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„Andere Leute“ blickt vom Plattenbau auf Polens Gesellschaft

Der polnische Literatur-Popstar Dorota Maslowska zeigt in „Andere Leute“ die Verzweiflung, Wut und Angst quer durch die Schichten und Generationen im heutigen Polen. Der Roman ist schnell, rauscht dahin und zieht die LeserInnen in eine Welt, die so ausschaut, als wäre sie nicht ihre. Aber sind wir nicht immer für irgendwen die Anderen?

Von Diana Köhler

Cover von Andere Leute

Rowohlt Verlag

Olaf Kühl hat „Andere Leute“ ins Deutsche übersetzt. Das Buch ist 2018 in Polen und 2019 bei Rowohlt auf Deutsch erschienen.

Montag, Dienstag, Mittwoch. Genau drei Tage lässt uns Dorota Maslowska in ihrem Roman „Andere Leute“ in das Leben der Protagonist*innen schauen. Warschau im Smog, dazwischen ein Plattenbau und darin: Kamil, der bei seiner Mutter wohnt und darauf wartet, als Rapper entdeckt zu werden. Bis es so weit ist, gibt er sich die Kante, dealt mit Drogen und jobbt als Klempner.
Es ist Montag. Der Himmel da draußen wie Blei, auf dem Teppich die Nadeln vom Weihnachtsbaum, alles dreckig, und aus der Traum. Ihn weckt das Quietschen des Fahrstuhls und das Gefühl von offenem Fenster, auch wenn die Decke schweißnass ist und trocken das Maul, ein Nachgeschmack geistiger Getränke, du kannst dir denken, dass er sich gestern Stoff gegeben hat.

Im Dreieck

Er repariert auch die Toilette von Iwona: Reich und dank Xanax beruhigt. Sie speichert
Kamils Nummer unter dem Namen „Klospülung“ ein und steckt ihm nach dem Sex halb beschämt, halb ernst, Geld zu. Kamil nimmt es, weil das Ticket der Straßenbahn zu ihr schon teuer genug war. Außerdem sind die Nikes schon so durchgelatscht, dass das Wasser von der Straße hineinsickert. Aber für neue, reicht es sowieso nicht. Zuerst müssen Schulden beglichen werden. Iwona weiß, dass ihr Mann sie betrügt, kommt aber nicht von ihm weg.
Das Kind bringt sie im ungewaschenen Geländewagen zum Schwimmen und zum Deutsch, immer schneller, schminkt sich greller und steigert die Dosis, aber sachte. Täglich schwört sie sich, zu gehen und mit der Tür zu knallen, doch täglich bleibt sie und knallt mit nichts. Denn was die Bank verbindet, das löst der Mensch so leicht nicht auf.
Kamil und Iwona verbindet auch was: Ohne es zu wissen, verkauft der Dealer Kamil Kokain an Iwonas’ Mann. Der zieht es schnell, bevor er zum X-ten mal versucht mit seiner Geliebten Schluss zu machen. In „Andere Leute“ reden alle mit: Die Weinflasche gibt einen Kommentar ab und die Vögel zwitschern etwas vom Dach herab. Sogar Jesus sitzt in der Straßenbahn, mit langen Haaren, Lederlatschen an den Füßen und wird als Hippie beschimpft.

Alle anderen sind schuld

Alle sind sie süchtig nach irgendwas: Drogen, Sex, Medikamente. Und immer sind die anderen Leute schuld am eigenen Elend: Ausländer, Muslime oder Arbeitslose ebenso wie die Exfrau, die pubertierende Tochter oder Ökos:
Treibjagd auf Fasane in der Tiefkühltruhe, Gefrorenes schnappen. Im Angebot sind auch Adelswappen. Wer will es dem Reichen verbieten. Smog ist Öko-Fake. Linke Urwald-Romantik. Klima kann man leasen. Er würde zwei Autos fahren, kann sich nur eben nicht teilen.
Unglaublich dicht, rhythmisch und scharf breitet Dorota Maslowska eine Welt vor uns aus, die wir irgendwie kennen und auch wieder nicht. „Andere Leute“ eben. Dorota Maslowska zeigt die Wut, Einsamkeit und Perspektivlosigkeit mehrerer Generationen und Schichten im heutigen Polen.

Sprache wie in einem Rapsong

Das schafft sie auch mit einer besonderen Sprache. Es gibt Passagen, die klingen wie der Rap, den Kamil wohl gerne machen würde.

Porträt der Autorin

Dorota Maslowska

Daneben schnelle Dialoge und Regieanweisungen der Autorin selbst. Wie das Leben die Protagonist*innen vor sich hertreibt, treibt Dorota Maslowska in „Andere Leute“ die Leser*innen vor sich her. Ein Sog, dem man nur schwer entkommt.

Junge polnische Literatur

Dorota Maslowska ist der Popstar der jungen, polnischen Literatur und sie schreibt auch Bühnenstücke. Sie ist 1983 in Polen geboren und lebt mit ihrer Tochter in Warschau. Schon ihr Debütroman „Schneeweiß und Russenrot“ war ein großer Erfolg und wurde in mehr als zehn Sprachen übersetzt. 2005 hat sie dafür den deutschen Jugendliteraturpreis bekommen und wurde auch in Polen mit Preisen überhäuft. Dorota Maslowska experimentiert selbst mit Rap und Komposition von Musik. Und das merkt man an ihrem neuesten Roman „Andere Leute“ ebenfalls.

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