FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Stubaier Gletscher

Simon Welebil

Ist ein Skitag am Gletscher noch vertretbar in Zeiten der Klimakrise?

Die Klimakrise ist das beherrschende Thema zurzeit und das Schmelzen der Gletscher ihr sichtbarstes Zeichen. Kann man unter diesen Vorzeichen noch mit ruhigem Gewissen einen Skitag am Gletscher verbringen oder kommt nach dem „Flug-Shaming“ das „Ski-Shaming?“

Von Simon Welebil

Die ersten Ski- und Snowboard-Openings in Österreichs Gletscherskigebieten sind bereits vorbei, auf den Bildern und Videos sieht man strahlende Gesichter von Menschen, die sich freuen, wieder ihre Schwünge in den Schnee ziehen zu können oder einen Snowpark zu shredden.

Noch wenige Wochen vorher sind ganz andere Bilder vom Gletscher durch die Social Media-Timelines gegangen. Darauf konnte man große Bagger sehen, die mitten am Gletscher stehen und massiv darin herumgraben. Die Bilder vermittelten den Eindruck eines Raubbaus am sensiblen Gletscher, wurden massenhaft geteilt und mit empörten Kommentaren versehen.

„Diese Bilder schockieren“, sagt Liliana Dagostin, die Leiterin der Abteilung Raumplanung und Naturschutz beim Österreichischen Alpenverein, sie seien aber das „täglich Brot“ der Betreiber eines Gletscherskigebiets. Die Bilder zeigen die Maßnahmen, die getroffen werden müssten, um einen Gletscher überhaupt für den Massenskilauf befahrbar zu machen: Gletscherspalten müssen zugeschoben werden und zum Teil müssen Gletscher angegraben werden, um die Pisten erhalten zu können. Gletscherflächen müssten ständig bearbeitet werden. „Was für einen Skigebietsbetreiber nichts Besonderes ist, ist für uns, in Zeiten eines Klimawandels, in Zeiten, in denen die Menschen immer sensibler reagieren, wie man mit diesen Eisriesen umgeht, doch schockierend.“

Liliana Dagostin

Simon Welebil / Radio FM4

Liliana Dagostin vom Österreichischen Alpenverein

Nur Naturschnee auch am Gletscher eine Mär

Für Liliana Dagostin zeigen diese Bilder von Baggern am Gletscher einer großen Öffentlichkeit einmal deutlich auf, dass ein Skibetrieb am Gletscher nicht mehr ohne viel Zutun möglich ist - es vielleicht gar nie war. Genau wie bei anderen Skigebieten, die tiefer liegen, braucht es auch am Gletscher viel Energie und Wasser für künstliche Beschneiung und jede Menge Baumaßnahmen, für Schneileitungen, Speicherseen oder Wege.

Die größere Seehöhe, die dadurch geringeren Temperaturen und das vorhandene Gletschereis sind zwar an sich gute Bedingungen, um weniger Ressourcen für den Schneesport aufwenden zu müssen, aber mit dem frühen Saisonstart schon im September würden die Skigebietsbetreiber das alles wieder zunichte machen, sagt Dagostin. Denn um solch einen frühen Saisonstart garantieren zu können, werden in der Vorsaison Schneedepots angelegt und über den Sommer unter Folien und Dämmmaterial konserviert. Diese Schneedepots bestehen dabei vielfach nicht aus „Altschnee“, sondern der Schnee dafür wird eigens für diesen Zweck künstlich erzeugt. Der Aufwand, der für die Skifahrer*innen betrieben werden muss, um schon im September ein Skigebiet zur Verfügung zu stellen, ist laut Liliana Dagostin enorm.

Früher Termin wird sich nicht ändern

Dass an dem frühen Termin der Ski- und Snowboard-Openings in den nächsten Jahren gerüttelt wird, bezweifelt Mario Pesl. Seine „Full Service Agentur“ betreut unter anderem den Snowpark des Kaunertaler Gletschers in Tirol. Pesl sieht das schlicht in einem Spiel von Angebot und Nachfrage begründet: „Die Leute wollen schon im Herbst skifahren und neues Material ausprobieren“, und das sei auch mit überschaubarem Aufwand machbar, dank modernen Schneemanagements, zu dem auch Schneedepots gehören, die er schon großteils als übrigen Altschnee versteht.

Dass die Sensibilität gegenüber dem Umgang mit den Gletschern zugenommen habe, sei bei den Gletscherskigebietsbetreiber*innen angekommen, sagt Mario Pesl: „Sie sind sich bewusst darüber, dass hier mit einem sehr wertvollen Gut umgegangen wird, manchen mehr, manchen weniger vielleicht (...), nicht erst seit gestern, sondern sicher vorgestern, weil die Personen schon Jahre in die Zukunft denken.“

Ressourcenschonenderer Umgang mit dem Gletscher

Mario Pesl veranstaltet unter anderem das Kaunertal Opening, das vergangenes Wochenende stattgefunden hat. Bei ihnen habe sich in den letzten Jahren einiges verändert erzählt er. Der Snowpark ist im vergangenen Jahr auf gletscherloses Gebiet verlegt worden und große Schanzen gibt es zum Opening nicht mehr, weil sie dafür den Gletscher zu sehr bearbeiten mussten:

Wir sind zum Opening weg von den großen Kickern gegangen, denn große Kicker heißen auch große Eingriffe in die Landschaft - das ist Erdbau, das ist Eisbau etc. - das wollten wir mit „Park neu" nicht mehr machen.“ - Mario Pesl

Stattdessen setzt das Kaunertal Opening auf den sogenannten „Nature Run“, eine Jib-Landschaft und viele kreative Rails und Obstacles, die je nach Schneelage vergrößert werden können und in der die großen Schanzen erst später in der Saison hinzukommen, wenn es genügend Schnee gibt.

Snowpark Jibline

GOTIT

Der Snowpark am Kaunertaler Gletscher steht nicht mehr am Gletscher und ist zum Opening eine große Jib-Landschaft

Auch in anderen Bereichen haben sie sich Gedanken über mehr Nachhaltigkeit gemacht, beim Müll oder der Anreise zum Gletscher etwa, für die sie die Frequenz der Busse erhöht und eigene Shuttles aus Innsbruck angeboten haben. Zudem haben sie verschiedene Awareness-Kampagnen gestartet. Auch das Angebot im Gletscherrestaurant am Kaunertaler Gletscher ist in diesen Prozess eingebunden und soll künftig nur mehr regionale Speisen umfassen.

Unterskiedliche Maßstäbe an Sorgfalt

Liliana Dagostin vom Alpenverein glaubt den Skigebietsbetreiber*innen, dass sie versuchen, sorgsam mit der „Ressource Gletscher“ umzugehen, die sie sich angeeignet hätten, hängt doch auch deren Geschäftsmodell dran. Sie betont aber, dass sich der Maßstab an Sorgfalt von Skigebietsbetreiber*innen doch recht deutlich von dem einer Naturschutzorganisation unterscheide. Der Alpenverein würde etwa nie versuchen, sich die Natur gefügig zu machen:

Weiterlesen: Was ist der Preis für das „größte Gletscherskigebiet der Welt“?(

Die Ötztaler und Pitztaler Gletscherbahnen wollen das „größte Gletscherskigebiet der Welt“ errichten und dafür zum ersten Mal seit Jahrzehnten unverbaute Gletscher erschließen. Liliana Dagostin vom Österreichischen Alpenverein erklärt im Interview aus ihrer Sicht, warum die Projektbetreiber damit das Augenmaß verloren haben.

„Uns würde es nie einfallen, den Gletscher anzugraben oder so zu bearbeiten, um ihn befahrbar zu machen. Für uns ist das ein Eingriff in den Gletscher, wie es auch ein Eingriff ist, wenn man den Gletscher mit Folien abdeckt, weil wir wissen, dass auch daraus kleine Partikel aus Mikroplastik in die Gletscher eindringen. Dennoch wird ein Skigebietsbetreiber sagen, es ist ein gelinderes Mittel, um dort wirtschaften zu können – und genau das ist der Punkt.“ Hier würden Wirtschaft und Umweltschutz aufeinander treffen und man müsse zwischen der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Erhalt von Naturräumen abwägen, wobei Dagostin der Meinung ist, dass wir im Tourismus schon ein Niveau erreicht hätten, das hoch genug sei.

Erhalten, ohne auszubauen und bewusster Konsum

Wenn es um die bestehenden sieben Gletscherskigebiete in Österreich geht (fünf in Tirol, je eines in Salzburg und Kärnten) geht, plädiert der Österreichische Alpenverein dafür, den Bestand zu erhalten. Er wehrt sich aber dagegen, diese Gletscherskigebiete auszubauen, nur weil das Skifahren in tieferen Lagen mit dem Klimawandel schwieriger wird, wie etwa im Ötztal/Pitzal, im Kaunertal, aber auch am Mölltaler Gletscher angedacht wird. Denn auch dort würde eine ständige Bearbeitung von Gletscherflächen oder bisher unberührtem „Urland“ nötig sein.

Die Frage, ob Skifahren im Herbst am Gletscher vertretbar sei, müsse jede*r für sich selbst entscheiden, so Liliana Dagostin. Ihre Vorstellungen dazu sind allerdings recht klar:

„Für mich ist das Skifahren am Gletscher Mitte September, wo eigentlich noch herrliches Herbstwetter vorherrscht, so ähnlich wie der Wunsch Erdbeeren zu essen, und zwar im Winter, wo sie fix nicht wachsen.“ Liliana Dagostin

Und aus diesem Wunsch folgt eine Frage: „Kann ich diesem Wunsch entsagen, und freu mich einfach drei/vier/fünf Monate, bis die Bedingungen passen, so dass bei uns genug Schnee liegt oder Erdbeeren wachsen und bin dann froh über dieses Glücksgefühl, oder muss ich alles zu jeder Zeit haben?“

mehr Umwelt:

Aktuell: