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Luftballon mit einem Aufdruck, auf dem ein Pfarrer zwei Kindern nachläuft von der Veranstaltung "Langen Nacht des Missbrauchs" der Initiative Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien aus 2011,

APA/HERBERT PFARRHOFER

Soll die Verjährung bei Missbrauchsfällen abgeschafft werden?

Missbrauch war in der katholischen Kirche lange Zeit ein Tabuthema. Seit einigen Jahren tauchen immer mehr Fälle auf, die jedoch bereits verjährt sind und dadurch nicht juristisch behandelt werden können. Ein Rechtsanwalt behauptet nun, dass es eine Möglichkeit gibt die Fälle trotzdem zu verhandeln.

Von David Riegler

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche bekannt, die teilweise schon Jahre zurückliegen. Unter anderem, weil sexueller Missbrauch lange Zeit ein Tabuthema gewesen ist, über das in der Öffentlichkeit nicht gesprochen wurde. Außerdem berichten viele Opfer, dass Missbrauch starke Auswirkungen auf die eigene Psyche haben kann und man Zeit braucht, um das Erlebte einzuordnen und zu verarbeiten, bevor man es offen bespricht.

Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche wird in Österreich erst seit Mitte der 1990er Jahre öffentlich diskutiert, als ehemalige Schüler des Knabenseminars Hollabrunn Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen Kardinal Hans Groër erhoben haben. 2010 wurde von Kardinal Schönborn die sogenannte „Klasnic-Kommission“ beauftragt, die unter der Leitung der ehemaligen steirischen Landehauptfrau Waltraud Klasnic zur Aufklärung der zahlreichen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche beitragen sollte. Erst nachdem das Tabuthema „Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche“ in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde, haben viele Opfer den Mut gefasst, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Nach drei Jahren kann nicht mehr geklagt werden

Doch meistens haben es diese Taten nicht vor Gericht geschafft. Oft wegen der Verjährungsfrist, die festlegt, wie lange nach dem Tag der Tat ein Verbrechen vor Gericht verhandelt werden kann. Im Zivilrecht beträgt die Verjährung bei Missbrauch drei Jahre.

Häufig wird fälschlicherweise angenommen, dass die Verjährung automatisch in Kraft tritt und vom Gericht selbst eingebracht wird. Das ist nur im Strafrecht der Fall, doch im Zivilrecht muss sich der Beklagte auf die Verjährung berufen, damit sie wirksam wird. Das heißt, wenn die beklagten Täter die Verjährung nicht einbringen würden, könnte man die Missbrauchsfälle auch nach der zivilrechtlichen Verjährungsfrist von drei Jahren noch verhandeln.

Kirche sollte auf Verjährung verzichten

Der Rechtsanwalt Roman Schiessler, der die Opferschutz-Plattform betroffen.at vertritt, fordert, dass die beklagten Priester, Nonnen, Bischöfe etc. bei Missbrauch in der katholischen Kirche freiwillig auf dieses Recht verzichten: „Der Beklagte könnte natürlich darauf verzichten und den Einwand gar nicht erst erheben, was moralisch jedenfalls angebracht wäre, zumal die Straftaten zuvor erfolgreich vertuscht wurden“.

Paul Wuthe leitet das Medienreferat der Österreichischen Bischofskonferenz. Er verweist auf die individuelle Verantwortung der Beklagten: „Es bleibt jedem Beklagten unbenommen zu sagen: Ich verzichte auf dieses Recht der Verjährung. Was aber nicht geht ist, dass die Kirche oder die Bischofskonferenz von jedem Beklagten verlangt, dass er auf dieses Recht verzichtet. Das ist ein höchstpersönliches Recht eines Beklagten, der selbst entscheiden kann, ob er die Verjährung einwendet oder nicht.“

Ist die Klasnic-Kommission ausreichend?

Dass es eine Verantwortung der katholischen Kirche als Institution gibt, bestreitet Paul Wuthe nicht. Deshalb hätte Kardinal Schönborn auch die sogenannte „Klasnic-Kommission" eingerichtet, die sich Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche außerhalb des Zivilgerichts ansieht. Laut eigenen Angaben wurden 1.974 gemeldete Missbrauchsfälle anerkannt, seit die Kommission 2010 gegründet wurde. Die anerkannten Opfer bekommen Hilfsleistungen in Form von finanzieller Unterstützung oder Therapiestunden aus den Mitteln der katholischen Kirche.

„Die Klasnic-Kommission hat 2010 sehr innovativ ein Modell entwickelt, wie man bei Gewalt und Missbrauch auch eine finanzielle Hilfeleistung bekommen kann. Sie haben sich dabei an dem orientiert, was üblicherweise für einen sogenannten immateriellen Schaden im Zivilrecht zugesprochen wird“, sagt Paul Wuthe.

Rechtsanwalt Roman Schiessler sieht das anders. Er sagt, dass die Beträge bei einem zivilrechtlichen Verfahren vor einem ordentlichen Gericht höher sein könnten: „Hier geht es um Beträge, die sich fundamental von den Beträgen unterscheiden, wie sie zum Beispiel bei der Klasnic-Kommission bezahlt werden.“

Gesetzliche Regelung statt Freiwilligkeit

Schiessler fordert eine Gesetzesänderung. Er spricht sich dafür aus, die Verjährung, zumindest bei Missbrauch von Minderjährigen, im Zivilrecht abzuschaffen.

Ein zentrales Argument von Roman Schiessler ist, dass Menschen, die Opfer von Missbrauch wurden, oft unter einer Erinnerungsstörung leiden würden. Die Verjährung gilt ab dem sogenannten „Zeitpunkt der Erinnerung“, also dem Zeitpunkt, in dem sich ein Opfer des Missbrauchs bewusst geworden ist. Doch es ist oft schwierig, diesen Zeitpunkt juristisch zu überprüfen. Würde die Verjährungsfrist abgeschafft werden, hätten die Opfer die Möglichkeit zu klagen, auch wenn sie sich erst Jahre später über den Missbrauch zu sprechen trauen und man müsste den Zeitpunkt der Erinnerung nicht mehr nachweisen.

Derzeit findet im Vatikan ein Missbrauchs-Gipfel statt, in dem die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zusammenkommen, um darüber zu sprechen, wie sexueller Missbrauch von Kindern in Zukunft verhindert werden könne. Die Opferschutzorganisationen weltweit fordern schnelle und wirksame Maßnahmen, um Missbrauch in der katholischen Kirche in Zukunft zu verhindern.

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