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Katrin Praprotnik über den Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz

Die Debatte über den Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz im Parlament läuft gerade. Wir haben mit der Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik von der Donauuniversität Krems gesprochen.

Die SPÖ hat einen Misstrauensantrag gegen die ganze Regierung eingebracht, die Liste Jetzt allein gegen Kanzler Kurz. Die FPÖ hat sich im Vorfeld schon festgelegt, dass sie den Antrag unterstützen wird, hat sich aber jetzt in der Sondersitzung des Nationalrats noch zu nichts konkret geäußert. Eine Mehrheit ist aber ziemlich sicher. Gibt’s eigentlich noch eine Chance, dass Sebastian Kurz Kanzler bleibt?

Ich glaube, das war jetzt schon sehr gut zusammengefasst. Seit Freitag vor den EU-Wahlen bzw. seit Bekanntwerden dieses Videos ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Auch wenn die Parteien es sich offen gelassen haben, seit diesem Tag ist immer wieder von FPÖ- und SPÖ-Seite gekommen: Man vertraut einander nicht mehr wirklich, es ist keine Gesprächsbasis mehr da. Alle Zeichen stehen auf diesen Misstrauensantrag.

Wie geht es dann weiter, falls Sebastian Kurz dadurch nicht mehr Kanzler ist. Wir wissen, wahrscheinlich würde der Bundespräsident die Regierung noch für ein paar Tage im Amt lassen und dann würde er einen Bundeskanzler oder -kanzlerin bestellen, mit dem er dann in Abstimmung Minister*innen bestimmt. Wer wird denn für dieses interimistische Kanzleramt gehandelt?

Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz tatsächlich abgesetzt werden würde und wir davon ausgehen, dass nur der Kanzler abgesetzt wird, dann ist wieder der Bundespräsident am Zug. Und der ist dann relativ frei, was die Auswahl betrifft. Die muss österreichische Staatsbürger*in sein, mindestens 18 Jahre und rechtlich unbescholten sein. Diese Person muss dann allerdings, wie jeder Bundeskanzler vor ihm, wieder nicht auf das Misstrauen im Nationalrat stoßen. Das heißt, die Herausforderung ist jetzt, eine Person zu finden, wo sich keine Mehrheit gegen diese Person findet. Für Namensspekulationen ist es sehr früh. Das wird möglicherweise eine Person sein, die beispielsweise früher Verfassungsgerichtshofspräsident war. Es geht darum, jemanden zu finden, der zumindest keine Mehrheit gegen sich hat.

Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer war da ja schon im Gespräch, der hat ja abgelehnt. Irmgard Griss soll auch im Gespräch gewesen sein, hat heute auch schon gesprochen im Nationalrat. Aber es hat noch niemand sich auf etwas festlegen wollen.

Das ist in diesem Stadium auch noch sehr, sehr früh.

Kurz sieht hinter diesem gemeinsamen Agieren von FPÖ und SPÖ schon eine Koalition, die sich hier anbahnt. Kann hier tatsächlich von außen betrachtet eine Annäherung festgemacht werden? Oder ist da einfach der „Feind meines Feindes“ im Moment mein Freund?

Das interessante an dem Spiel ist, es muss sich eine Mehrheit gegen die aktuelle geschäftsführende Regierung finden. Und die gibt’s eben nur, wenn sich SPÖ und FPÖ einigen und gemeinsam einem Antrag zustimmen. Inwiefern es da Gespräche gibt, kann man jetzt nicht sagen. Interessant ist halt: Wer trägt die Kosten, wenn nur SPÖ zustimmt und FPÖ nicht und Kurz bleibt im Amt – oder der umgekehrte Fall. Unterm Strich müssten beide dem Misstrauensantrag zustimmen.

Es herrscht also momentan eine sehr schwierige Situation zwischen den Parteien. Die SPÖ will nicht mit der FPÖ. Die ÖVP und die SPÖ können auch nicht miteinander. Das betont Kurz auch immer wieder, dass diese Koalition für Stillstand stehe. ÖVP und FPÖ sieht momentan auch schwierig aus. Was kommt denn da, wenn niemand mehr miteinander kann?

Wenn wir uns Koalitionsbildungen in Österreich in der Vergangenheit anschauen, sieht man, dass die ÖVP immer eine sehr zentrale Rolle gespielt hat. Die ÖVP hat immer gesagt: Ich kann sowohl mit der SPÖ als auch mit der FPÖ. Das ist schon eine mächtige Position in Verhandlungen, die die SPÖ nicht hatte, weil sie eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen hat. Die jetzigen Ereignisse sind sehr frisch, bis Herbst ist noch ein bisschen Zeit und es kann sich was ändern. Und was mir schon aufgefallen ist: Wenn man genau hinhört, dann höre ich oft die Worte „mit dieser FPÖ kann ich mir keine Koalition vorstellen“.

Ein Hintertürchen also. Was ist das denn überhaupt für ein Zeichen, wenn jemand, der gestern bei der EU-Wahl noch ein Plus verzeichnet hat, heute abgewählt wird?

Darüber wird ja gerade jetzt im Nationalrat debattiert. Und es wird von der ÖVP als Argument gebracht, dass sie sagen, wir haben doch gerade diese Wahl gewonnen. Zwei Dinge muss man dazu sagen: Einerseits war es eine Europa-Wahl, also eine Wahl zum europäischen Parlament. Andererseits war Kurz in diesem Wahlkampf schon sehr präsent, er ist im Wahlprogramm der Partei vorgekommen, er war auf Inseraten zu sehen und er hat sich ja zuletzt auch noch ganz aktiv eingebracht, als er gefordert hat, dass er tausend EU-Gesetze streichen möchte. Von daher war er präsent und auch wenn wir uns die ORF-Wahltagsbefragung anschauen, die Motive für eine ÖVP-Wahl waren der europäische Spitzenkandidat Karas, es waren die Inhalte der Volkspartei, aber bereits an dritter Stelle kommt das Motiv Kurz. Und dagegen müssen die Oppositionsparteien jetzt natürlich argumentieren.

Auf Antrag der FPÖ wird namentlich abgestimmt heute. Was kann das bedeuten? Was kann das für Auswirkungen haben?

Ich glaube, man möchte jetzt einfach nochmal sehen, wer sich hier auf die Bühne stellt und sagt, ja, ich misstraue dem Kanzler Kurz. Wir haben ja eigentlich das freie Mandat. Ich erwarte mir dadurch aber keine großen Veränderungen, muss ich ganz klar sagen. Also ich glaube, da wird trotzdem entlang der Parteilinien abgestimmt. Die SPÖ wird für ihren Antrag stimmen und wenn sich die FPÖ für den einen oder anderen Antrag festgelegt hat, dann wir sie das – meiner Meinung nach aus jetziger Sicht – auch geschlossen tun.

Bei der EU-Wahl gestern gilt die SPÖ als großer Verlierer, die FPÖ war dafür recht zufrieden mit dem Ergebnis. Wie genau hat sich der Ibiza-Skandal jetzt eigentlich auf das Wahlergebnis gestern ausgewirkt?

Was ganz stark aufgefallen ist, ist, dass bei dieser EU-Wahl jeder zweite gesagt hat, er möchte auch ein innenpolitisches Zeichen setzen. Also die Innenpolitik hat hier schon eine Rolle gespielt. Auch bei der Wahlentscheidung wurden die Wähler*innen gefragt, inwiefern die Regierungskrise jetzt Auswirkungen darauf hatte, da haben drei Viertel der Befragten gesagt, es hat eigentlich keinen Einfluss gehabt. Bei den übrigen hat sich das aufgeteilt – ziemlich zu gleichen Teilen. Ein Teil hat gesagt, er ist deshalb überhaupt wählen gegangen, ein Teil hat gesagt, er ist deshalb nicht wählen gegangen und ein Teil hat gesagt, deswegen habe ich eine andere Partei gewählt als ursprünglich geplant.

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