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Armut und schlechte Arbeitsbedingungen befeuern Corona

Armut und schlechte Arbeitsbedingungen machen krank. Das zeigen die aktuellen Corona-Cluster rund um zwei Postverteilungszentren und die Asylzentren in Erdberg und Traiskirchen. Aber wie hängt das wirklich zusammen?

Von Ambra Schuster

Zu Beginn der Krise waren es in Österreich noch die Urlauber*innen aus Ischgl und Italien, die von Corona betroffen waren. Kosmopoliten, Reisende und eher Menschen mit mittlerem bis höherem Einkommen. In den letzten Wochen hat sich das Blatt aber gewendet.

Die aktuellen Corona-Cluster, die in den letzten Tagen schon ein politisches Hickhack ausgelöst haben, betreffen vor allem sozial Schwächere. Die meisten der aktuellen Corona-Fälle gehen auf zwei Postverteilerzentren in Wien-Inzersdorf und Hagenbrunn und zwei Asylzentren in Wien Erdberg und Traiskirchen in Niederösterreich zurück. Diese neuen Cluster zeigen vor allem eines sehr deutlich: Corona verbreitet sich dort am schnellsten, wo prekäre Wohn- und Arbeitsbedingungen herrschen. Immer wieder in der Kritik standen demnach sogenannte überlassene Arbeitskräfte, also Leiharbeiter. Die Ansteckungskette setzte sich über sie bis in ein Asylheim in Erdberg fort.

Prekäre Arbeitsbedingungen & Leiharbeit als Öl im Feuer

Die Pauschalverurteilung der leiharbeitenden Asylwerber, Corona verbreitet zu haben, bezeichnet man bei der zuständigen Gewerkschaft für Zeitarbeit Pro Ge als falsch. Vielmehr sehe man den Arbeitgeber selbst, also die Post und die entsprechenden Leiharbeitsfirmen, in der Verantwortung. „Diese Menschen wurden zu Seuchenvögeln gemacht, weil sie in einer Situation arbeiten mussten, wo die Verantwortlichen nicht darauf geachtet haben, dass entsprechende Hygienemaßnahmen und Richtlinien rigoros eingehalten werden“, sagt Thomas Grammelhofer von der Gewerkschaft Pro Ge. Der Arbeitnehmer*innenschutz am Beschäftigungsort sei vernachlässigt worden, sonst hätten sich Stammmitarbeiter*innen der Post gar nicht erst anstecken können.

Neben dem mangelnden Schutz dürfte ein weiteres Problem sein, dass viele der Zeitarbeiter*innen ihre Rechte im Krankheitsfall nicht ausreichend kennen. Auch sie müssen wie normale Arbeitnehmer*innen im Krankheitsfall weiter bezahlt werden. Weil ihnen das aber oft anderes vermittelt wird, gehen sie trotz Symptomen arbeiten und stecken so andere an. Die Leiharbeitsfirmen, die Mitarbeiter*innen an die Post überlassen, hat die Gewerkschaft schon länger am Radar. In den letzten Jahren soll hier immer wieder mit unseriösen Firmen kooperiert worden sein, die etwa keine Gewerbeberechtigung hatten oder nach Kontrollen der Finanzpolizei in Konkurs gegangen sind. Die internen Kontrollen, mit wem zusammengearbeitet wird, hätten bei der Post versagt, so Grammelhofer.

Paketdienste, Erntehelfer*innen, Menschen im Lebensmittelhandel – viele der systemerhaltenden Jobs sind gleichzeitig schlechter bezahlte. Allein durch ihren Arbeitsalltag steigt für Menschen mit geringerem Einkommen das Infektionsrisiko. Zuhause bleiben und im Homeoffice arbeiten, bleibt vielfach dem besserverdienenden obersten Einkommensdrittel vorbehalten. Aber nicht nur schlechte Arbeitsbedingungen machen krank, auch Armut ganz generell macht krank.

Warum Corona arme Menschen härter trifft

Menschen, die über längere Zeit in engen, ärmlichen Verhältnissen leben, sind vulnerabler und anfälliger für Krankheiten und Infektionen. Das ist nichts Neues, gilt aber in der Krise besonders. Arme Menschen sterben auch früher, sagt Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der Armutskonferenz. Das liege am konstanten Alltagsstress dieser Menschen, der die Widerstandfähigkeit herabsetzt. Und sich auch negativ auf die Psyche auswirkt.

Menschen, die in schlechten Einkommensverhältnissen leben, leiden häufiger unter Angstzustände und Depressionen. „Derzeit kommen viele Leute in die Beratung, die klassische Burnout Symptome haben. Bei Burnout denkt man eigentlich immer an Manager, aber das ist falsch. Wir wissen, dass Burnout bei den unteren Einkommen viel häufiger vorkommt, weil sie im Gegensatz zum Manager keine Ressourcen und Freiheiten haben, um mit dem Stress umzugehen“, sagt Schenk. Es ist ein Teufelskreis aus schwierigen, belastenden Situationen und gleichzeitig weniger Ressourcen, diese zu bewältigen.

Zu den schlechten körperlichen und psychischen Voraussetzungen in der Krise kommen schlechte Wohnverhältnisse. Feuchte und schimmelige Wohnungen belasten die Atemwegsorgane. Und die sind, wie wir wissen, gerade bei Corona besonders heikel. Auch die Lage der Wohnung spielt eine Rolle. Aus Amerika weiß man mittlerweile, dass Menschen, die in Gegenden mit hoher Feinstaubbelastung wohnen, schlechtere Prognosen haben, wenn sie an Corona erkranken. Genau in diesen Gegenden, wohnt es sich aber oft günstiger.

Die Verteilungsfrage

Dass arme Menschen in dieser Pandemie schlechter dastehen, ist keine Überraschung. Die Corona-Krise sei lediglich ein Vergrößerungsglas für die soziale Ungleichheit, die auch sonst besteht, so Schenk. Er fordert deshalb, dass schon jetzt geklärt wird, wie Corona-Medikamente in Zukunft verteilt werden. Nicht zuletzt auch die Impfung. „Die große Frage in Europa wird sein, wie können wir eine Impfung gerecht und solidarisch verteilen, sodass jeder unabhängig von Einkommen, Geschlecht und Herkunft einen Zugang hat?“

Ähnlich argumentieren auch die Ärzte ohne Grenzen. Sie forderten in einem Pressestatement letzte Woche, dass Pharmafirmen auf Patente für Medikamente, Impfstoffe und Tests verzichtet sollen. Außerdem sollen Regierungen Preiskontrollen einführen, sodass überhöhte Preise und der damit eingeschränkte Zugang nicht zum Verlust von Menschenleben führen.

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