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act of the day

Austrian Act of the day: Lukas König alias Koenig

Schlagwerkpurismus in Höchstform: Lukas König und sein neues Solo-Album „Messing“, das am 3. Juni 2020 bei Ventil Records erscheint.

Von Katharina Seidler

Der Mensch ist, wie man weiß, ein Gewohnheitstier. Er isst gerne, was er schon als Kind geliebt hat, er übernimmt Verhaltensweisen, die er von Gesellschaft und Familie vorgezeigt bekommen hat, und auch, was die Hörgewohnheiten betrifft, folgt das menschliche Gehör einer teils jahrhundertealten Prägung. In der westlichen Welt besteht diese Prägung spätestens seit dem Barock aus gewissen Tonstufenfolgen, zum Beispiel 1-4-5-1, die sich einfach „richtig“ und demnach „angenehm“ anfühlen. Ein sehr interessanter Artikel auf Pitchfork namens „Why do we even listen to new music?“ erläuterte unlängst, wie das menschliche Gehirn auf bekannte Hörimpulse mit einer Belohnung reagiert, mit einer kleinen Dosis Dopamin. Wir lieben ein Lied, weil es uns an etwas erinnert, das wir lieben, das uns an etwas erinnert, das wir lieben, und so weiter.

All dies wäre enttäuschend, wenn es nicht möglich wäre, diese angelernten Gewohnheiten zu erweitern. Diese Erinnerung, das wohlige Gefühl des Vertrauten, kann man austricksen, indem man entweder die Grenzen sanft dehnt, oder aber sie aus einem plötzlichen Hinterhalt mit etwas Neuem attackiert. Bei der Uraufführung von Igor Strawinskys „Le Sacre Du Printemps“ im Jahr 1913 in Paris kam es zu einem Skandal. Die Besucherinnen und Besucher drehten buchstäblich durch, als all die ungewohnten Dissonanzen, Polytonalitäten und Polyrhythmen auf sie losgelassen wurden. Es gab Geschrei und Handgreiflichkeiten, und nur unter größter Mühe konnte die Premiere überhaupt zu Ende gebracht werden. Eine genaue Beschreibung der wahnwitzigen Vorgänge rund um „Le Sacre du Printemps“ kann man ebenfalls in dem erwähnten Artikel nachlesen. Ab der dritten Aufführung hatten sich die Wutschreie jedenfalls in Jubel verwandelt, eine neue Musik war geboren.

Während sich viele Menschen gerade in dramatischen Zeiten wie der Coronakrise automatisch zu tröstlich-vertrauten Klängen und Gewohnheiten zurückziehen, lauern um die Ecke in der Zukunft ebensoviel Trost und Hoffnung, wenn man ihnen nur eine Chance gibt. Dies weiß auch einer, der die eigenen Hörgewohnheiten, ebenso wie die seines Publikums, nur allzugerne auf die Probe stellt. Beim Streifzug durch die Welt der abenteuerlustigsten und innovativsten Musiker*innen des Landes landet man schnell einmal bei Lukas König. Man kennt ihn seit vielen Jahren als umtriebigen Schlagzeug-Berserker, sowohl im freigeistigsten Jazzkontext als auch mit poppigeren Formationen wie der Artpop-Band 5KHD. Bei den gigantischen Bühnenshows von Bilderbuch sitzt Koenig als zweiter Schlagzeuger auf der Bühne, außerdem war er viele Jahre im kongenialen Duo mit Leo Riegler als Koenigleopold an den Rändern von Dada-Pop, Hip Hop und Klangkunst unterwegs.

Am 3. Juni wird Lukas König sein neues Soloalbum „Messing“ bei Ventil Records veröffentlichen. Die Zeiten seiner goofyhaften US-Rap-Aneignung, zuletzt etwa zu hören auf seinem letzten Soloalbum „Best of 28“, sind für ihn damit vorerst vorbei; auch dem Pop von 5KHD kehrte Koenig letztes Jahr den Rücken zu. Einer wie er will in Bewegung bleiben. Folgerichtig ist „Messing“, wie der Pressetext richtig vermerkt, nichts weniger als eine direkte Absage an alles, was straighte Popmusik ausmacht. Vielmehr besteht es aus konzentrierten Klangstudien, ein Album als heruntergekochter Rhythmussirup aus riesigen Jamsessions, die Lukas König nach einem streng minimalistischen, wenn auch zufällig entstandenen Konzept aufgenommen hat.

Der Titel „Messing“ steht hierbei für zweierlei Dinge, einerseits für das englische Verb „to mess around“, dessen Verspieltheit in jedem der zehn neuen Koenig-Tracks zum Ausdruck kommt, und andererseits geht es auch um das Metall „Messing“ – auf diesem, genauer gesagt auf einem einzigen Becken aus ebendiesem Material, hat Koenig sein ganzes Album nämlich eingespielt. Dieses Becken wird im Laufe des Albums mit Drumsticks und Essens-Stäbchen bespielt und mit zwei Metall-Vibratoren zum Schwingen gebracht, wird verformt und verbogen, sanft gestreichelt oder fest beklopft.

Diese endlosen Klangstudien am Becken brachte Koenig dann in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Nik Hummer und dessen Modularsynthesizern in eine konzentrierte Form. Die Reduktion der Mittel, bedingt durch die Lautstärkebeschränkungen in einem zum Proberaum umgewandelten Lagerraum, stellte sich als Befreiung heraus: „Messing“ ist furchtlos und inspiriert.

Das ewige „lyrische Ich“ aus vielen Rap- und Pop-Songs nimmt Koenig als Vokalist in dem Track „Eyeball“ (siehe: der Reim mit dem englischen „Ich“) aufs Korn, ansonsten verstummt er im Gegensatz zu seinen früheren Produktionen und überlässt das Mikrophon in dreien der vier nicht-instrumentalen Nummern auf „Messing“ lieber anderen. So rappen, schreien, singsangen und schnellsprechen sich in den Tracks „Mr. Kiwi’s“ und „Handrolls“ der erratische New Yorker MC Sensational sowie die britische Vokal-Freestylerin Elvin Brandhi virtuos um Kopf und Kragen über eigentlich un-be-rapp-bare Beats, und in Zusammenarbeit mit Karolina Preuschl alias Coco Béchamel (ehemals MC Rhine, die ebenfalls bereits mit Koenigleopold kollaborierte) ist mit „Sesselleiste“ der möglicherweise wichtigste politische Song der österreichischen Jetztzeit entstanden.

Was als Hasstirade gegen Sesselleisten beginnt, also gegen etwas, das vermeintliche Brüche an der Oberfläche überdeckt und beschönt, wird durch die Wortsalven von Coco Béchamel schnell zu einer Nummer, die in der Tradition der politischen Sprachspiele von Ernst Jandl steht, mit der tiefen Abneigung gegen die österreichische Vergangenheitsverdrängung von Thomas Bernhard getränkt ist und auch von dem funky Politikbewusstsein der Goldenen Zitronen gekostet hat. „Sesselleiste“, entstanden nach dem Sehen von Ruth Beckermanns Dokumentation „Waldheims Walzer“, ist eine Sensation.

Am letzten Sonntag war Lukas König in FM4 Im Sumpf zum Interview zu Gast. Das Gespräch sowie zahlreiche Songs aus dem Album (inklusive „Sesselleiste“ um ca. 21.47 Uhr) kann man hier nachhören:

Das Releasekonzert von „Messing“ wird am 3. Juni 2020 stattfinden, und zwar nicht nur als Stream im Internet, sondern aufgrund der mit Ende Mai gelockerten Corona-Regeln sogar vor gezählten 90 Personen live im Porgy und Bess. Musik so unmittelbar und in Echtzeit erschaffen auf einer Bühne vor Menschen – der Gedanke erscheint nach der Durststrecke der letzten Monate beinahe als kleines Wunder.

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