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Nackter Oberkörper eines Mannes mit Männlichkeits-Zeichen

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„Toxic Masculinity“ als Überbegriff für männliches Fehlverhalten

Das Problem ist uralt, der Begriff dazu relativ neu. „Toxic Masculinity“ ist ein Schlagwort, um über problematische Bilder von Männlichkeit zu sprechen. Doch der Begriff wird oft missverstanden.

Von David Riegler

Macho, Alphamännchen, Pascha. Diese Euphemismen wurden früher verwendet, um männliches Fehlverhalten zu beschreiben. Was diese Begriffe jedoch verschweigen ist, dass manche Verhaltensweisen als „typisch männlich“ entschuldigt werden, die der Gesellschaft und Männern selbst Schaden zufügen können.

Die Entstehung eines Trendbegriffes

Der Begriff „Toxic Masculinity“ wurde massentauglich, als Anfang des Jahres ausgerechnet ein Hersteller von Rasierklingen einen neuen Werbespot veröffentlicht hat. Der Clip zeigt Bilder von männlichen Stereotypen, mit denen das Unternehmen selbst früher geworben hat: Ein Chef, der eine Mitarbeiterin herablassend behandelt, ein Mann, der bei einer Party einen sexistischen Spruch loslässt und eine Gruppe Schüler, die ihren Mitschüler als Weichei beschimpfen und verprügeln.

Im zweiten Teil des Videos wird dazu aufgerufen, die Mentalität „Boys will be Boys“ abzulegen und stattdessen andere Männer auf misogyne Verhaltensweisen aufmerksam zu machen. Dieses Video war Grund genug, um eine hitzige Gender-Debatte in den USA aufflammen zu lassen.

Die Reaktionen in den Kommentaren unter dem Youtube-Video zeigen, wie stark dieses Thema polarisiert. Während es von der einen Seite Solidaritätsbekundungen gab und prominente Unterstützer für neue Männlichkeitsbilder, haben nicht wenige (Männer) sehr beleidigt reagiert. Immer wieder kann man lesen, dass der Begriff „Toxic Masculinity“ den falschen Eindruck erzeuge, dass jede Männlichkeit schlecht und giftig sei.

Mit Trommelkreisen gegen „Toxic Masculinity“

Doch diese Annahme basiert auf einem falschen Verständnis für den Begriff selbst. Ursprünglich wurde „Toxic Masculinity“ von einer Männerbewegung in den 1980ern verwendet, um gute von schlechter Männlichkeit zu unterscheiden.

Diese sogenannte mythopoetische Männerbewegung hat Seminare veranstaltet, zu denen nur Männer zugelassen waren, die mit Naturritualen und Trommelkreisen versucht haben, das Männerbild der Nachkriegszeit hinter sich zu lassen und eine „tiefe, protektive Männlichkeit“ herzustellen. Die Eigenschaften, die von der Bewegung abgelehnt wurden, fasste man unter „Toxic Masculinity“ zusammen.

Hegemoniale Männlichkeit

In den späten 80er Jahren wurde der Begriff in der Soziologie und Verhaltenspsychologie geprägt, allen voran von der australischen Soziologin Raewyn Connell. Sie hat den Begriff im Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ zusammengefasst. In der Soziologie versteht man darunter eine gesellschaftliche Praxis, die Männern eine dominante soziale Position sichern soll. Damit soll erklärt werden wie und warum Männer ihre dominante Position in der Gesellschaft erreichen und aufrechterhalten. Ein Beispiel dafür ist der hohe Männeranteil in Führungspositionen.

In ihren komplexen Studien beschreibt Raewyn Connell viele verschiedene Formen von Männlichkeit, die unmittelbar von den äußeren Umständen abhängen, zum Beispiel Herkunft, Alter und sozialer Schicht. Sie erstellte die Theorie, dass männliche Idealbilder, wie körperliche Kraft, Potenz und sozialer Respekt zu einem Problem für Männer werden können, die diesen Bildern nicht entsprechen.

Sie beschreibt in ihrer Theorie, dass junge Männer, die dieses Bild nicht erreichen können, Unsicherheit und Wut verspüren. Um das auszugleichen wenden sie Gewalt an, um sich trotz ihrer angeblichen „Schwächen“ als dominant und männlich zu fühlen. Demnach sind eher die gesellschaftlichen Rollenbilder von Männern ein Problem und nicht die Männlichkeit von Natur aus.

Nackter Oberkörper eines Mannes

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Ein politischer Kampfbegriff

Doch der Begriff „Toxic Masculinity“ ist mittlerweile nicht mehr nur in der Soziologie auffindbar. Heute wird er vor allem politisch verwendet, um schädliche männliche Verhaltensweisen klar abzugrenzen. Anders als in der Soziologie, wird heute versucht, männliche Verhaltensweise in gut und schlecht zu unterteilen.

Der Begriff soll vor allem auf das Problem der männlichen Gewalt hinweisen, weil in der Sozialisation von Jungen in der westlichen Welt, Gewalt oft normalisiert wird mit Sprüchen wie: „Jungs sind eben nun mal Jungs“. In der medialen Berichterstattung gibt es etwa verharmlosende Bezeichnungen wie „Eifersuchtsdrama“, um Fälle brutaler häuslicher Gewalt gegen Frauen zu beschreiben.

Doch der Begriff „Toxic Masculinity“ wird oft missverstanden und mittlerweile bei allen möglichen Diskussionen eingesetzt um genderspezifische Themen zu diskutieren, von Weltraum-Filmen, über Cricket bis hin zu politischen Themen, wie Brexit.

Missverständnisse über Missverständnisse

Konservative Bewegungen verstehen den Begriff vor allem als Angriff auf die eigene Werthaltung. „Toxic Masculinity“ ist für sie eine generelle Verurteilung von Männlichkeit und traditionellen Werten. Liberale Strömungen wiederum benutzten den Begriff, um ebendiesen konservativen Werten zu widersprechen und sie zu hinterfragen.

Diese unterschiedlichen Deutungen sorgen für die starke Polarisierung rund um den Begriff, wie man es auch im Fall der Rasierklingen-Werbung beobachten konnte. Diese Aufmerksamkeit nutzt die Werbeindustrie für sich, um Produkte zu bewerben. Besonders Firmen, die sich in der Vergangenheit stark an Klischees orientiert haben, versuchen damit progressiv zu wirken.

Dringender Handlungsbedarf

Doch eigentlich sollte es in der Diskussion nicht nur um Begrifflichkeiten gehen, sondern um die Fakten. Es gibt geschlechterspezifische Gewalt, die sich gegen Frauen richtet. Letztes Jahr gab es in Österreich 73 Mordopfer, davon waren 41 weiblich. Laut einer Erhebung der Europäischen Union, ist in Österreich jede fünfte Frau von körperlicher und/oder sexueller Gewalt direkt betroffen. Immer wieder gibt es Berichte, dass die Frauenhäuser in Österreich voll belegt sind, wie zum Beispiel Anfang des Jahres in Niederösterreich.

Die Aufregung um den Begriff „Toxic Masculinity“, wie nach der Rasierklingen-Werbung kann zwar einen gesellschaftlichen Diskurs eröffnen, sollte jedoch nicht davon ablenken, dass man Geschlechterrollen hinterfragen muss - und zwar mit dem Ziel, geschlechterspezifische Gewalt zu verhindern.

FM4 Auf Laut:

Heute in FM4 Auf Laut widmen wir uns der Frage: „Was tun gegen männliche Gewalt?“ Im Studio diskutiert Claus Pirschner mit Expert*innen und Anrufer*innen über die Fragen: Was haben Morde von Männern an Frauen mit gesellschaftlichen Männlichkeitsnormen zu tun? Welche gewaltvollen Verhaltensweisen von Männern treten im Alltag auf? Diskutiert mit und teilt eure Erfahrungen in unserer Call-In Sendung Auf Laut, Dienstag, 15.10.2019, ab 21 Uhr. Die Nummer ins Studio ist 0800-226 996.

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