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Soldaten in Colombo

APA/AFP/ISHARA S. KODIKARA

mit akzent

Der Tod braucht keine Schuhe

Die Menschen in Sri Lanka müssen ihre Schuhe ausziehen, bevor sie einen Tempel betreten. Was hat es mit diesem braunen Schuh auf sich, der nach den Anschlägen am Ostersonntag auf der Straße liegt?

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ich schaue mir die Bilder von den Attentaten in Sri Lanka an. Mitten auf der Straße liegt ein brauner Schuh. Ich frage mich, wo wohl der Besitzer dieses Schuhs ist? Ich will glauben, dass es ihm gut geht, dass er im Tumult weggelaufen ist und einfach nicht mehr nach seinem Schuh gesucht hat. Doch vielleicht war er in der Kirche. Dann wird er nie wieder die benzinverseuchte Luft der Insel atmen. Er wird nie wieder seine Zuckerwatte von den diebischen Affen schützen müssen. Nie wieder wird er den Schrei der Pfauen hören, der sich wie der Schluckauf eines Riesenbabys anhört. Er wird wohl nie wieder Schuhe tragen müssen.

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Die Menschen in Sri Lanka müssen ihre Schuhe ausziehen, bevor sie einen Tempel betreten. Der Brauch, typisch für Buddhisten und Moslems, wurde auf alle Religionen übertragen. Vor Pagoden, Moscheen und Kirchen stehen Berge von Schuhen. Man könnte eine soziologische Studie über die Tempelbesucher machen, indem man sich diese Schuhberge anschaut. Die Schuhe der Einheimischen gemischt mit den Schuhen der Touristen. Ob die Attentäter auf die Schuhe vor dem Tempel geschaut haben? Auf den Videoaufnahmen der Terroristen sieht man, dass sie nicht barfuß sind. Sie hatten ihre Schuhe vor der Kirche nicht ausgezogen.

Ich habe noch nie buntere Kirchen als die in Sri Lanka gesehen. In Asien hat man katholische Kirchen noch bunter gemacht. Bunt war auch die Kirche in Negombo, die gesprengt wurde. Wir schauten sie uns an. Vor der Kirche zogen wir unsere Schuhe aus. Ein Mann stand davor, um auf die Schuhe aufzupassen. Wir sagten, dass wir aus Österreich kommen. „Oh, dann seid ihr sehr reich“, sagte er. Ich schaute auf meine dreckigen, abgenutzten Schuhe und lächelte verlegen. Er lachte mich auch an. Vielleicht dachte er, ich bin ein reicher Exzentriker mit einem Fetisch für abgefuckte Schuhe.

Ich habe auch an ihn gedacht, als ich von den Anschlägen gehört habe. Hoffentlich war er nicht da. Was ist wohl aus seinem Lächeln geworden? Jetzt sieht man nur Menschen, die weinen. Sri Lanka, die „Träne Indiens“. Ich kann das Foto von diesem braunen Schuh nicht aus meinem Gedächtnis löschen. Denn der Tod braucht keine Schuhe.

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