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Der Science-Fiction-Großmeister Gene Wolfe ist tot

Am Sonntag ist ein Science-Fiction-Großmeister mit 87 Jahren verstorben: Gene Wolfe war zeit seines Lebens zu literarisch für sein Genre und zu sehr Science-Fiction für die Hochliteratur. Ein Nachruf.

Von Rainer Sigl

Man kennt die Namen, die in einem inzwischen altehrwürdigen Genre wie der Science-Fiction als groß gelten; der Name Gene Wolfe allerdings wird dabei selten genannt. Umso bedeutsamer, dass die Großen ihrerseits zu ihm aufsahen. Für Neil Gaiman, selbst Kultbuchautor, war er ein literarischer Held, die Grande Dame der Science Fiction, die letztes jahr verstorbene Ursula K. Le Guin, nannte ihn „unseren Melville“ und stellte ihn damit neben einen der großen, der ganz, ganz großen Autoren nicht nur der Science-Fiction, sondern der modernen Literatur schlechthin. Harlan Ellison, selbst eine literarische Größe, nannte ihn „einen der besten lebenden Autoren der gesamten Welt“.

Gene Wolfe, Cory Doctorow und Garnder Dozois auf einer Gala

CC BY-SA 2.0 von Cory Doctorow https://www.flickr.com/photos/doctorow/

CC BY-SA 2.0 Gene Wolfe, Cory Doctorow und Gardner Dozois bei den Nebula Awards 2005

Diese Berühmtheit Wolfes unter anderen Autoren und Genregrößen konnte sich nie bis in die Breite, nicht einmal die Breite der Science-Fiction-Leserschaft durchsetzen, auch wenn Wolfe im Lauf seiner langen Karriere so gut wie jeden einzelnen Genre-Award mindestens einmal gewinnen konnte. Die Laudatoren, die sein Werk auf eine Stufe mit jenen eines Jorge Luis Borges, eines Umberto Eco oder gar mit dem Prototypen des großen, ungelesenen Buches des 20. Jahrhunderts, James Joyces „Ulysses“ stellten, taten ihm in Bezug auf seine Breitenwirkung damit wohl kaum einen Gefallen.

Dem durchschnittlichen SF-Leser war dieser Hochliterat nun ja, zu literarisch; die Freunde der Hochliteratur rümpften erwartbar die Nase über recht klassische SF-Motive. Ein Jammer - für beide Gruppen.

Lesen, noch einmal lesen, noch einmal lesen

Egal: Um großen Ruhm war es Gene Wolfe wohl ohnedies nie gegangen. Der bescheidene Ingenieur, der zeit seines Lebens seinen “richtigen” Job als Herausgeber eines technischen Magazins weiter betrieb und nur in seiner Freizeit SF schrieb, hatte selbst die größte Freude daran, seine Science-Fiction-Geschichten und Romane zu faszinierenden textlichen Wunderwerken mit Falltüren, doppelten Böden, Geheimnissen und Überraschungen zu machen, die sich oft nur beim wiederholten Lesen als solche herausstellen.

Gene Wolfe, * 7. Mai 1931 in Brooklyn; † 14. April 2019. Über 30 Romane und zahllose Kurzgeschichten machen ein in jedem Sinn beeindruckendes Werk aus, das zum Großteil hierzulande nur auf Englisch zu lesen ist - eine Aufgabe für sprachlich Sattelfeste.

Sein unbestrittenes Opus Magnum, das „Book of the New Sun“, ein in fünf Bänden zwischen 1980 und 1987 erschienenes Mammutwerk, spielt so weit in der Zukunft, dass sich die Zivilisation der Erde zu einer faszinierenden Mischung aus quasimittelalterlicher Mystik und byzantinischem Hightech-Feudalismus verändert hat. Was Severian, ein Mitglied der Gilde der Folterer, hier als unzuverlässiger Erzähler mit nur angeblich perfektem Gedächtnis zu Papier bringt, lässt sich mehrmals mit wachsender Begeisterung lesen: das erste Mal mit einem Gefühl magischen Staunens, das zweite Mal mit einer Ahnung von den nur angedeuteten, wahren Geschehnissen hinter dem Gesagten, und das dritte, vierte und jedes weitere Mal mit immer wachsender Hochachtung vor dem genialen literarischen Spiel mit Motiven, Verweisen, Lügen und anderen Täuschungen.

„Meine Definition von guter Literatur ist, dass man sie als gebildeter Leser mit Genuss lesen kann, und das zweite und dritte Mal mit noch größerem Genuss“, so ein passendes Zitat Wolfes. Kein Wunder, dass sich zu diesem Werk - und auch zu seinen anderen - eine fanatische Leserschaft gefunden hat, die ihre Fundstücke zum Teil in voluminösen Sekundärwerken wie dem „Lexicon Urthus“ begeistert teilt und diskutiert.

Ein intellektuelles Abenteuer

Klingt sperrig? Zugegeben: Die schnelle Lektüre für Freunde actionlastiger Raumschiffopern ist das nicht. Dafür ist auch Wolfes Werk zu vielschichtig: Schon sein Debütroman, „The Fifth Head of Cerberus“, setzt sich aus drei auf den ersten Blick kaum zusammenhängenden Fragmenten zu einem atemberaubenden literarischen Kunststück zusammen, „Soldier in the Mist“ spielt in der griechischen Antike nicht nur mit der Amnesie seines Ezählers, „The Wizard Knight“ wirft einen umwerfend originellen Blick auf die Artussage und unzählige Kurzgeschichten und Novellen beweisen, dass das intellektuelle Abenteuer der SF eben darin liegt, dass das „S“ nicht unbedingt für „Science“, sondern eher für „Speculative“ Fiction steht.

Wolfes Werk ist Ideenliteratur, doch nicht im banalen Sinn eines „Was wäre, wenn X“, sondern als intellektuelles Abenteuer, das sich zum Ziel setzt, immer zu überraschen und sich nie zu wiederholen. Wolfe zu entdecken ist eines der lohnendsten Abenteuer, die die Science-Fiction überhaupt zu bieten hat; und jene, die ihn ob seiner gewählten Nische verschmähen, bringen sich selbst um einen großen, zu Unrecht kaum bekannten Literaten.

Am Sonntag ist Gene Wolfe im Alter von 87 Jahren verstorben.

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