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Blumenaus 20er-Journal

I’m dancing barefoot

Wenn die Teenager-Tage das entscheidende Alter für unsere musikalische Prägung sind, dann habe ich mit Ivan Král, dem Zwilling von Patti Smith, einen meiner Daddys verloren.

Von Martin Blumenau

Ich hab da kürzlich dieses David-Byrne-Zitat gelesen, wo er anschaulich erklärt, warum es in unserer Jugend zu einer entscheidenden musikalischen Prägung kommt und es logisch ist, dass wir danach quasi stehenbleiben und alles andere abblocken. Ich stimme damit nur partiell überein und wollte das am Wochenende ausführen, weil es ein großes und - zumal im FM4-Umfeld - ein immer wiederkehrendes Thema ist.

Jetzt ist aber diesen Sonntag Ivan Král gestorben.
Král war ein Teil der dürren, abgefuckt coolen Vorbilder-Bande (lasst euch vom 79er-Foto oben, auf dem sie vergleichsweise fit aussehen, nicht täuschen), die für mich als 15- bis 18-Jährigen das ideale widerständige Leben verkörpert hat. Er war Bassist und Co-Songschreiber in der Patti Smith Group, die zwischen 1975 („Horses“) und 1979 („Waves“; dazwischen waren noch „Radio Ethiophia“ und „Easter“, alle vier Alben wahre Schreine abgehoben-unkonkreter Poesie, Stream of Consciousness, wüste Gitarren-Drescherei) den Soundtrack einer vom Rock zum Punk diffundierenden Generation geliefert hat.

Davor war ich ein vom Virus Popmusik überfallenes Kind, danach ein seen-it-all-abgebrühter wannabe-Erwachsener - die Phase der vier Patti-Smith-Alben aber war die, die Byrne als „Wer bin ich, wie passe ich in diese Gesellschaft?“-Zeit beschreibt. Natürlich war da noch viel mehr, alles gleichzeitig, vor allem musste viel aus den 60ern und Früh-70ern aufgearbeitet werden; und ehe der ungezügelte Punk-Protest, der sich ja nicht nur am gesellschaftlichen Zustand des No-Future-Zeitalters Ende der 70er, sondern auch an der allzu bombastisch-abgehoben gewordenen Pop-Musik jener Tage richtete, bei mir so richtig einfahren konnte, bedurfte es eines in der Gegenwart angesiedelten Wegweisers.

Und das war die Patti Smith Group.
Sie war perfekt.
Zum einen, weil Patti, dieser eklektische Schwamm, diese Aufsammlerin und Vermittlerin aller/vieler Wurzelstränge des Rock’n’Roll auf alles/alle von Bedeutung referenzierte, weil sie Sound, Vision und Lyrik als gleichberechtigt nebeneinanderstellte und weil der Exzess bei ihr so sinnhaft und zielgerichtet erschien, im Gegensatz zur Destruktivität vieler anderer. Und zum anderen, weil ihre Band so viele Identifikations-Charaktere bot: Patti Smith war das androgyne Weltwunder, die wie ein Chamäleon zwischen den Geschlechtern schillerte. Lenny Kaye war der schlaue Musik-Mastermind mit der Brille, Richard Sohl der Wuschelkopf mit den sinnlichen Lippen, JD Daugherty der Naive am Schlagzeug und Ivan Král war Pattis Zwilling: dürr, wildes Haar über Stirn und Schulter, androgyne Gesichtszüge, der kleine Bruder von Mick Jagger, den man dann, wenn er mit Patti am selben Mikro backing vocals sang, für einige Momente nicht von ihr unterscheiden konnte, so sehr war er ihr menschgewordenes Echo.

Natürlich war Král mehr als nur ein Körper: Sein Beitrag als Co-Songschreiber ist ebenso groß wie der von Lenny Kaye (und auch die anderen beiden haben Songs beigesteuert), von dem man das wegen seines Auftretens als musikalischer Direktor immer vermutete. Král hat „Pissing in the River“, „Ask the Angels“, „Pumping My Heart“ (also alle drei Singles von „Radio Ethiopia“), „Birdland“, „25th Floor“, „Revenge“, „Citizen Ship“ oder „Dancing Barefoot“, ihr meistgecovertes Stück mitgeschrieben.

Dass Král Exil-Tscheche war, von seinen Eltern als Teenager mit in die USA emigriert, bis 1981 als Refugee staatenlos (das hat er in „Citizen Ship“ thematisiert), hab’ ich am Rande mitbekommen. Die Schicksale derjenigen, die Hoffnungen in den Prager Frühling anno ’68 gesetzt hatten, der von sowjetischen Panzern überrollt wurde, waren auch noch ’75 bis ’79 ganz deutlich spürbar in Österreich, ständiges Thema. Dass Král nach ’89, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, zurückging und eine prägende Figur der Rockmusik seines Landes wurde, habe ich erst jetzt in den aktuellen Nachrufen gelesen.

Um das ging es damals, als die Musik der Patti Smith Group mich scheinbar kontextbefreit gepackt hat, aber gar nicht, das ist alles unter dem Radar mitgeflogen. Da ging es nur um Selbstermächtigung durch Andersartigkeit (und die PSG war sehr, sehr anders), um die Macht der langen Haare und dünnen Körper und um die Macht der Sprache. Es ging darum, in den Fluss zu pissen, um ihn zum Überlaufen zu bringen, es ging darum, die Engel zu befragen und es ging darum, barfuß zu tanzen, und sich von seltsamer Musik reinziehen zu lassen, bis man die Schwerkraft verliert. Insofern hat Byrne mit seinem Satz also durchaus recht. Andererseits... aber das würde jetzt zu weit führen - vielleicht dann doch am Freitag mehr dazu.

PS: Das ist der legendäre Rockpalast-Auftritt der Patti Smith Group von 1979, ein Konzert, auf das wir alle monatelang hingefiebert haben, wo Ivans Basslauf „Dancing Barefoot“ eintaktet, ehe Sohls Orgel drüber weint und sich Patti Smith erst einmal entschuldigt (auch so ein Klassiker), ehe sie lossingt:

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