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Die Japanerin Ai Mori klettert im Überhang beim Kletter-Weltcup in Innsbruck

Tobias Haller

Kann das Wettkampfklettern Essstörungen in den Griff bekommen?

Der Weltkletterverband IFSC hat sich im vergangenen Jahr viel Kritik anhören müssen, die Gesundheit seiner Athlet:innen nicht genügend zu schützen. Mit neuen Wettbewerbsregeln will der Verband nun sogar Vorreiter im Kampf gegen eine gesundheitsgefährdende Essstörung werden.

Von Simon Welebil

Wer selber klettert merkt recht schnell, dass jedes Kilo Gewicht am Körper es schwieriger macht, sich in die Höhe zu ziehen. Wer weniger wiegt, hat demnach einen Vorteil, aber das Hungern für Erfolg hat gerade im Wettkampfklettern gesundheitsgefährdende Ausmaße erreicht. Die slowenische Olympiasiegerin und Kletter-Superstar Janja Garnbret hat das vor einem Jahr recht plastisch auf den Punkt gebracht: „Do we want to raise the next generation of skeletons?“, hat sie bei einer Podiumsdiskussion gefragt.

Der Weltkletterverband IFSC hat sich recht lang um eine deutliche Antwort auf diese Frage herumgedrückt, so dass letzten Sommer die zwei führenden Ärzte seiner eigenen medizinischen Kommission aus Protest ihre Ämter zurückgelegt haben, der Vorarlberger Dr. Eugen Burtscher, gleichzeitig Präsident des österreichischen Kletterverbandes, und der deutsche Sportmediziner Volker Schöffel. Mit diesen Rücktritten hat die Diskussion um neue Regeln für die Gesundheit der Athlet:innen eine neue Dimension erreicht.

Die Folgen von RED-S können ein Leben lang bleiben

In der Debatte geht es vor allem um das Relative Energie Defizit Syndrom im Sport, kurz RED-S. RED-S entsteht, wenn dem Körper weniger Kalorien zugeführt werden, als er verbrennt, wodurch der Körper schließlich andere wichtige Funktionen zurückfährt, Hormonproduktion etwa oder Knochenbildung. RED-S kann zu Karies, Osteoporose, Ermüdungsfrakturen, Amenorrhoe, Nierenerkrankungen, Anämie, Anorexie und Depressionen führen. Viele Athlet:innen können ihr ganzes Leben lang unter den mentalen Folgen von RED-S leiden.

Neue Regeln im Kampf gegen RED-S

Letzte Woche hat die IFSC aber überraschenderweise reagiert und ein komplettes Paket vorgelegt, mit dem sie sogar eine Vorreiterrolle unter den Sportverbänden im Kampf gegen RED-S einnehmen will. Da RED-S oft von Athlet:innen selbst nicht erkannt wird, führt die IFSC jetzt ein mehrstufiges Verfahren ein, das durchlaufen werden muss, um überhaupt eine internationale Wettkampflizenz zu bekommen. Es beginnt mit detaillierten Fragebögen zu Gesundheit und Essverhalten und der Erhebung einiger Gesundheitsdaten. Für gefährdete Athlet:innen können weitere Tests angeordnet werden und in kritischen Fällen kann es zu Wettkampfsperren kommen, einer Konsequenz, der sich die IFSC bisher aus Angst vor Klagen durch Athlet:innen und Verbände immer verweigert hat.

Eugen Burtscher am Podium einer Pressekonferenz

APA/EXPA/ERICH SPIESS

Eugen Burtscher

Dass die IFSC jetzt in doch recht kurzer Zeit reagiert und ein umfangreiches Paket vorgelegt hat, findet Eugen Burtscher sehr gut und seinen Rücktritt damit bestätigt. Er hätte sich erst nach den Olympischen Spielen in Paris diesen Sommer eine Lösung erwartet. Zwar stimmt er nicht mit in allen Punkten mit den neuen Regelungen überein, er hätte etwa eine andere Vorselektion für Problemfälle getroffen, aber zumindest seine Hauptforderung sei jetzt in den Regelungen verankert, nämlich Wettkampfsperren für schwere Verdachtsfälle: „Wenn wirklich jemand gesundheitliche Konsequenzen hat, dann braucht es Zeit, bis man wieder regeneriert und Gewicht aufbaut. Zum Teil sind das Leute, die fast eine stationäre Behandlung brauchen. Wenn man diese mit der neuen Regelung erwischt, dann ist es super, dann wäre es perfekt.“

Athlet:innen wollen wieder Vorbilder sein

Von den Athlet:innen wird das neue, recht klare Regelwerk durchwegs positiv aufgenommen, bestätigt etwa Johanna Färber aus dem österreichischen Boulder-Nationalteam, auch weil sich die Athlet:innenkommission sehr dafür eingesetzt habe. Färber glaubt, dass es zu einigen Sperren im Weltcupzirkus kommen wird, und sieht einige persönliche Dramen. Die gehörten aber dazu, um die Gesundheit insgesamt zu schützen meint sie:

„Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es sich nicht auszahlt, für den Sport so ein hohes Gesundheitsrisiko einzugehen, das einfach ein ganzes Leben versauen kann,“ sagt Johanna Färber im FM4 Interview. Sie erwartet, dass durch die neuen Regeln vor allem die nächste Generation bessere Vorbilder bekommt. „Ich hoffe, dass vor allem die jüngeren Mädels und Burschen dann sehen, okay, ich kann einen gesunden Körper haben und muss nicht leiden dafür, dass ich ganz vorne dabei sein kann“.

Reichen die neuen Regeln aus?

Nachdem die IFSC jetzt mit den neuen Regelungen gegen RED-S vorgeprescht ist, will sie ein Vorbild für andere Sportverbände sein. Bedarf dafür gäbe es sicher auch in anderen gewichtssensitiven Sportarten wie dem Marathonlauf oder überall, wo es es Gewichtsklassen gibt, sagt Eugen Burtscher.

Ob damit aber die Skelette ganz aus dem Sport verschwinden werden? Für Eugen Burtscher wird sich das spätestens in einem Jahr zeigen. Falls der ganze medizinische Aufwand nicht treffsicher ist, hätte er noch viel radikalere Vorschläge parat, Handicaps, wie es sie etwa beim Skispringen schon gibt. Beim Skispringen ist es die Ski- und Anzuggröße in Relation zum Body Mass Index der Athlet:innen, beim Klettern könnte er sich einen Gewichtsgürtel für zu leichte Athlet:innen vorstellen. „Ob das kommen wird, werden wir sehen.“

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