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Mann vor seinem Plan

CC0/Pixabay

BUCH

„Der Feminist“ von Iván Repila ist ein absurdes Gedankenexperiment

Der spanische Autor Iván Repila baut die Handlung seines Buch um ein absurdes, aber umso wirkungsvolleres Gedankenexperiment, das auf der Frage basiert: Was muss Mann tun, um eine feministische Revolution auszulösen?

Von Alica Ouschan

In der feministischen Debatte tun sich immer wieder Fragen auf, die die Rolle des Mannes im Kampf um Gleichberechtigung behandeln: Können Männer überhaupt richtige Feministen sein? Wie schaut unterstützendes Verhalten von Männern gegenüber Frauen aus? Und vor allem: Wie kann ein Mann eine Frau unterstützen, ohne übergriffig zu sein?

Buchcover: Der Feminist

Suhrkamp Nova

Der Feminist von Iván Replia ist bei Suhrkamp Nova erschienen, hat 216 Seiten und wurde von Matthias Strobel aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzt.

Das neue Buch des spanischen Autors Iván Repila hat sich dieser Fragen angenommen und diskutiert sie in einem fiktiven, aber nicht unbedingt unrealistischen Gedankenexperiment. Die ersten Worte im Roman mit dem Titel „Der Feminist“ sind fast genauso abschreckend wie das explosive, neonfarbene Buchcover mit den muskelbepackten Armen, über denen eine Krone schwebt: „Ich bin der größte Feminist der Welt“, steht da.

Feminist als Schimpfwort

Der namenlose Protagonist in „Der Feminist“ ist zwar nicht der größte Feminist der Welt, aber fest entschlossen, es zu werden. Denn als er durch eine Auseinandersetzung mit seinen sexistischen Mitbewohnern erstmals als „Feminist“ beschimpft wird, beschließt er, sich diese Bezeichnung anzueignen. Er besucht nun fast täglich feministische Diskussionen und Lesungen, saugt alles gierig auf und ist natürlich überaus schockiert, als er herausfindet, dass er vielleicht doch kein so großer Feminist ist, wie er dachte.

Denn auf einer Lesung lernt er die kluge Najwa kennen. Er verliebt sich in die Frau, die ihm freundlicherweise alles nochmal erklärt, was er nicht verstanden hat, und ihm aufzeigt, dass er selbst Teil dessen ist, was er eigentlich bekämpfen will. Als er mit seinen eigenen Privilegien und der anerzogenen Reproduktion patriarchaler Verhaltensmuster konfrontiert wird, zeigt er die typische Reaktion: Verweigerung und Kleinreden der Tatsachen, Wut, Verzweiflung und schließlich ein Gefühl der Machtlosigkeit.

„Ich spüre, dass sie Recht hat, dass alles, was sie sagt, stimmt. Aber genau deswegen habe ich keine Lust mehr, ihr weiter zuzuhören, weil es mich ärgert, weil ich mich dadurch nicht mehr wohlfühle mit mir selbst. Nachdenken ist anstrengend. Aber ich muss es tun, ich weiß. Ich habe keine Wahl.“

(K)ein Frauenretter-Superheld

Der Protagonist denkt soviel nach, dass er sich in kürzester Zeit zum absoluten Feminismus-Experten mausert. Seine Beziehung zu Najwa ist dabei natürlich die treibende Kraft. Als er schließlich anerkennen muss, dass ein gesellschaftlicher Wandel hin zur echten Gleichstellung der Geschlechter nur sehr langsam, ja vielleicht gar nie erreicht werden kann, sieht er sich selbst vor einer herben Niederlage. Und wie so oft gibt sich der Mann in ihm nicht damit zufrieden. Wenn es die Frauen selbst nicht schaffen, sich aus den Fesseln des Patriarchats zu lösen, dann muss er ihnen eben dabei helfen.

Er hat Judith Butler und Simone de Beauvoir ohnehin besser verstanden, als irgendjemand es je könnte. Die meisten Frauen hingegen scheinen ja nicht einmal verstanden zu haben, dass sie in der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Situation die tragendste aller Rollen spielen. Der Protagonist beginnt sich selbst gedanklich immer mehr zu radikalisieren. Er entdeckt die Auswucherungen des Patriarchats überall und beginnt Frauen in seinem Umfeld anzustacheln, sich doch endlich richtig dagegen zu wehren.

„Das hier bin ich, der einem Opfer erklärt, wie es aufhören soll, ein Opfer zu sein. Das hier bin ich, der einer Frau erklärt, was ein Opfer ist. Ich ersticke. Ich ersticke an meinen eigenen Gedanken. Seit Monaten spreche ich im Namen anderer. Ich brauche Luft.“

Nach einem Streit mit seiner Mutter sieht der namenlose Protagonist endgültig rot: Er beginnt einen verwinkelten, bis zum Ende durchdachten und unfehlbaren Plan auszuhecken. Er tut also das, was er für die einzig richtige, funktionsfähige Lösung hält – eine völlig verdrehte, schockierende und unerwartete Lösung, die aber hier nicht zu sehr gespoilert werden soll. Verraten werden kann zumindest, dass sich im dritten Abschnitt des Buchs ein absurdes, aber umso wirkungsvolleres Gedankenexperiment entfaltet, das auf der Frage basiert: Was muss Mann tun, um eine feministische Revolution auszulösen?

Eine feministische Revolution der anderen Art

„Der Feminist“ ist eine satirische Provokation, die bei der Frage, ob ein Mann wirklich Feminist sein kann, noch einen Schritt weitergeht und aufzeigt, was passieren kann, wenn man im Namen anderer kämpft und überzeugt davon ist zu wissen, was das Beste für sie ist. Iván Repilas großartiges Buch schließt mit einer fiktiven wissenschaftlichen Analyse, die einige Jahre nach den Geschehnissen im Buch spielt und lässt dabei einige weiterführende Fragen offen. Denkanstöße gibt „Der Feminist“ auf jeden Fall zur Genüge.

Um die Handlung, vor allem aber die Gespräche und Gedanken des Protagonisten nachvollziehen zu können, sollten einem die Grundsatz-Fragen des Feminismus sowie die wichtigsten Autorinnen ein Begriff und wissenschaftlich angehauchte Sprache zumindest halbwegs vertraut sein. Die Erzählung besticht zum Ausgleich mit lebendigen (an manchen Stellen auch recht vulgären) Beschreibungen, raffinierter Wortwahl und einem fesselnden Spannungsbogen. Iván Repila schreckt nicht davor zurück, auf wunde Punkte zu drücken, und hat vermutlich eines der kontroversesten Bücher des Jahres geschrieben – „Der Feminist“ ist ein absolutes Must-read für alle, die sich selbst als echte*n Feminist*in bezeichnen.

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