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Pitztal Wild Face 2019

Simon Schnegg / TVB Pitztal

Pitztal Wild Face: Das härteste Freeride-Rennen der Welt

„Sieg oder Kreuzband“: Wenn top durchtrainierte Frauen und Männer sich im Ziel vor Schmerzen und Erschöpfung im Schnee krümmen, dann bist du beim Pitztal Wild Face, einem Freeride-Rennen über sagenhafte 1.510 Höhenmeter.

Von Heinz Reich

„Gewinnen is zach. Da musst du schon das ganze Jahr jeden Tag trainieren,“ erklärt mir Raphael Eiter, der dieses spezielle Wettkampfformat gemeinsam mit seinem Cousin Philipp Eiter vor 10 Jahren entwickelt hat. Die Idee, in full speed vom 3.173 Meter hohen Mittagskogel ins Tal zu brettern ist den beiden Pitztalern ganz natürlich vorgekommen, weil es eben seit ihrer Jugend der Hausberg zum Tiefschnee fahren war. In der Freeride World Tour Qualifier Serie ist es aber der einzige Contest, bei dem die Rider nicht von einer Jury nach Kriterien wie Line, Air & Style, Flüssigkeit und Kontrolle bewertet werden, sondern wo nur die Geschwindigkeit zählt. Seit Jahren schon hör ich immer wieder von diesem legendären Rennen, also wollte ich es unbedingt mal aus der Teilnehmerperspektive erleben.

Can your legs stand it?

Das ist das Fragezeichen in den Gesichtern der 150 Frauen und Männer aus 20 Nationen, die sich letzten Samstag bei strahlendem Sonnenschein und 50 cm Neuschnee der Qualifikation stellen mußten. Die Challenge lautete: Die sehr steile Eisenturmrinne vom Skigebiet Rifflsee nach Mandarfen mit möglichst wenig Bremsschwüngen runterzurasen, um sich einen der begehrten Plätze für das Hauptrennen am Sonntag zu sichern. Nur die schnellsten 65 auf Ski oder Boards durften dann dem großen Finale des Pitztal Wild Face entgegenfiebern. Ich muss zugeben, ich bin diese Nacht in meinem Bett rotiert. Habe ich genug trainiert? Werde ich diese „Ironman-Distanz“ unter den Skirennen schaffen oder vor Erschöpfung zusammenbrechen? Wird es mich vor Entkräftung über eine Felswand runterhauen? Ist es wirklich eine gute Idee als „eingebetteter Journalist“ unter lauter Parade-Athlet*innen von einem Dreitausender ins Tal zu jagen?

Pitztal Wild Face

Radio Fm4

Schön. Gruselig.

Sonntagfrüh. Bluebird Day. Von meinem Hotelzimmer aus seh’ ich wunderbar auf den Mittagskogel, der sich wie ein Musterberg in Pyramidenform als südlicher Talabschluss des Pitztals auftürmt. Die Morgensonne färbt gerade die unteren Teile des Mittagskogels gelb. Der nordseitig gedrehte, felsige Gipfelbereich bleibt aber „gnarly“, wie die Freerider sagen. Um 9.00 fahren wir mit dem Gletscherexpress auf 2.800 Meter, dann noch ein kleiner Schlepplift und ab hier heißt es Ski oder Board an den Rucksack zurren und eine Dreiviertel Stunde lang hochstapfen zum Gipfelkreuz.

Der Aussicht über den im gleißenden Sonnenlicht funkelnden Gletscher und auf den höchsten Berg Tirols, die Wildspitze hat etwas angenehm Euphorisierendes. Die Stimmung unter den Ridern ist freundschaftlich und ausgelassen. Oben am Gipfel bläst dann aber ein harscher Wind und ich frage mich: Ist der Blick fast senkrecht runter wie aus dem Flugzeug auf das 1.510 Meter tiefer gelegene Zielgelände in Mandarfen nur für mich ein bissl gruselig?

Pitztal Wild Face 2019

Simon Schnegg / TVB Pitztal

„Sieg oder Kreuzband“: Überlebensstrategien

Während die Organisatoren das Startgate beim Gipfelkreuz mit Seilen verankern, mach ich noch schnell ein paar Interviews. Welche Strategie haben diese topfitten, sonnengegerbten Skibums? Christoph aus Garmisch blödelt: „Sieg oder Kreuzband!“.

Frida Lindgren aus Schweden hat doch auch ein bissl Schiss vor einem Sturz, weil der Neuschnee von der Wärme recht schwer ist. Der Snowboarder Goris Koen aus Belgien wirkt völlig unkaputtbar. Kein Wunder. Er tourt in seinem Wohnwagen den ganzen Winter durch Tirol und trainiert täglich. Im Sommer, so erzählt er, arbeitet er in Norwegen in Restaurants. Da verdient er € 3000,- im Monat und das reicht ihm dann, um den Winter über nichts als Snowboard zu fahren. Sein Ziel, eine Zeit um 7:45 zu schaffen wird er dann sogar um 20 sek. übertreffen!

No pain, no gain

Heinz Reich Pitztal Wild Face

Pitztal Wild Face

Der Autor dieser Zeilen, Heinz Reich, beim Rennen

Als ich dann als Vorläufer die noch relativ unverspurten Rinnen und Hänge runterfahre, bin ich hin- und hergerissen zwischen Schönheit und Schmerz. Sonne, Powder, großartige Aussicht! Wie nett wäre das alles mit ein paar Pausen. Aber nach einem Drittel schon sind meine Oberschenkel blau. Ich bin nur noch Passagier. Meine Beine können nicht mehr ausführen, was das Hirn befiehlt. Jahrelang eingeübte Bewegungsläufe scheitern an Saftlosigkeit. Am Ende dann noch der Waldweg und die ein km lange Schiebestrecke über die Loipe nach Mandarfen geben mir den Rest.

Meine Oberschenkel explodieren. Ich könnte weinen vor Schmerz. Aber das Grinsen funktioniert gut als Tarnung. Nach 11 Minuten und 3 Sekunden bin ich erlöst. Immerhin drei von den jungen Hunden sind langsamer als ich. Der große Triumphator Freddy - alle hier heißen mit Familiennamen Eiter - braucht für die Strecke 5:58 Minuten und wiederholt somit auf die Sekunde genau seinen Rekord von 2014. Ich halt’s mit Arnie, sage „I’ll be back“ und werde nächstes Jahr mit viel mehr Training die 10 Minuten Schallmauer durchbrechen...

Pitztal Wild Face 2019

Simon Schnegg / TVB Pitztal

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