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Schweigen

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todor ovtcharov

Nichts als Stille

Die Gegend in der ich hier in Wien wohne ist vollkommen geräuschlos

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Wenn meine sechs Monate alte Tochter lacht, hört es sich wie Artilleriegeschoss an. Wenn sie weint, ist es, als ob man eine Sirene hört, die vor einem Luftangriff warnt. Ich fühle mich wie in einem schalldichten Raum in der Psychiatrie. Es mag sich verrückt anhören, aber diese Gegend im 14. Bezirk, in dem ich hier in Wien wohne, ist vollkommen geräuschlos...

Ganz in der Nähe ist die Botschaft von Nordkorea. Ich habe bisher noch nie jemanden gesehen, der aus diesem gar nicht kleinen barocken Palais rein oder raus geht. Nur ein stummer Botschaftsmitarbeiter klappt in der Früh lautlos eine Tafel mit Fotos des großen Führers Kim auf. Am Abend macht er sie genauso lautlos wieder zu.

In diesem Bezirk herrscht absolute Stille. Es ist so leise, dass man Angst bekommt. Jede Jahreszeit ist gleich leise. Es regnet leise, es schneit lautlos, die Blätter der Bäume fallen geräuschlos auf den Boden, im Sommer zwitschern die Vögel so leise, so als ob sie sich schämen. Sogar die Krähen krächzen lautlos.

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Es ist fast unmöglich, jemanden auf der Straße zu treffen. Einmal hab ich einen Fuchs gesehen, der lautlos im Gebüsch verschwand. So lautlos war sicher auch der Hase, der vorher vor ihm weggerannt ist. Tagsüber ist die Welt wie ein Fernseher, der auf lautlos geschaltet ist. Man hört nie Kindergeschrei. Meine Nachbarn leben wie Geister, die unsichtbar sind. Niemand hört Musik, egal ob Rachmaninow, Iggy Pop oder Hard Techno.

Eines Tages habe ich Gläser gehört, die gegeneinander prallen. Ich dachte, dass jemand auf seiner Terrasse ist und gerade auf etwas anstoßt. Ich bin auf die Terrasse gerannt, um ihm oder ihr zu gratulieren. Nein. Ich habe mich getäuscht. Es war menschenleer. Wahrscheinlich ist es der Stille selbst zu langweilig geworden und sie hat mit sich selbst angestoßen.

Ein andermal bin ich nachts heim von der Arbeit gekommen und habe Schritte gehört. Ich hab mich umgedreht, um nachzuschauen, wer mich vielleicht verfolgt. Als ich stoppte, stoppten auch die Schritte. Ich ging wieder los und ich hörte laute Schritte in der Stille. Ich drehte mich wieder um. Ich fühlte mich wie in einem Hitchcock-Film - jemand verfolgt mich und versteckt sich. Aber nein, niemand war hinter mir. Es war das Geräusch meiner eigenen Schritte.

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