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Themenbild Gewalt gegen Frauen

dpa/Maurizio Gambarini

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„Gewalt an Frauen ist wie eine weltweite Epidemie“

Häusliche Gewalt ist kein Problem von sozialem Status oder Herkunft. Es ist das Problem einer immer noch patriarchalisch geprägten Gesellschaft, sagt Rosa Logar, die Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, im Interview.

Von Rainer Springenschmid

Der Jänner ist noch nicht vorbei, und bereits fünf Frauen wurden in Österreich von Männern aus ihrem persönlichen Umfeld getötet, erst diesen Montag eine 32-jährige Frau in Tulln. Die Regierung, die schon letztes Jahr wegen der Kürzung von Mitteln für Frauenorganisationen in der Kritik stand, hat jetzt mehr Geld für den Opferschutz versprochen und will unter anderem mit einer kürzeren Nummer für den Frauennotruf gegensteuern.

Die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie ist eine der vom Staat beauftragten Opferschutzeinrichtungen, die den Betroffenen unterstützend zur Seite stehen. Ich habe mit der Leiterin Rosa Logar gesprochen.

Rainer Springenschmid: Sie sind eine Opferschutzeinrichtung, die Frauen und Kinder, die von Gewalt in der Familie betroffen sind, unterstützt. Wie sieht diese Unterstützung aus?

Rosa Logar: Wir betreuen im Prinzip alle Opfer, die uns von der Polizei zugewiesen werden. Wir haben auch männliche Opfer, wenn zum Beispiel ein Großvater von seinem Enkel malträtiert wird, weil er Geld braucht oder ein Jugendlicher von seinem Vater misshandelt wird. 90% unserer Opfer sind aber Frauen und Kinder, was zeigt, dass Gewalt in der Familie ein geschlechtsspezifisches Problem ist.

Rosa Logar

Wiener Interventionsstelle

Rosa Logar

Dementsprechend braucht es auch spezifische Antworten, weil es eben auch aus dieser historisch gewachsenen Machtungleichheit entsteht. Frauen und Kinder waren ja Jahrhunderte lang „dem Manne untertan“ und hatten keine eigenen Rechte. Das haben wir erst langsam, in den 70er Jahren, abgebaut. Es ist also noch nicht so lange her, dass es die tatsächliche rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen gibt bei uns in Österreich. Und diese patriarchalen Strukturen wirken noch nach, das ist eine Hypothek, die wir immer noch mit herumschleppen.

Woran zeigt sich das?

Auch in Österreich haben wir noch sehr viel Gewalt an Frauen und Mädchen, auch hier haben wir immer noch Besitzdenken, Eifersucht, gekränkte Männerehre. „Wenn du mir nicht gehörst, dann sollst du auch niemand anderem gehören“ – das ist ein schreckliches Motiv zum Beispiel für schwere Gewalttaten oder Morde. Frauen werden ermordet, weil sie sich das Recht nehmen, den Mann zu verlassen oder das Recht nehmen, sich einen anderen Mann zu suchen, einen besseren vielleicht.

Daran sieht man, wie stark diese patriarchalen Strukturen auch bei uns noch sind. Das ist nicht durchgehend in der Gesellschaft, es kommt darauf an, wie sehr sich die Familien und die einzelnen Männer und Frauen mit diesen Geschlechterrollen auseinander gesetzt haben. Man kann sagen, je partnerschaftlicher ein Paar oder eine Familie agiert, desto weniger ist sie in Gefahr, Gewalt auszuüben.

Vor 20 Jahren hat sich Österreich als erstes Land in Europa ein Gewaltschutzgesetz gegeben, Stichwort Wegweisung oder Betretungsverbot. Welche Aufgaben haben die Interventionsstellen dabei?

Das Gesetz alleine ist ja nicht genug, um den Betroffenen zu helfen, deswegen haben wir in Österreich – und das ist international zum Modell geworden – die Gewaltschutz- oder Interventionsstellen eingerichtet. Wir sind die größte davon.

Hier finden Frauen Hilfe, die Opfer häuslicher Gewalt werden:

Christine Bodendorfer von der Mädchenberatung ist am 22.1.2019 von 18-19:00 zu Gast in FM4 Connected und steht auch im Anschluss am Telefon zur Verfügung: 0800 226996

Wir bekommen von der Polizei alle Meldungen von Wegweisungen und Stalking bei Gewalt an Frauen und Gewalt in den Familien. Die bekommen wir sehr rasch, zwei bis drei Stunden nach den Einsätzen, da sind wir auch sehr froh über die gute Zusammenarbeit mit der Polizei.

Wir nehmen dann Kontakt auf mit den Betroffenen, wir sagen nicht „such dir Hilfe“, sondern bieten Hilfe an. Wir versuchen, Vertrauen aufzubauen, die Beraterinnen setzen viel Knowhow und Mitgefühl ein, um zu verstehen, was das Opfer braucht.

Was ist das Dringlichste in einer solchen Situation?

Frauen und Kinder können sehr gefährdet sein, vor allem in Trennungssituationen, darum geht es für uns erst einmal um die Frage: ist die Frau, sind die Kinder sicher? Reicht das Betretungsverbot aus? Bei schweren Gewaltsituationen, wenn Täter wiederholt gewalttätig sind und auch drohen, reicht ein Betretungsverbot oft nicht aus. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn unsere Erfahrung zeigt, dass es immer wieder schwere Eskalationen, Morde und Mordversuche gegeben hat, weil nicht beachtet wurde, dass dieses Instrument des Betretungsverbotes nicht überall wirkt.

Was geschieht, wenn Sie zu der Einschätzung kommen, dass das Betretungsverbot nicht ausreicht?

Wir besprechen das mit der Betroffenen, berichten von den Frauenhäusern und stellen auch den Kontakt her, wenn die Person das will. Wir arbeiten auch eng mit der Frauenhelpline zusammen, die es ja auch schon seit 20 Jahren gibt und die rund um die Uhr erreichbar ist.

Wie können Sie die Betroffenen noch unterstützen?

Was wir tun ist immer davon abhängig, was die Betroffenen wollen. Es würde überhaupt keinen Sinn machen, die Betroffenen zu entmündigen – im Gegenteil, man muss sie stärken. Was das Opfer braucht ist bei jeder Person anders. Zum Beispiel respektieren wir, ob ein Opfer nach einer Wegweisung eine längerfristige einstweilige Verfügung möchte oder nicht. Wenn sie das wünscht, helfen wir ihr bei der Antragstellung, wir
begleiten sie dann auch zur Polizei, zu Gericht, zu Ämtern und Behörden. Wir stehen an ihrer Seite, wir sind auch zur Vertraulichkeit verpflichtet.

Es gibt auch andere Instrumente, zum Beispiel ein verpflichtendes Anti-Gewalt-Training für Täter. Das Gesetz ermöglicht es zum Beispiel Familiengerichten, jemanden zu einem Anti-Gewalt-Training zu verpflichten, wenn er Kontakt zu den Kindern oder Obsorgerechte behalten will. Das ist eine wunderbare Möglichkeit, die bis jetzt leider noch zu wenig genutzt wird.

Im Zuge der aktuellen Debatte ist vor allem von politischer Seite der Eindruck erweckt worden, dass das Problem mit Gewalt in der Familie vor allem Menschen mit Migrationshintergrund betrifft. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Aus unserer eigenen Arbeit, aber auch weil wir international vernetzt sind, wissen wir, dass es in jedem Land der Welt Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt gibt. Deswegen ist das auch bei den Vereinten Nationen ein Thema und es gibt auch eine Konvention des Europarates gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt, an der wir auch mit gearbeitet haben und an deren Umsetzung mitwirken. Die Weltgesundheitsorganisation vergleicht Gewalt an Frauen mit einer Epidemie, die weltweit vorkommt. Man kann also nicht sagen, dass es nur in bestimmten Kulturen vorkommt. Letztendlich sind es patriarchale Strukturen.

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir uns vergegenwärtigen, dass die Entwicklungen auf der Welt nicht gleichzeitig erfolgen. Wir müssen uns immer vergegenwärtigen, dass die Menschen, die zu uns kommen, die zum Beispiel zu uns flüchten, vielleicht aus ganz anderen Situationen kommen. Es wäre wichtig, nicht zu sagen „die bringen das Problem herein“ – nein das Problem ist schon vorher da gewesen. Sie bringen vielleicht Facetten herein, die uns fremd sind.
Wir Menschen neigen ja dazu, selbst bei Gewalt zu unterscheiden zwischen der uns bekannten, die uns gar nicht auffällt, und der fremden, die uns sehr wohl auffällt. Ehrenmord finden wir wirklich entsetzlich, aber Eifersuchtsmord ist uns vertraut.

Die Menschen, die zu uns kommen sind ja auch nicht dumm. Die sehen ja, dass es bei uns die sogenannte „gesunde Watschn“ auch noch gibt und verschiedene andere Gewaltformen, dass Journalistinnen und Politikerinnen sexuell belästigt werden. Und sie sehen das auch kritisch.

Wenn man sich die sozialen Schichten anschaut: haben Sie den Eindruck, dass in bürgerlichen Millieus weniger Gewalt in den Familien herrscht als zum Beispiel in Arbeitermillieus, oder zieht sich das auch durch die ganze Gesellschaft?

So wie sich häusliche Gewalt durch alle Länder zieht, so zieht sie sich in diesen Ländern durch alle Gesellschaften, allerdings hat es unterschiedliche Ausformungen. Je höher die Schicht, desto mehr wird es verborgen, desto mehr werden auch Gewaltformen angewendet, die keine äußerlichen Spuren hinterlassen, weil man ja auch um das Ansehen fürchtet. Aber man kann auch mit psychischem Druck, mit Drohungen und mit Geld Frauen und Kinder gefügig machen, und das passiert leider auch.

Es kann zum Beispiel sein, dass eine Frau nach außen hin wunderbar angezogen ist, aber zum Beispiel kein Geld in der Tasche hat, weil der Mann über das ganze Geld verfügt und das sieht man nicht, oder dass Frauen im Kalten sitzen, weil der Mann nicht möchte, dass geheizt wird oder das als Druckmittel verwendet, oder als Gewaltform. Also man muss da hinter die Kulissen schauen, damit man nicht übersieht, dass Menschen auch dort, wo wir es nicht vermuten, genauso unfrei und vollkommen beherrscht leben wie die, wo wir es eher kennen oder wo wir es mit bekommen, wo wir vielleicht die Polizei rufen, weil jemand um Hilfe schreit. Es ist für die Betroffenen oft nicht einmal möglich, um Hilfe zu rufen.

Wie viel und wie lange können Sie sich um eine Frau kümmern, die Opfer von Gewalttaten ist?

Es ist gut, dass es in allen Bundesländern Gewaltschutz- und Interventionsstellen gibt, aber wir haben in Wien zum Beispiel pro Opfer im Jahr durchschnittlich nur fünf Stunden zur Verfügung. Wir können also nicht viel mehr als eine Feuerwehrfunktion ausüben, das ist etwas, was wir sehr bedauern, weil wir wissen, dass die Betroffenen oft mittel- und längerfristige Hilfe brauchen. Die Opfer haben oft das Erlebnis „wenn akut was ist, dann kommen viele Einrichtungen, aber nach drei oder vier Wochen ist niemand mehr da und ich bin wieder alleine“.

In der Debatte der letzten Wochen ist vor allem auch das Defizit an Täterarbeit in den Fokus geraten. Wie stehen Sie dazu?

Dass die Täterarbeit jetzt als Allheilmittel hingestellt wird, kann ich nicht ganz nachvollziehen.

Wir führen in Wien seit 20 Jahren gemeinsam mit der Männerberatung Anti-Gewalt-Trainings durch. Ich halte es für wichtig, vor allem dort, wo es eine Verpflichtung zur Täterarbeit gibt. Unsere Erfahrung ist, dass obwohl alle Täter die Information bekommen, dass es Täterarbeit gibt, nur ein kleiner Teil der Gefährder bereit ist, das freiwillig zu machen. Von den ungefähr 4000 Zuweisungen, die wir jährlich bekommen, sind das ungefähr 150 Täter, und von denen bleiben dann die meisten nach ein oder zwei Besprechungen weg, weil sie die Motivation nicht haben. Die, die dann tatsächlich freiwillig das Anti-Gewalt-Training besuchen, das sind vielleicht dreißig Personen im Jahr.

Deswegen sind wir der Meinung, dass Täter verpflichtet werden müssen, und zwar nicht im Rahmen der Wegweisung, das wäre auch aus Sicherheitsgründen für die Opfer viel zu früh, sondern im Rahmen von strafrechtlichen Verfahren. Hier sollten die Möglichkeiten von der Justiz viel mehr ausgeschöpft werden.

Es darf auf keinen Fall sein, dass Täterarbeit aus den Budgets für Frauenförderung bezahlt wird. Es ist ohnehin schon fragwürdig, warum Gewaltschutz aus dem Budget von Gleichstellung bezahlt wird und nicht aus den Sicherheits- oder Justizbudgets. Frauenorganisationen fordern zu Recht, dass das Budget für das Frauenministerium, das sehr klein ist, aufgestockt oder sogar vervielfacht werden soll. Wenn aus diesem Budget dann Täterarbeit bezahlt werden soll, dann wäre das wirklich ein ganz schlechtes Signal.

Auf Laut – Gewalt von Männern an Frauen in Österreich: Wie kann es verhindert werden?

Seit Jahresbeginn haben in Österreich fünf Männer fünf Frauen ermordet, in den letzten vier Jahren nehmen Frauenmorde in Österreich wieder zu. Die meisten dieser Verbrechen geschehen im nahen Umfeld – Trennungen sind ein häufiger Grund. Die Regierung hat bei Aktivitäten zum Schutz vor Gewalt gekürzt und will nun wieder aufstocken. Sie reagiert auf die aktuellen Morde mit einer Verschärfung des Straf- und Asylrechtes, einer einfacheren Wegweisung oder der Ankündigung von verpflichtendem Unterricht zu gewaltfreier Beziehung. Staatssekretärin Karoline Edtstadler bringt die Gewalt an Frauen mit Migranten in Verbindung und spricht von Nachahmungstätern. ExpertInnen aus dem Gewaltschutzbereich widersprechen dem und orten Gewalt quer durch alle Schichten unabhängig von der Herkunft.

Was steckt hinter dieser Gewalt von Männern? Welche problematischen Formen von Männlichkeit gibt es nach wie vor in der Gesellschaft? Was können wir dagegen tun?
In FM4 Auf Laut diskutiert Claus Pirschner am 22.1.2019 ab 21:00 mit AnruferInnen und ExpertInnen, die Soziologin Laura Wiesböck
und Hubert Steger von der Männerberatung,
darüber, wie diese Gewalt verhindert werden kann.

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