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The Longing

Studio Seufz

„The Longing“: Geduldsspiel im Dunkeln

Im deutschen Indie-Spiel „The Longing“ warten wir 400 Tage lang darauf, dass unser König aufwacht - in Echtzeit.

Von Rainer Sigl

In einem Berg mitten in Deutschland, so sagt die Kyffhäuser-Sage, schläft der „Friedenskaiser“ Barbarossa seit hunderten Jahren. Irgendwann, wenn die Not am größten ist, soll der schlafende Kaiser aufwachen und seinen Berg verlassen.

Im von dieser Sage inspirierten deutschen Videospiel „The Longing“ schläft genauso ein König tief in einem dunklen Berg, allerdings nicht für Jahrhunderte, sondern „nur“ für 400 Tage. In der Gestalt eines kleinen Zwergen bewache ich den Schlaf meines Königs und soll ihn am Ende der Frist aufwecken. Sobald ich das „Ultra-Slow Idle Adventure“ das erste Mal starte, beginnt dieser Countdown - und er läuft auch weiter, wenn ich aus dem Spiel aussteige. 400 Tage, die in Echtzeit ablaufen - das ist eine lange Zeit. Zeit, in der mein kleiner schwarzer Zwerg die riesigen Höhlen im Berg erforschen kann.

Eile mit Weile

In „The Longing“ dauert alles ewig. Mein aus der klassischen Seitenansicht gezeigter und liebevoll animierter Zwerg lässt sich provokant viel Zeit, um in der wunderschön von Hand gezeichneten Spielwelt gemütlich irgendwohin zu spazieren, und auch sonst braucht alles sagenhaft lange. Einen Abgrund darf ich erst hinunterhüpfen, wenn unten Moss gewachsen ist - das dauert geschlagene drei Wochen. Schon das mühsame Aufdrücken einer schweren Tür kann zwei Stunden Echtzeit dauern, anderswo muss ich wiederum tatenlos warten, dass Stalaktiten abbrechen, ein stetig fallender Tropfen ein Loch ganz mit Wasser aufgefüllt oder eine Spinne ein Netz gesponnen hat. Ungeduldige Zeitgenossen haben es hier schwer.

Gut, dass sich auch mein Zwerg diese regelmäßigen Wartezeiten vertreiben kann - mit dem Dekorieren seines Zimmers zum Beispiel, mit Zeichnen oder aber dem Lesen echter Bücher, die man im Spiel finden kann. Beim Warten darauf, dass etwas passiert, kann man Klassiker wie „Moby Dick“ oder andere Schmöker der Weltliteratur lesen - oder sie zumindest lesen lassen.

The Longing

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Ausnahmespiel als Geduldsprobe

„The Longing“ ist absolut originell, mit “normalen” Spielen hat es allerdings wenig gemeinsam. Hier geht es nicht um Geschick oder das Lösen von Rätseln, sondern um Geduld und Hartnäckigkeit - nicht umsonst nennen die Macher das Genre der „idle games“, also Spiele, die über lange Zeitspannen quasi von selbst laufen und nur wenig Input benötigen, als Vorbild.

„The Longing“ ist für Windows, Mac und Linux erschienen.

Am besten lässt man das hübsche Spiel einfach im Hintergrund laufen oder beendet es, wenn man seinem Zwerg besonders zeitaufwendige Aufgaben gegeben hat. Nach dem Ablauf der Frist von 400 Tagen endet das Spiel übrigens automatisch - doch wer weiß, ob für meinen Zwerg nicht vielleicht doch noch schon früher eine Flucht aus dem Berg möglich ist, auch wenn genau das der strenge König vorm Einschlafen verboten hat?

Wer ungewöhnliche Spielideen mag, findet in „The Longing“ so etwas wie das langsamste Tamagotchi der Spielegeschichte. Ein sympathisches, durchaus sperriges und mit viel Liebe gemachtes Spiel, das ein melancholisches Gefühl der Einsamkeit vermittelt und in das man im besten Fall immer wieder mal reinschaut - 400 Tage lang.

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