FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Demonstrant mit Schild "Impfterrorismus"

APA/dpa/Christophe Gateau

Das Buch „Fake Facts“ zeigt, wie gefährlich Verschwörungstheorien sind

Schon das Wort „Verschwörungstheorie“ ist problematisch, schreiben die Bürgerrechtsaktivistin Katharina Nocun und die Psychologin Pia Lamberty in ihrem Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Welche Bedeutung haben Verschwörungserzählungen für unsere Gesellschaft?

Von Maria Motter

Dass sie von Verschwörungsideologen für ihr Buch angegangen werden, davon gehen die Bürgerrechtsaktivistin Katharina Nocun und die Psychologin Pia Lamberty aus. „Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ heißt die Neuerscheinung, die darlegt, wie Verschwörungserzählungen das gesellschaftliche Leben beeinflussen können.

Katharina Nocun

Miriam Juschkat

Bürgerrechtsaktivistin und Autorin Katharina Nocun versteht es, komplexe Sachverhalte flott zu beschreiben und dennoch tiefgründig zu erklären.

„Ich bin es gewohnt, von diversen Gruppen angegangen zu werden, die zwar sagen, sie sind für Meinungsfreiheit. Aber wenn man sie kritisiert, ist es plötzlich anders. Dann hat man Vergewaltigungsandrohungen im Mail-Postfach“, sagt Katharina Nocun im FM4-Interview. Auf ihrem Blog hat sie viel über rechtsextremischtische Bewegungen und die AfD publiziert. „Eine meiner früheren Adressen steht mittlerweile auch auf einer dieser Todeslisten, die kursieren. Ich lass mir von niemandem den Mund verbieten und ich glaube, das ist eben das Problem, dass viele nicht sehen, dass es alles andere als harmlos ist, dass in diesem Milieu auch gewaltbereite Leute und Gruppen mitschwimmen, die wirklich versuchen, Menschen mundtot zu machen.“

Wie ein eigener Mikrokosmos in der Gesellschaft

Angesichts sogenannter „Hygiene-Demos“ drängen sich Fragen auf. Haben demokratische Staaten genug Handhabe? Wie sicher sind wir, um Fake Facts noch genug entgegensetzen zu können? Ab welchen Meinungen wird es gefährlich?

Katharina Nocun hat Antworten. „Man muss unterscheiden: Was ist illegal, etwa Volksverhetzung, Verleumdung und Beleidigung. Und was ist gefährlich, aber trotzdem legal. Wenn es Gruppen gibt, die beispielsweise behaupten, es gibt eine globale jüdische Weltverschwörung und das ein bisschen verklausuliert ausdrücken, sodass es im rechtlichen Rahmen ist, heißt das ja trotzdem nicht, dass es ungefährlich ist. Das Problem ist: wenn Menschen wirklich glauben, dass es um sie herum eine umfassende Verschwörung gibt, dann koppeln sie sich auch von der Gesellschaft ab.“

Man dringe dann nicht mehr zu den Menschen durch. „Selbst wenn man ihnen einen Faktencheck schickt, sagen sie, ‚Das ist Teil der Systemmedien, ich vertrau nur noch diesen fünf YouTube-Kanälen‘. Und das ist der Punkt, wo es richtig gefährlich wird, weil man dann auch in Diskussionen keinen gemeinsamen Nenner mehr hat. Man hat quasi keine geteilte Realität oder Wahrheit mehr. Und da wird’s wirklich schwierig, die Leute dann noch rauszuziehen. Das ist wie ein eigener Mikrokosmos innerhalb der Gesellschaft.“

Es gibt keine technische Lösung

Katharina Nocun ist davon überzeugt, dass Technik das soziale Problem nicht lösen kann. Im Endeffekt bräuchten wir alle vielleicht keine technische Firewall, sondern wir bräuchten sie bei uns: dass wir ein bisschen sensibler dafür werden, wann wir anfällig für so etwas sind und auch dafür, wenn zwischen Narrativen von der Politik gespielt wird.

Einen großen Beitrag zur Sensibilisierung leistet das Sachbuch „Fake Facts“ mit seinen vielen Belegen. Es sind nicht nur die zitierten Erkenntnisse aus Studien - auf die die Autorinnen zwar verweisen und die sie meist nur kurzfassen -, sondern vor allem die vielen konkreten Beispiele für Auswirkungen von Verschwörungstheorien in der jüngeren Geschichte und in unserer Gegenwart, die einen kompakten Überblick über das Ausmaß an Irrungen und gesteuerter Verbreitung von Fehlmeinungen bieten.

Dabei fängt es schon beim Wort selbst an. Der Begriff „Verschwörungstheorie“ sei problematisch, so die Autorinnen, denn eine Theorie ist eine wissenschaftliche nachprüfbare Annahme über die Welt. „Die Verschwörungserzählung zeichnet sich aber genau dadurch aus, dass sie sich der Nachprüfbarkeit entzieht.“ Und von einer Verschwörungsideologie spricht man, wenn die Verschwörung die Grundvoraussetzung weiterer Überlegungen ist.

Es gibt sogar eine Verschwörungstheorie zur Herkunft des Worts selbst. Erstes Debunking, also Entlarven einer Fehlmeinung: Der Philosoph Karl Popper hat den Begriff 1945 geprägt. Nahezu jedes historische Ereignis wird mit Verschwörungserzählungen bedacht. Politische Parteien nutzen Verschwörungserzählungen, um ihre Agenda zu pushen und esoterische Geschäftsleute verwandeln den Glauben daran in ihren Gewinn - all das ist bekannt.

Ein erschreckend imposantes Spektrum

Doch strukturiert präsentiert und mit ungezählten Fallbeispielen im Buch illustriert, erscheint nicht allein das Spektrum erschreckend imposant, sondern auch die versuchte oder bereits tatsächliche Einflussnahmen auf nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche: Klimamythen, die auf Staatskonferenzen vom Podium verkündet werden. Antisemitische Verschwörungserzählungen, die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts jüdische Menschen als Bedrohung hinstellten und als Legitimation für Pogrome, also gewalttätige Übergriffe dienten – Jahrhunderte später griffen die Nationalsozialist*innen diese wieder auf und erfanden neue, antisemitische Verschwörungserzählungen. Die Verschwörungsideologien in der extremen Rechten werden in einem weiteren Kapitel beleuchtet. Aber Verschwörungmythen gab und gibt es in allen politischen Spektren, von linker Seite - etwa die Kartoffelkäfer-Verschwörung, und bei den Occupy Wall Street Protesten wurden antisemtische Verschwörungserzählungen breitgetreten - und in der Mitte.

Das schliche Cover des Buchs "Fake Facts"

Quadriga Verlag

„Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ ist im Mai 2020 im Quadriga Verlag erschienen.

Auch im Gesundheitsbereich kann Verschwörungsdenken tödlich sein. Für die Ereignisse und Fehlmeinungen zum SARS-CoV-2 war ein eigenes Kapitel erforderlich. Denn: „Fake News und Verschwörungserzählungen, darin waren sich Experten weltweit einig, haben sich direkt zu Beginn der COVID-19-Pandemie ähnlich rasant verbreitet wie das Virus selbst. Bereits im Februar 2020 warnte der Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus, dass die Welt es nicht nur mit einer Pandemie, sondern auch mit einer „Infodemie“ zu tun haben“. Die Undercover-Recherche auf einer Esoterikmesse macht deutlich, wie sich aus Verzweiflung und Gutgläubigkeit finanzieller Profit schlagen lässt.

Ein Lieblingskapitel heißt „Flache Erde und Echsenmenschen auf YouTube & Co. - Spaßfaktor oder Radikalisierungsbeschleuniger?“ Doch die Autorinnen vermeiden es tunlichst, sich über Menschen lustig zu machen. Das heißt nicht, dass „Fake Facts“ nicht ein unterhaltender Lesestoff ist. Aber Katharina Nocun und Pia Lamberty wollen mit „Fake Facts“ einen Beitrag leisten, die Situation zu entschärfen. Und sie halten fest: „Das Widerlegen von Hypothesen allein reicht nicht aus, um jemanden zum Umdenken zu bewegen“.

Das Buch „Fake Facts“ bietet zu Beginn einen Psychotest und endet mit dem Kapitel „Papa glaubt an Chemtrails?“, in dem es um Handlungsanweisungen geht, wie man sich verhalten kann, wenn einen Menschen im nahen Umfeld mit höchst abstrusem Gedankengut konfrontieren.

Sich keine Bären aufbinden lassen

Wie das Gefühl, kaum mehr Kontrolle über das eigene Leben zu haben, einen ungeahnten Glauben an Erzählungen auslösen kann, und dass wiederum manche Menschen Verschwörungserzählungen als instrumentellen Teil ihres Selbstbildes sehen, wird im Buch sehr nachvollziehbar erklärt.

Zum Weiterlesen

„Ich meine: Wer will sich nicht besonders fühlen? Wenn man an so ein Konstrukt glaubt, dann hat man so eine Schwarz-Weiß-Welt und in der gehört man immer zu den Guten und ist Teil derjenigen, die die ‚Wahrheit‘ kennen. Das ist ein bisschen wie in einem Endzeit-Actionfilm, man ist der Held seines eigenen Films. Und wer möchte das schon gerne aufgeben? Vor allem muss man sich überlegen, wie stark der Wechsel ist. Vorher hat man die ganze Zeit das Gefühl, der Held in der ganz großen Geschichte zu sein. Und wenn man sich eingesteht, was tatsächlich passiert ist, ist man halt einfach nur irgendwelchen YouTube-Videos hinterhergelaufen. Das kratzt natürlich sehr stark am Selbstbild“, sagt Katharina Nocun. Die Rolle von YouTube wird sowohl in ihrem neuen Buch als auch im aktuellen New York Times-Podcast „Down the rabbit hole“ beleuchtet.

Im FM4-Interview erzählt Katharina Nocun auf die Frage, ob es eine Verschwörungserzählung gebe, an der sie hängengeblieben ist - ob aus Amüsement, weil sie so abwegig oder aber auch derart plausibel wäre -, eine, die alle Absurdität auf den Punkt bringt:

„Ich fand es interessant, dass es anscheinend eine gängige Strategie ist, sich innerhalb dieses Milieus gegenseitig zu diskreditieren, indem man dem anderen vorwirft, eigentlich Teil der Verschwörung zu sein und somit kein Verschwörungsideologe. Beispielsweise wurde in Flat-Earth-Theory-Kreisen der Vorwurf laut, ein gewisser YouTuber sei gar nicht einer von ihnen, sondern der sei Teil der NASA und Teil der Mondverschwörung. Wie quasi die Strategien, die Leute gegen die Welt und gegen andere einsetzen, sich plötzich gegen sie selbst wenden, fand ich schon belustigend und ich habe mich gefragt, ob die vielleicht auch etwas reflektieren.“

mehr Buch:

Aktuell: