FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Gesicht von Trump und Logos von verschiedenen sozialen Netzwerken

radio fm4

Die Social Media Welt wankt

Twitter hat einen Vorstoß gemacht und begonnen, Tweets von Donald Trump zu moderieren. Seitdem musste es in der Social Media Welt schnell gehen. Die lang andauernde Diskussion darüber was Social Media darf, nicht darf und was es muss, ist durch die #blacklivesmatter Bewegung plötzlich über Nacht dringend geworden.

Von Claus Diwisch

In den vergangenen Tagen ist auch auf Social Media viel passiert. Eine kurze Zusammenfassung: Twitter hat erstmals zwei Tweets von Donald Trump mit Kennzeichnungen und Faktenchecks versehen und einen anderen hinter einer Warnung vor “glorifying violence” versteckt. Trump reagierte auf die Faktenchecks von Twitter mit Rage und drohte mit Konsequenzen und damit, Unternehmen wie Twitter abschalten zu wollen. Facebook entschied, gegen die selben Inhalte nichts zu unternehmen, was einen Streik von hunderten Mitarbeiter*innen zur Folge hatte. Heute setzte Twitter seinen Kurs fort und deaktivierte ein Kampagnenvideo Trumps wegen Urheberrechtsverletzungen. Auf Youtube ist es weiterhin verfügbar.

Der Social Media Watchblog hat eine sehr detailierte Auflistung und Analyse der Ereignisse der letzten Tage verfasst.

Durch den Vorstoß von Twitter sind die großen Netzwerke im Zugzwang, Position zu Trump und den aktuellen Protesten zu beziehen. Plötzlich müssen sich alle Social Media Unternehmen akut fragen, auf welche Weise ihre Produkte missbraucht werden können - um Ideologien zu verbreiten oder Gesellschaften zu spalten. Und sie müssen sich die Frage stellen, ob sie das diesen Accounts ermöglichen wollen oder eingreifen. Die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, werden die Social Media Welt auf lange Zeit maßgeblich prägen.

Der Mittelweg von Snapchat

Nach und nach beziehen die Unternehmen in Kalifornien Stellung. Snapchat versucht in der Zwischenzeit einen Mittelweg zu gehen und hat Donald Trump aus seinem “Discover” Bereich verbannt - dadurch wird sein Account nicht mehr aktiv beworben, er kann aber nach wie vor an seine Follower posten und erscheint in Suchanfragen.

Das ist im Grunde eher eine kleine symbolische Maßnahme, die bewirken soll, dass Trumps zunehmende Populärität auf der Plattform nicht von Snapchat zusätzlich angeheizt wird, sondern von Trump selbst kommt. Sprich: Keine Sonderbehandlung mehr. Der Börsenkurs fiel nach der Bekanntgabe um 2,4 Prozent. Von Seiten Trumps kommt absurderweise die Meldung, Snapchat würde mit dem Weglassen der Bewerbung die Wahlen beeinflussen. Dennoch hat Snapchat damit fürs erste den Spagat geschafft, ein Symbol gegen die Gewalt zu setzen und gleichzeitig nicht allzu viele konservative Stimmen zu verärgern.

Der Fall Facebook

Facebooks Belegschaft hingegen ist in Aufruhr. Sie hat Mark Zuckerberg, dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Facebook zum ersten Mal breit öffentlich kritisiert. Mehrere interne Chatverläufe wurden geleakt, mehrere Hundert Mitarbeiter*innen haben gestreikt. Daraufhin hat es eine intensive Auseinandersetzung zwischen den Angestellten und Mark Zuckerberg gegeben, das Transkript kann man hier nachlesen. Die Kurzfassung: Zuckerberg erklärt, dass die Entscheidung schwierig gewesen sei, aber die Kriterien für einen Aufruf zu Gewalt in Trumps Posting nicht erfüllt gewesen wären und soziale Veränderungen nicht von oben herab diktiert werden sollten, sondern allen Nutzer*innen die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich ihre eigenen Meinungen zu bilden.

Facebook muss sich nicht das erste Mal diesen Fragen stellen. Es gestand, Gewalt in Myanmar provoziert zu haben, und entschuldigte sich für seine Rolle an Gewalt in Sri Lanka. Im Skandal um Camebridge Analytica gelobte Mark Zuckerberg reuig Besserung.

Trotzdem geht Facebook seinen Weg weiter. Das Magazin Wired veröffentlichte eine Abrechnung mit Zuckerberg und titelt: „Mark Zuckerberg glaubt nur an Mark Zuckerberg“. Mark Zuckerberg hätte das Geld und den Einfluss, um gegen die Gesetzesübertretungen aufzutreten, er entschied sich aber für das Gegenteil und polsterte Trump, so Siva Vaidhyanathan von Wired.

Facebook positioniert sich mit seinen Plattformen Instagram, Facebook und dem Messenger-Dienst Whatsapp als Hüter der freien Meinungsäußerung. Das ist in den USA populär, da dort “Free Speech” ein von der Verfassung geschütztes Recht ist. Dennoch wird das Agieren von Facebook vor allem als machtpolitische Maßnahme gesehen, damit Facebook seinen Einfluss behalten kann.

Die Zensur von TikTok

Komplett außen vor in der Diskussion, aber dennoch eine Erwähnung wert, ist TikTok. Es ist das einzige chinesische soziale Netzwerk, das auch in der westlichen Welt weit verbreitet ist. Es ist seit längerer Zeit bekannt, dass es Inhalte filtert und zensiert. Teilweise in Ausmaßen, die den europäischen Werten direkt gegenüberstehen.

Netzpolitk.org hat Einsicht in Moderationsregeln von TikTok bekommen und festgestellt, dass selbst nach der Überarbeitung der Moderationsregeln große Bereiche einfach zensierbar sind. Unter anderem werden LGTBIQ-Inhalte in vielen Ländern nicht ausgespielt werden, die Proteste in Hong Kong sind kaum sichtbar. The Verge berichtet, dass TikTok bewusst Posts von „hässlichen oder armen Menschen“ unterdrückt. Ein Bierbauch oder eine brüchige Wand im Hintergrund würde ausreichen, um anderen User*innen nicht vorgeschlagen zu werden.

Der große öffentliche Diskurs ist dabei ausgeblieben. Vielleicht, weil man es von einem chinesischen Unternehmen insgeheim nicht anders erwartet hat, vielleicht aber auch, weil an eine Unterhaltungsapp wie TikTok nicht alle die selben hohen Ansprüche an Meinungsfreiheit und Datenschutz stellen.

Die Algorithmen

Im Podcast „Rabbit Hole“ von der New York Times wird anhand eines echten Youtube Wiedergabeverlaufs die Radikalisierung eines US-Amerikaners nacherzählt. Es ist eine erschreckende Geschichte über das langsame Einschleichen von Propaganda. Youtube sagt über sich selbst, dass es für eine Milliarde Stunden Wiedergabezeit täglich verantwortlich ist.

Das bedeutet auch, dass eine Milliarde Stunden Videomaterial täglich maßgeblich von Algorithmen ausgewählt und verbreitet wird. Und Desinformation, Verschwörungsglauben oder Wahlmanipulation verbreiten kann. Diese Algorithmen sind unsichtbar, aber haben einen profunden Einfluss auf jeden im Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes.

Social Media hat die Verantwortung über Moderation und Reihung seiner Inhalte großteils an diese Algorithmen abgegeben. Wir sprechen über freie Meinungsäußerung oder Zensur, darüber, Verantwortung zu übernehmen oder nicht - in Wahrheit ist es Unternehmen wie Facebook aber gar nicht möglich, die Verantwortung für jedes Posting zu übernehmen, weil es diese strukturell an seine Algorithmen abgegeben hat. Algorithmen verstehen nicht, was Propaganda oder Fake News sind, und was nicht. Sie sind nur dafür geschrieben worden, den Nutzer*innen zu zeigen, was sie vermeintlich interessiert.

Renee DiResta stellt in diesem Artikel bei Wired die zukunftsoptimistische Frage: „But in this moment, the conversation we should be having — how can we fix the algorithms? — is instead being co-opted and twisted by politicians and pundits howling about censorship and miscasting content moderation as the demise of free speech online.“

„How can we fix the algorithms?“

In Europa gibt es keine großen Social-Media-Networks, als Reaktion auf die digitalen Entwicklungen debattiert man hier notgedrungen über Regulierung. An dieser Stelle arbeitet z.B. die RTR in Österreich an einem Konzept zur Beurteilung der wettbewerblichen Situation von digitalen Kommunikationsplattformen. Ziel ist es, vereinfacht gesagt, herauszufinden, ob dieser Wettbewerb noch fair und das Internet frei ist. Das sind wichtige Informationen um sichere Schlüsse zu ziehen, besser wäre aber, Europa hätte selbst die Kompetenz Angebote zu schaffen.

Die Fragestellungen rund um Algorithmen und die Unternehmen, die sie entwickeln, werden uns von jetzt an begleiten und nicht mehr weg gehen. Und nach den Algorithmen kommen die künstlichen Intelligenzen, die bekanntlich für Menschen noch schwerer zu durchschauen sind.

Social Media ist beinahe zu groß, um daran vorbei zu kommen

Social Media Netzwerke sind schleichend so groß und mächtig geworden, dass ihre Entscheidungen und Regeln das Leben ihrer Nutzer*innen maßgeblich beinflussen. Dabei folgen diese Unternehmen keinen Prinzipien wie Demokratie oder Mitspracherechten. Sie entscheiden mit ihren Algorithmen weitestgehend unreguliert darüber, welche Inhalte zu sehen sind, und welche nicht.

Mark Zuckerberg hat vergangene Woche auf Trumps Haussender Fox News ein Interview gegeben, in dem er gesagt hat, dass Social Media Unternehmen nicht die „Arbiter of Truth for everything people say online“ sein sollen. Damit suggeriert er eine Ausrichtung Facebooks zu „Free Speech“, während seine Platformen Inhalte automatisiert nach emotionalen Kriterien reihen und die Fundamente für den gesellschaftlichen Diskurs maßgeblich verändern.

In der Debatte und im Agieren der einzelnen Unternehmen zeigt sich, welche Unternehmen kosmetische Symbolpolitik betreiben, welche sich dem kompromisslosen Ausbau ihres Einflusses verschrieben haben, oder welche anerkennen, dass sie einen gravierenden Einfluss auf die globale Bevölkerung haben und Verantwortung für ihre Plattformen und Algorithmen übernehmen müssen.

mehr Netzpolitik:

Aktuell: