein großer Elvis-Fan war und eine riesige Plattensammlung besessen hat. Ihm wollte Bernd mit dieser gefühlvollen Ballade ein Denkmal setzten. Zart baut sich dieses Klavierstück auf, wird von einer warmen Orgelmelodie begleitet, die zerbrechlichen Vocals tragen ihren Teil zur sehnsüchtigen Stimmung bei, bis sich der Song mit einem genialen Vocal-Sample und herzzerreißenden Akkorden langsam gemeinsam mit dem Schlagzeug steigert - zu einer grandiosen Hymne, dessen erlösender Beat dann wider Erwarten eine Reduktion mit sich bringt.

„Crescendo“ von Scarabeusdram ist schlicht und einfach ein Meisterwerk. Da steckt so viel Energie, Mut, Wildheit, Erfahrung und Herz in diesem Album, dass es jetzt schon zu einem der besten Veröffentlichungen 2019 gezählt werden kann.

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