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Mary Shelleys Erbe: Ian McEwans neuer Roman „Maschinen wie ich“

Der neue Roman von Ian McEwan „Maschinen wie ich“ liest sich wie eine moderne Version von „Frankenstein“. Er handelt von künstlicher Intelligenz und der Frage, was einen Menschen eigentlich ausmacht.

Von Lisa Schneider

1818 hat Mary Shelley, damals noch anonym, ihren Roman „Frankenstein“ veröffentlicht, im Original-Titel „Frankenstein Or The Modern Prometheus“. Ein künstliches Wesen wird erschaffen, aber dabei geht es nicht nur um den erhöhten Gruselfaktor: Was genau macht einen Menschen aus? Und wie unterscheidet er sich von der Maschine? All diese Fragen werden in „Frankenstein“ thematisiert.

Die Faszination, die von künstlicher Intelligenz ausgeht, hat in den letzten Jahrzehnten nicht nachgelassen. Das beweisen nicht nur intelligente Sprachassistenten wie Siri oder Alexa, sondern auch berühmte Beispiele in Film und Literatur, wie zum Beispiel Ridley Scotts „Blade Runner“, bzw. dessen Romanvorlage von Philip K. Dick, Fitzgeralds „Der hochspringende Geliebte“ oder Orwells „Der letzte Mensch in Europa“.

Der mittlerweile 70-jährige und mit Preisen überhäufte englische Schriftsteller Ian McEwan hat seinen neuen Roman „Maschinen wie ich“ ebenfalls diesem Thema gewidmet. Moralische Fragen waren schon immer Kernpunkte seiner Bücher, wie auch seine beiden Romane „Solar“ und „Kindeswohl“ zeigen, in denen es um den Klimawandel bzw. um Ethik und Religion geht. Ebenso so zentral für seine Erzählweise sind Querverweise durch die englische Literaturgeschichte: Sein vorletzter Roman „Nussschale“ spielt den großen Hamlet in groben Zügen nach. In „Maschinen wie ich“ ist es besagter Frankenstein.

Ein Androide für Zuhause

Ian McEwans neuer Roman spielt im London des Jahres 1982. Dank bahnbrechender Forschungsergebnisse des britischen Logikers, Mathematikers und Informatikers Alan Turing gibt es zu dieser Zeit schon selbstfahrende Autos, Handys, aber auch das Internet.

Buchcover "Maschinen wie ich" Ian McEwan

Diogenes

„Maschinen wie ich“ von Ian McEwan erscheint in einer Übersetzung von Bernhard Robben im Diogenes Verlag.

Charlie ist ein knapp über 30-jähriger, eher verplanter Nerd, klug, schusselig, ein bisschen faul. Er handelt mit Aktien und verdient sich so Unterhalt und Miete für seine schäbige Wohnung in einem herabgekommenen Londoner Stadtteil. Als das Haus seiner Eltern verkauft wird, kommt er an etwas Geld - und beschließt, es sofort zu reinvestieren. Er erfüllt sich einen Kindheitstraum und kauft einen von 25 gerade auf den Markt gekommenen Androiden.

Es gibt weibliche und männliche Roboter - ganz pragmatisch „Adam“ und „Eve“ genannt. Charlie bekommt einen Adam: „Er war kompakt gebaut, breitschultrig, hatte einen dunklen Teint und dichtes, schwarzes, nach hinten gekämmtes Haar, ein schmales Gesicht mit einer leicht gekrümmten Nase, die ihn hochintelligent wirken ließ, einen grüblerischen Blick unter schweren Lidern und festen Lippen (...)“.

Nachdem Adam angekommen, ausgepackt und mit Strom versorgt ist, beginnt er langsam zu erwachen. Er fühlt sich an wie ein Mensch, er spricht wie ein Mensch. Er ist so schlau wie das Internet. Er zitiert Wittgenstein und schreibt Haikus - tausende pro Stunde. Er kann aber natürlich auch einfach nur Geschirr abwaschen.

Gemeinsam mit seiner zehn Jahre jüngeren Freundin Miranda programmiert Charlie seinen Androiden: die Charakter- und Wesenseigenschaften werden vom Besitzer oder von der Besitzerin selbst angelegt. Adam kann Gefühle imitieren und auf sie reagieren. Und er findet Vergnügen am Argumentieren.

Besser, schneller, klüger als der Mensch

Das erste Mal schlucken muss man in dem Moment, als Charlie eine Liebesnacht von Miranda und Adam belauscht (ja, auch eine Erektion ist für den Androiden möglich: in seiner Pobacke befindet sich ein Wassertank, der im richtigen Moment die Flüssigkeit an den richtigen Ort pumpt). Besser gesagt nach dieser Nacht, als Charlie die beiden zur Rede stellt, und Adam ihm sagt, er liebe Margaret: „Ich schwöre dir, ich halte mein Versprechen, aber ich kann nicht aufhören, sie zu lieben. Wie schon Schopenhauer über den freien Willen sagte, kann man wohl tun, was man will, aber man kann nicht wollen, was man will.

In weiterer Folge beschließt Adam, seinen Ausschaltknopf zu deaktivieren, den er am Haaransatz im Nacken trägt. Als Charlie einschreiten will, bricht Adam ihm das Handgelenk.

Von da an wird es ungemütlich. Wer hat das Recht auf ein Dasein? Wer hat Recht auf ein Bewusstsein? Ian McEwan ist ähnlich wie der amerikanische Schriftsteller Richard Powers ein Moralist - fällt aber deshalb nicht aus seiner Erzählrolle. Sprich: Er urteilt nicht, sondern deutet an.

Der kurzgefassten Version zufolge würde es so laufen, dass wir eine Maschine entwickelten, die etwas cleverer als wir selbst war, und diese Maschine dann eine andere erfinden ließen, die unser Verständnis überstieg. Was brauchte es uns dann noch?

Was hätte Marx gesagt?

Das Problem der Menschheit, die einer neuen, fähigeren Spezies gegenübersteht, wird nicht nur auf einer privaten Ebene, sondern auch im Gesellschaftskontext in „Maschinen wie ich“ aufgeworfen.

London hat, den historischen Fakten zuwiderlaufend, den Falklandkrieg verloren (zwischen Argentinien und dem Vereinigten Königreich, April bis Juni 1982). Margaret Thatcher muss zurücktreten, ihr Nachfolger fällt einem IRA-Anschlag zum Opfer. Die Beatles gibt es noch, weil weder John Lennon noch John F. Kennedy erschossen worden sind.

In London herrscht eine ungute, unsichere Stimmung. Nicht nur wegen der politischen Lage. Plötzlich tummeln sich Roboter an allen Ecken, übernehmen Arbeiten wie das Müllsammeln. Dazu haben Streiks der Arbeiterbewegung geführt. Neue, alte sozialistische Forderungen nach Entprivatisierung kommen auf: „Sie mussten besteuert werden. Arbeiter sollten Anteile an den Maschinen besitzen, die ihre Arbeit veränderten oder vernichteten.

Als wäre die Geschichte um diese neuartigen Auswüchse künstlicher Intelligenz nicht spannend genug, webt Ian McEwan noch einen Kriminalerzählstrang in seinen Roman ein: Ein Pageturner wie lange keiner. Und das hat nichts damit zu tun, ob man sich als Kind einen Roboter als Spielgefährten gewünscht hat oder nicht. So klug wie Ian McEwan fördern wenige Schriftsteller gleichzeitig den schnellen Puls beim Lesen wie den schnellen Gedankenabtausch danach.

Im besten Falle werden sie oder ihre Nachfolger der nächsten Generation von ihrer Pein, ihrem Staunen dazu getrieben, uns einen Spiegel vorzuhalten. Darin werden wir, mit dem frischen Blick jener Wesen, die wir selbst geschaffen haben, ein bekanntes Monster sehen.

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