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Bekommt Wien einen Nachtbürgermeister?

Ein Nachtbürgermeister soll ein Dreh- und Angelpunkt zwischen Nachtwirtschaft, Stadtverwaltung und Politik sein. Was in anderen Städten schon Gang und Gebe ist, wird jetzt auch in Wien diskutiert.

Von Daniela Derntl

New York hat einen. London, Paris, Amsterdam, Zürich und Mannheim auch. München und Bratislava überlegen gerade. Und auch in Wien diskutiert man seit geraumer Zeit, ob es einen Nachtbürgermeister - oder eine Nachtbürgermeisterin - braucht.

Das Konzept, das in immer mehr europäischen Städten umgesetzt wird, versteht den Nachtbürgermeister als Dreh- und Angelpunkt zwischen Nachtwirtschaft, Stadtverwaltung und Politik. Wenn es also Probleme gibt – und die gibt es im Nachtleben immer, sei es mit Anrainern, Auflagen oder Sperrstundenregelungen - soll der oder die Nachtbürgermeisterin als zentrale Ansprechperson vermitteln und informieren.

Das wäre zumindest der Plan von Martina Brunner. Sie hat ihre Bachelorarbeit über das Thema geschrieben und betreibt jetzt, zusammen mit anderen, die Initiative N8BM Wien.

Aktuell finden mehrere Vernetzungstreffen innerhalb der Wiener Clubszene statt, bei denen diskutiert wird, wie man das umsetzen könnte. Die letzte Diskussionsrunde fand am 30. April im Rhiz statt, und da war auch Lutz Leichsenring am Podium. Er ist der Sprecher der Clubcommission Berlin, die seit fast 20 Jahren das gleiche Konzept - unter anderen Namen - verfolgt: vernetzen, fördern, schlichten und umbauen.

Wir haben Martina Brunner und Lutz Leichsenring zum Interview getroffen.

Lutz Leichsenring (Clubcommission Berlin) und Martina Brunner (N8BM Wien)

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Lutz Leichsenring (Clubcommission Berlin) und Martina Brunner (N8BM Wien)

FM4: Die Initiative N8BM gibt es ja schon länger in Wien. Wie ist denn das Ganze entstanden?

Martina Brunner: Entstanden ist es eigentlich vor zwei Jahren im Zuge des „Tanz durch den Tag“-Festivals. Da hat das Forum Biotopia stattgefunden und da war unter anderem Laurent Koepp mit dabei. Er ist der zweite Initiator der Initiative N8BM Wien. Und er hat als erstes dieses Thema quasi nach Wien geholt und da auch – unter anderem – die Ella Overkleeft von der Nachtbürgermeister-Initiative aus Amsterdam eingeladen. Und dann bin ich zu ihm hin und hab gemeint, lass uns doch Ernst daraus machen. Ich hab mich dann auch forschungsmässig damit beschäftigt (Anm.: Martina Brunner hat ihre Bachelorarbeit über das Thema Nachtbürgermeister geschrieben).

FM4: Worum geht es eurer Initiative konkret?

Martina Brunner: Es soll eine Vermittlungsstelle, bzw. Service- und Anlaufstelle für Clubbetreiberinnen, Veranstalterinnen aber auch Stadtverwaltung, Politik und Anrainer sein.

FM4: In verschiedensten Städten gibt’s schon Nachtbürgermeister – zum Beispiel New York, London, Paris und Amsterdam. Wie schaut es denn international aus mit dieser Initiative?

Martina Brunner: International poppt es gerade überall auf. Erst vor kurzem habe ich gelesen, dass auch in München einer kommen soll. Nachtbeauftragter soll es dort heißen. Es gibt das aber auch in Berlin. Dort heißt es Clubcommission. Das gibt es auch in kleineren Städten. Nicht nur in großen Metropolen.

FM4: Ja, sogar in Mannheim und Toulouse gibt es einen Nachtbürgermeister. Was hat diese Initiative international schon erreicht?

Martina Brunner: In Amsterdam gibt es ein Stadtviertel zum Ausgehen und dort haben sie den Lärmpegel schon sehr gut senken können – beziehungsweise die Beschwerden darüber. Es gibt auch das Projekt „Agent of Change“. Das kümmert sich um bestehende Venues. Wenn dann Leute in diese Gegend ziehen, soll diese Plattform verhindern, dass die neuen Anrainer großartige Lärmbeschwerden gegen die Venue einklagen können. Denn die besteht ja schon.

FM4: Lutz, die Clubcommission gibt’s ja schon sehr lange in Berlin. Welche Erfolge konntet ihr schon verbuchen?

Lutz Leichsenring: Die Clubcommission hat sich im Jahr 2000 gegründet. Also vor fast 20 Jahren. Wir sind eine Organisation, die sich sogenannt „bottom-up“ gegründet hat. Also nicht von oben herunter und vom Bürgermeister ernannt. Wir haben uns erstmals selbst organisiert, einen Namen geschaffen und öffentliche Gelder beantragt. Heute bekommt die Clubcommission in Summe ungefähr 1,5 Millionen Euro. Davon geht aber auch zwei Drittel in Lärmschutzmaßnahmen. Das heißt, wir können wirklich dafür sorgen, das Eingänge umgebaut werden. Oder dass mit speziellen Materialien gearbeitet wird, damit die Nachbarschaft nicht gestört sind. Aber ich glaube, die Initiative geht weit über Lärm und Müll hinaus. Wir wollen auch Themen diskutieren, wie zum Beispiel, wenn es um marginalisierte Gruppen geht, dass die auch immer ihre Schutzräume in der Stadt haben. Und dass nicht alles immer einem Verwertungsdruck unterstellt wird, sondern dass eben auch kleinteilige Kunst in der Stadtmitte möglich ist, und nicht immer verdrängt wird von denen, die mehr Miete bezahlen können. Wir schauen, dass wir auch ein Platz sind, wo junge Talente eine Bühne finden. Wo sich Communities treffen. Das ist grundsätzlich auch Teil dieser Clubszene, und das schafft glaub ich auch Identität, was eine Stadt angeht. Auf alle Fälle ist es mehr identitätsstiftend, als Starbucks und Shopping Malls.

FM4: Warum braucht denn Wien jetzt auch so einen Nachtbürgermeister?

Martina Brunner: Wir haben schon Gespräche mit unterschiedlichen Veranstalterinnen und Clubbetreiberinnen geführt. Und ihre Arbeit birgt extrem viel Konfliktpotential. Ich habe mit niemanden gesprochen, bei dem es keine Probleme gab. Es ist von jedem der Wunsch, dass es endlich so einen zentralen Ansprechpartner bzw. Ansprechpartnerin gibt, der einfach vermittelt. Vor allem, wenn es um die Stadtverwaltung geht und auch die Politik. Gerade jetzt wird das Veranstaltungsgesetz neu formiert und da wäre es wichtig, wenn man auch die Betroffenen, nämlich die Akteure der Nacht, wie Clubbetreiberinnen und Veranstalterinnen, miteinbezieht.

FM4: Ihr befindet euch in Wien noch in der Anfangsphase. Wer unterstützt die Initiative bereits – von Seiten der Clubs und von Seiten der Politik?

Martina Brunner: Es gibt unterschiedliche Vernetzungstreffen momentan und das formiert sich gerade. Von Seiten der Clubs sind es zirka 40 Vertreterinnen – wie zum Beispiel Das Werk, Arena Wien, Tanz durch den Tag, Donaukanaltreiben. Von politischer Seite sind Die Grünen auf unserer Seite, denk ich mal. Denn die regen auch immer wieder solche Prozesse an, die in diese Richtung gehen. Auch die Neos sind da stark. Bei der SPÖ ist es vor allem die Kulturabteilung, aber auch die Stadtentwicklungsabteilung von den Magistraten.

FM4: Was sind denn die größten Baustellen in Wien, die ein N8BM angehen müsste? Was brennt denn – neben den Anrainerproblemen - allen unter den Nägeln?

Martina Brunner: Ganz zentral ist einfach mal diese Stelle, die diese Probleme bündelt und an die Stadtverwaltung und an die Politik kommuniziert, was gut funktioniert und was nicht gut funktioniert und wo man Lösungen schaffen kann. Ein wichtiges Thema ist auch die Sperrstunde. Vor allem wenn es um Open Airs geht, denn die liegt derzeit ja bei 22 Uhr. Es geht auch darum, dass man freie Flächen schafft in einer Stadt, die möglichst nicht kommerziell bzw. unbürokratisch genutzt werden können. Es geht aber auch darum, dass man Awareness schafft in den Clubs und in den Lokalen – und vielleicht auch das Thema Türpolitik anspricht.

FM4: Geht’s euch nur um die Clubs – oder geht’s euch auch um die üblichen Gastro-Probleme, wie Genehmigungen, Nachtarbeit, Sicherheit und Infrastruktur? Dass ist ja ein weites Feld…

Martina Bauer: Ich glaub, man muss einfach mal irgendwo anfangen. Und das sind jetzt mal die Clubs, Veranstalterinnen und Open Airs. Und natürlich kann man es dann ausweiten. Es ist ein sehr umfangreiches Thema, das definitiv nicht mit einem Treffen abgetan werden kann und definitiv groß werden kann.

FM4: Die Initiative kommt ja aus der Subkultur. Wie schaut’s denn bei den kommerzielleren Vertretern des Nachtlebens aus, die eher im Mainstream agieren? Habt ihr dort auch Rückhalt mit euren Anliegen? Wie breit seid ihr da aufgestellt?

Martina Bauer: Wir sind so aufgestellt, dass wir einfach alle miteinbeziehen möchten. Wer sich dem Ganzen anschließen möchte bzw. wer es dann tatsächlich vertritt und unterstützt, sei jedem selbst überlassen. Aber wir sind definitiv von den Themenschwerpunkten und vom Mindset her so eingestellt, dass wir alle oder keiner sagen.

Lutz Leichsenring: Man muss vielleicht auch dazusagen, dass nicht alle Clubs oder Konzepte diese Unterstützung brauchen, weil sie den Markt gut überstehen können und auch normale Mieten bezahlen können. Denn wer eher den Mainstream anspricht, und eher Entertainment anbietet, der kann auch deutlich höhere Mieten bezahlen und kann sich auch anders geschäftlich aufstellen. Wir wollen mit dieser Initiative vor allem die unterstützen, die sich gerade entwickeln und sonst keine Lobby in der Stadt haben.

FM4: Gibt’s schon Ideen, wer für diesen Posten – sofern er geschaffen wird – in Frage kommen würde? Würde es da ein Gremium für die Wahl des N8BM geben? Wie kann man sich das vorstellen?

Martina Bauer: Genau dieser Prozess muss aus der Szene selbst entstehen. Das können wir jetzt gar nicht so per se entscheiden. Es wird in Zukunft Treffen geben, die genau diesen Struktur-Prozess in Form bringen.

Lutz Leichsenring: Dazu kann man auch sagen, dass mittlerweile 45 Städte so eine Stelle geschaffen haben. Entweder ist es eine Kommission. Oder eben eine Einzelperson. Manchmal ist auch die Verbindung ganz gut, zu sagen, man hat eine Kommission und eine Person, die dafür spricht. Das kann auch eine rotierende Position sein. Aber wichtig ist es eben, dass es auf die Bedürfnisse der Stadt eingeht – und zwar nicht nur der Stadtverwaltung, sondern auch der Bürger, die hier Kulturveranstalter sind.

FM4: Wer soll das finanzieren? Die Stadt? Die Clubs? Beide? Wie ist das in Berlin geregelt?

Lutz Leichsenring: In Berlin haben wir so angefangen, dass erstmals die Clubs ihren Beitrag geleistet haben. Später kamen dann Fördergelder dazu. In Amsterdam ist es 50:50 – da kommt die eine Hälfte von der Szene und die andere von der Stadt. Wichtig ist, dass man handlungsfähig ist, und dass man dieser Position auch eine Relevanz beimisst. Und das sieht man dann auch bei der Höhe des Geldes, das als Zuschuss gewährt wird.

Martina Brunner: Wertschätzung ist wichtig und man muss sich noch mit der Szene genauer absprechen, was für sie kostentechnisch möglich ist. Leichter wäre es sicher, wenn es von der Stadtverwaltung finanziert wird.

FM4: Lutz, die Clubcommission Berlin ist ja auch in anderen Städten beratend tätig. Wo siehst du in Wien die größten Baustellen – oder sind die in allen Großstädten gleich?

Lutz Leichsenring: Wir sehen, dass die Probleme überall ähnlich sind. Man hat Anrainer, man hat eine hohe Frequenz an diesen Orten. Wenn es um Stadtentwicklung geht, hat man die Probleme mit der Gentrifizierung, und dass betrifft dann auch diese kleinteilige Kultur. Es kommt zu Konflikten, und die kann man mit Polizeigewalt oder vor Gericht lösen. Aber besser ist natürlich, man hat so eine Stelle, die einen Dialog anstößt. Eine Stelle, die mal beobachtet und analysiert, was denn die einzelnen Probleme sind, bevor der Gesetzeshammer kommt. Und manchmal sind es ja auch ganz einfache Dinge. Wie zum Beispiel ein Club, der frühmorgens im Hinterhaus seine Flaschen entsorgt hat. Das hat die Anwohner wahnsinnig gemacht. Und sowas kann man ganz leicht abstellen. Oftmals geht das aber nicht, weil der richtige Ansprechpartner fehlt. Manche Clubs haben einen Briefkasten, aber nicht mal ne Klingel. Und tagsüber ist auch niemand da, sondern nur nachts. Und damit fängt’s schon mal an. Wenn man die Sorgen und Probleme der Anrainer ernst nimmt und gleichzeitig auch die der Kulturveranstalter, dann hat man auf jeden Fall den richtigen Schritt getan.

FM4: Welche konkreten Tipps kannst du der Wiener Initiative N8BM mit auf den Weg geben?

Lutz Leichsenring: Erstmals müssen die Forderungen untermauert sein. Also dass man wirklich viele Leute hat, die genau dieses Thema ansprechen und damit dann gebündelt an die Politik gehen. Das muss eine Relevanz haben. Die Politik muss das dann auch verstehen. Als zweites würde ich empfehlen, nicht zuerst die Organisation zu gründen, sondern in Arbeitsgruppen mit den Leuten an diesen Problemen zu arbeiten. Die Organisation sollte man erst danach hinterherschieben. Sonst hat man eine Organisation ohne Inhalt. Deshalb ist es wichtig und richtig, diese Vernetzungstreffen jetzt zu organisieren, um alle zusammenzubringen und um möglichst viele Menschen – von Anfang an - in diesen Prozess miteinzubinden. Drittens: es geht leider auch nicht ohne Geld. Man kann es eine gewisse Zeit auf ehrenamtlicher Basis machen, aber man muss auch klar sagen, dass da so viel zu tun ist und man Kraft und Energie reinsteckt, die auch der Allgemeinheit zu Gute kommt, und da muss man dann auch schauen, dass es dafür Fördergelder gibt.

FM4: Martina, letzte Frage: Wie wird’s mit der Initiative N8BM weitergehen?

Martina Brunner: Es gibt keinen Weg drumherum. Irgendetwas in der Form wird kommen, denn die Probleme und Konflikte sind da. Und es müssen Lösungen dafür gefunden werden. Ob das dann Nachtbürgermeister heißt oder unter einem anderen Namen stattfinden wird – irgendwas passiert sicher!

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