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Mit Akzent

Brüderlichkeit

Alle Menschen werden Brüder, außer Markus.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Mein Freund Markus ist sehr beleidigt. Als er sich einen Döner holen wollte, fragte ihn der Dönerverkäufer: „Magst du auch Scharf darauf haben, Bruder?“ Markus erklärt mir daraufhin lang und ausführlich, das letzte, was er wolle, sei, dass ihn der Dönerverkäufer „Bruder“ nennt. Schließlich sei er überhaupt nicht mit ihm verwandt. Er habe nicht mal gewusst, wie dieser Dönerverkäufer heißt, bis ihn das Namensschild an seiner Arbeitskleidung als „Mustafa“ auswies. Markus will einfach nicht der Bruder eines fremden Menschen sein. Das dringe viel zu tief in seine persönliche Sphäre ein.

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Ich überlege lange, was Markus so beleidigt haben könnte. Ich denke an die Surfer in Kalifornien in den 1970er Jahren, die einander mit „Bro“ angeredet haben, um sich von den anderen Subkulturen zu unterscheiden und wie eine echte Gemeinschaft zu sein. Anscheinend würde Markus nie gerne zusammen mit Mustafa surfen gehen.

Die Schwarzen in den USA nennen sich auch gegenseitig „Brother“. Sie fühlen sich in ihrer Rechtlosigkeit gleich und dadurch werden sie zu „Brüdern“. Doch Markus fühlt sich keinesfalls bedroht in seiner gesellschaftlichen Rolle. Er ist ein ehrenwerter Steuerzahler und seine Zukunft ist klar und stabil. Wenn sich Mustafa auf irgendeine Weise bedroht fühlt, darf er das natürlich machen, aber Markus sei in keiner Weise sein „Bruder“. Dann fällt mir die Hymne der EU ein, aus der Ode „An die Freude“ von Friedrich Schiller:

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
muss ein lieber Vater wohnen...

Ist es überhaupt möglich, dass alle Menschen in Europa Brüder sind? Entsprechen diese Worte der Wahrnehmung der Menschen? Vor 1989 nannten sich die Länder des Ostblocks gegenseitig „Bruderländer“. Trotz der laut proklamierten „Brüderlichkeit“ zerfiel diese Bruderschaft in wenigen Wochen. Anscheinend kann dich niemand zwingen, der Bruder von jemanden zu sein. Und Markus fühlt sich beleidigt, dass ihn Mustafa „Bruder“ genannt hat.

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