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Trailer-Fenster mit Bett, Buchcover von Leslie Jamisons Roman "Der Gin-Trailer"

Radio FM4 / Hanser Berlin

„Der Gin Trailer“: Ein Roman voll starker, hilfloser Figuren

Leslie Jamisons Debütroman über Alkoholsucht, Einsamkeit und komplizierte Familienbeziehungen erzählt eine Geschichte aus zwei Perspektiven.

Von Conny Lee

Stella ist Mitte zwanzig, lebt in New York und kommt als persönliche Assistentin einer launischen Vorgesetzten mehr schlecht als recht über die Runden. Sie ist allgemein unglücklich mit ihrem Leben und fühlt sich leer.

Als ihre Großmutter nicht mehr alleine zurecht kommt, zieht Stella zu ihr, um sich um sie zu kümmern. Von ihr erfährt Stella, dass sie eine Tante hat: Matilda. Tilly. Niemand in der Familie hatte je von ihr gesprochen. Über sie wird nicht geredet. Als die Großmutter stirbt begibt sich Stella zu der fremden Tante und findet eine verarmte, schwere Alkoholikerin, die in einem Wohnwagen in der Wüste Nevadas lebt. Sie möchte diese fremde Frau, die doch Familie ist, retten und gleichzeitig aus ihrem eigenen Leben fliehen, in dem sie sich ziel- und orientierungslos fühlt.

Cover von Der Gin-Trailer

Hanser Berlin Verlag

„Der Gin-Trailer“ von Leslie Jamison, erschienen bei Hanser Berlin, in einer Übersetzung aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann

Das Buch „Der Gin-Trailer“ ist im Original bereits 2010 erschienen. Damals war die Autorin Leslie Jamison selbst noch schwere Alkoholikerin. In ihren späteren Büchern hat sie sich eingehend mit Alkoholsucht und dem Leben nach dem Entzug befasst. In ihrem extrem erfolgreichen Debütroman geht es allerdings um viel mehr: die schwierigen Beziehungen innerhalb einer Familie, vor allem zwischen den Frauen: Mutter, Tochter, Schwester.

Verkorkste Familiengeschichte aus verschiedenen Perspektiven

Im Zentrum stehen Stella und ihre Tante Tilly. In wechselnder Erzählperspektive zeigt uns die Autorin, wie kompliziert Zwischenmenschlichkeiten ablaufen können. Manche Situationen werden von beiden Figuren geschildert, mit unterschiedlichem Fokus auf Details und verschiedener Wahrnehmung der Situation. Außerdem erzählen Stella und Tilly in Rückblicken über sich selbst und die Familiengeschichte, wodurch besser verständlich wird, wie alles so verfahren und verkorkst werden konnte, wie es ist, zwischen den einzelnen, einsamen Mitgliedern dieser Familie.

Indem Leslie Jamison sehr genau beschreibt, wie die Figuren ihre Umwelt wahrnehmen, erzählt sie viel über die Charaktere selbst: Stella, die ihr Helfersynsdrom trägt wie eine selbstauferlegte Bürde, und Tilly, die nach Jahren der Alkoholsucht die Nüchternheit als Reizüberflutung empfindet, und die schwierige Beziehung zwischen den beiden, die immer alles richtig machen wollen und dabei so übervorsichtig im Umgang miteinander sind.

„Stella setzte sich auf die Wiese und klopfte mit der Hand neben sich auf den Boden. Sie wartete darauf, dass ich etwas sagte, und rupfte währenddessen Grasbüschel aus, die sie dann wieder in die Erde hineinwühlte. Es war offensichtlich, dass sie versuchte, mal nichts zu sagen. Das Geräusch ihres vorsätzlichen Schweigens wurde irgendwann zu einer ganz eigenen Frage an mich.“

Die Hauptfiguren in „Der Gin-Trailer“ sind starke aber schwierige Frauen. Jede von ihnen ficht ihren persönlichen Kampf aus. Vielleicht aufgrund der eigenen Alkoholsucht, schafft die Autorin es auch, der Figur Tilly in allen Situationen ihre Würde zu lassen. Und das obwohl Leslie Jamison nicht davor zurückscheut, auch Themen wie Prostitution oder Abtreibung zu behandeln. Ihre Beschreibungen nehmen uns gekonnt in die Gefühlswelt der unterschiedlichen Charaktere mit. Man fühlt sich einsam und hilflos mit Stella oder gefangen in den eigenen Verhaltensmustern mit Tilly.

„Der Gin Trailer“ von Leslie Jamison ist ein Buch, dessen Figuren man auch nach dem Lesen noch bei sich trägt und sie versteht, auch wenn man ihnen nicht helfen kann.

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