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APA/AFP/Andreas SOLARO

Blumenaus 20er-Journal

Nichts über Corona

Die Frage warum sich das Virus ausgerechnet in Italien so stark ausgebreitet hat, bleibt unbeantwortbar.

Von Martin Blumenau

Das ist keine journalistische Story, sondern ein Meta-Text darüber, wie es ist, wenn trotz Vermutungen und Bemühungen keine Geschichte überbleibt. Und warum das auch besser so ist.

Ich habe weder Interesse an Krankheiten noch an Angst, auch privat. Bei Italien ist das anders, das hat familiäre (dazu vielleicht einmal später mehr, mein Vater hieß nicht zufällig Mario) und natürlich auch sommerurlaubsmäßige Gründe. Vielleicht interessiert mich deshalb die (wenig gestellte und noch weniger beantwortete) Frage, warum der/das Corona-Virus ausgerechnet in Italien so unverhältnismäßig stark ausgebrochen ist.

Vorgestern konnte sie mir, ganz nebenbei, jemand beantworten: das wäre doch klar, es sind die teilweise illegalen, in jedem Fall unter üblen Bedingungen produzierenden Pronto Moda-Sweatshops in Norditalien, wo Chinesen teure Made in Italy-Mode für die großen Labels herstellen.

Vielleicht kennt ihr das; ein simpler Hinweis lässt im Kopf sofort eine logische und stringente Beweiskette losrattern, die Geschichte ist quasi aufgelegt und passt auch noch ins Weltbild: der gierige Konzern-Kapitalismus holt sich über seine ausbeuterischen, neoimperialistischen trails nicht nur die massive Geschäftsstörung, sondern auch noch den potentiellen pandemischen Tod ins Haus Europa. Zu gut um wahr zu sein.

Also frage ich meinen Vertrauensmann, was Wirtschaft in Kombination mit China betrifft, den ehemaligen FM4-Kollegen Hans Wu, jetzt Redakteur der TV-Sendung Eco. Der sagt, dass dieser Zusammenhang auch seine allererste Vermutung war, vor allem wegen der Nähe der Sweatshops zu den Modezentren im Norden. Allein, er hatte keine Belege dafür gefunden.

Was das für die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Medium bedeutet, ist klar: Finger weg. Wo der Boulevard an dieser Stelle spekulieren würde (mit Fragezeichen arbeiten, sehr beliebt), gilt für den ORF, vor allem in globalen und nationalen Krisenfällen wie diesen noch viel mehr als sonst: Fakten, und sonst gar nichts. Und die Faktenlage ist dünn. In Prato etwa, wo die größte chinesische Enklave der Kleiderherstellung angesiedelt ist, gab es (Stand vorgestern) keinen einzigen Ansteckungsfall.

Ich suche nach Medienberichten und stoße dabei einerseits auf Berichte wie hier in der NZZ, die die ökonomischen Zusammenhänge beschreiben und andererseits auf vereinzelte Spekulationen wie hier auf Herrn Pilzens Zackzack.at, wo die Korrelation zwischen chinesischen Arbeitsmigranten und allgemeinen Ansteckungsfällen für eine Veröffentlichung ausreicht. Der Satz „Niemand weiß, wie viele der chinesischen Arbeiter tatsächlich infiziert, wie viele ernsthaft krank sind und wo sich aufhalten“, erklärt das Dilemma. Dieses Nichtwissen ist in beide Richtungen interpretierbar.

Nur weil die implizierte Lesart, dass die Illegalen die Überträger sein müssen, mit einer wichtigen Geschichte der Ausbeutung einher geht (die sich in diesem Kontext auch dramatisch erzählen lässt), bedeutet nicht, dass sie dadurch wahrer wird.

Ich kontaktiere das Korrespondentinnen-Büro des ORF in Rom und frage nach, ob diese pronto moda-Spur in Italien selber ein Thema ist. Mathilde Schwabeneder antwortet, dass sie diese Gerüchte vor allem aus Österreich kenne. In Italien wären sie kein Thema. Überhaupt würden aktuell dutzende Spuren nach den Schuldigen (und es schwingt durchaus Abscheu vor dieser Vorgangsweise mit) verfolgt. Außerdem sei die chinesische Gemeinde in Italien nicht besonders betroffen. Die ersten Patienten in Italien waren zwei (inzwischen wieder gesundete) chinesische Touristen, von denen bis vor kurzen Massen Italien besucht hatten.

Damit ist die kapitalismuskritische Erzählung abgesagt; auch wenn ihr Kern wahr ist. Das ist, auch weil es keine andere schlüssige Erklärung gibt, natürlich unbefriedigend. Aber vielleicht, und das ist der Zugang meiner Südtiroler Kollegin Ute Hölzl, haben die hohen italienischen Zahlen auch einen ganz anderen Grund: wer nämlich, wie die italienischen Behörden schon sehr früh sehr umfassend untersucht und getestet hat, erreicht ganz von selbst höhere Werte bei Infektionen und Todesfällen. Anderswo in Europa sterben ältere Menschen halt an Lungenentzündung oder der „normalen“ Grippe und werden, weil sie kein Verdachtsfall waren und nicht getestet wurden, auch nicht eingerechnet.

Der Versuch der schnellen Einordnung in einem Bereich, der auf Basis von wissenschaftlichen Untersuchungen funktioniert, also auf mittel- und langfristige Checks ausgelegt ist, ist per se zum Scheitern verurteilt. Wie es wirklich war, wird die WHO vielleicht in ein paar Monaten wissen; oder auch nie.

Die menschliche Neugier es schnell wissen zu wollen und sich mit der erstbesten passenden Antwort einzulassen, schadet dieser Aufklärung mehr als es der Befriedigung dient. Weiß ich jetzt. Immerhin auch eine Erkenntnis.

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