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Pflegerinnen am Krankenbett

APA/dpa/Patrick Seeger

Care-Arbeit in Krisenzeiten

Ältere Menschen müssen gepflegt, Kinder betreut, Kranke versorgt werden. Solche Care-Tätigkeiten sind immer systemrelevant, nicht nur in der Krise. Im Job und Zuhause. Rechnet man alles zusammen - bezahlte und unbezahlte Arbeit - arbeiten Frauen im Schnitt eine Stunde mehr pro Tag als Männer. Das rechnet Autor Sascha Verlan vor. Mit Almut Schnerring hat er das Buch „Equal Care“ geschrieben.

Von Lena Raffetseder

„Wer Schweine erzieht, ist ein produktives, wer Menschen erzieht ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft.“ Im 19. Jahrhundert hat der Ökonom Friedrich List provokant definiert, was als „richtige“ Arbeit zählt und was nicht. Dabei sind wir ein Leben lang darauf angewiesen, dass sich jemand um uns sorgt. Nicht nur als Kinder oder im Alter, auch in den Jahren dazwischen. All das fällt unter den Begriff „Care-Arbeit“.

Diese Tätigkeiten werden in unserer Gesellschaft zu einem großen Teil von Frauen erledigt. Frauen arbeiten häufiger in den Branchen Erziehung und Unterricht, oder im Sozialwesen . Frauen machen zum Beispiel fast 90% des Pflegepersonals aus. In Volksschulen gibt es über 90% Lehrerinnen. Bei der Betreuung in Kindergärten liegt der Frauenanteil sogar bei 97%. Dieses ungleiche Verhältnis bei Care-Tätigkeiten besteht aber nicht nur im professionellen Bereich, sondern auch Zuhause.

Die aktuellste Zeitverwendungsstudie in Österreich zeigt geschlechtsspezifische Unterschiede im Haushalt: Frauen haben 2008/09 täglich 3 Stunden 42 Minuten mit Arbeit im Haushalt verbracht, Männer nicht einmal zwei Stunden. Auch die Kinder werden hauptsächlich von Frauen versorgt. Frauen gehen zwar häufiger einer Erwerbstätigkeit nach als noch vor ein paar Jahrzehnten, Männer haben sich aber nicht in gleichem Maß der Care-Arbeit angenommen. Werden Care-Tätigkeiten dann ausgelagert, etwa an Putzdienste oder Kindertagesstätten, werden sie eben auch dort von Frauen gemacht. Dazu kommen noch unsichtbare Tätigkeiten, wie etwa die Last der laufenden Haushaltsplanung, der sogenannten Mental Load . Um all diese Ungleichverteilungen geht es in dem Buch „Equal Care“ von Almut Schnerring und Sascha Verlan.

Aufteilung in den Köpfen beginnt früh

Die Grundthese in „Equal Care“ lautet: Nur wenn Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern gerecht aufgeteilt wird, haben alle Menschen gleichermaßen die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe. Die ungerechte Aufteilung dieser Sorgearbeit ist für die Autor*innen die Ursache für andere Ungleichheiten: „Der Care Gap ist die Urgroßmutter aller anderen Gaps“. Etwa dem Gender Pay Gap, weil diese Care-Berufe schlechter entlohnt werden und Frauen eher teilzeit arbeiten.

Bücherstapel von Exemplaren des Buchs "Equal Care"

Almut Schnerring/wu2k.de

„Equal Care“ (160 S.) von Almut Schnerring und Sascha Verlan ist im Verbrecher Verlag erschienen

Jetzt kann man natürlich sagen, dass sich alle den Beruf selbst aussuchen. Laut Autor Sascha Verlan hört die persönliche Freiheit aber bei Verhältnissen von über 80% auf. Denn sobald die Geschlechterverhältnisse so eklatant sind, ist es schwer, als vermeintliche Außenseiter*in die vielen Hürden und Vorbehalte zu überwinden.

Diese Prägung, dass Frauen fürsorglicher und für Sorgearbeit besser geeignet wären, beginnt früh. Mädchen im Alter von 5 bis 14 Jahren arbeiten weltweit am Tag 160 Millionen Stunden mehr im Haushalt als gleichaltrige Buben. Die dürfen in der Zeit spielen. Aber nicht mit Puppen, denn auch beim Spielzeug sollen eher die Mädchen üben, fürsorglich zu sein. Verlan betont, dass es für Männer auch Nachteile bringt: „Dieses sich nicht um andere kümmern geht einher mit sich nicht um sich selbst kümmern.“ Männer gehen etwa später zum Arzt, ihnen wird zudem beigebracht, risikofreundlicher zu sein.

In „Equal Care“ geht es aber nicht um Schuld, sondern darum, diese Entwicklungen zu erkennen und zu ändern. Dabei hinterfragt man zwangsläufig die eigene Erziehung, das eigene Umfeld, womöglich auch Karriereentscheidungen.

Systemrelevanz nicht nur in der Krise

Verlan findet es gut, dass gerade darüber geredet wird, wie systemrelevant Care-Tätigkeiten sind. Aber ihm fehlt ein entscheidender Aspekt: „Es wird viel darüber geredet, dass man die Krankenhäuser besser ausstatten muss, da geht’s um technische Infrastruktur. Es geht aber nicht um die Löhne und Gehälter der Personen, die da gerade dieses System am Laufen halten.“

Der Autor spricht von schleichenden Prozessen, die jetzt sichtbar werden. Etwa dass es immer weniger Fachkräfte in der Pflege gibt. Um die Bedingungen zu verbessern, hatten Pflegekräfte noch diesen Monat die 35-Stunden-Woche gefordert und mit Warnstreiks auf die Situation aufmerksam gemacht. Jetzt hätten sie gerade eine enorme Machtposition, die sie aber nicht nutzen können. Menschen in der Pflege können jetzt nicht streiken. Sascha Verlan fordert: „Nicht aufhören zu applaudieren, wenn alles wieder normal ist." Unsere Dankbarkeit muss sich dann in Unterstützung verwandeln.

Schneller geht das vielleicht bei der Care-Arbeit Zuhause. Auf engem Raum wird wohl klarer, wer was wann tut. Wer den Überblick behält und wie viel von Frauen abhängt. Jedes Paar ist in der Pflicht, angelernte Muster zu erkennen und aufzubrechen, sagt Verlan: „Und dann vielleicht auch Ideen zu entwickeln, wie es in der Zeit danach weitergehen könnte."

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