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In zwei Monaten bist du raus: Warum Wohnungslosigkeit kein persönliches Versagen ist

Wohnungslosigkeit und ungesichertes Wohnen in Österreich wird immer weiblicher und immer jünger. Für viele Betroffene ist das ein schambehaftetes Thema, weil sie die Gründe bei sich selbst und persönlichem Versagen suchen. Dabei liegt die Ursache oft in strukturellen Problemen.

Von Diana Köhler

Wenn ihr jetzt auf die Schnelle erklären müsstet, was ist der Unterschied zwischen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit, was würdet ihr sagen?

Die zwei Begriffe werden im alltäglichen Sprachgebrauch oft synonym verwendet. Dabei gibt es viele verschiedene Formen von prekären oder unsicheren Wohnverhältnissen. Die europäische Typologie für Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekäre Wohnversorgung (ETHOS) des Europäischen Dachverbands der Wohnungslosenhilfe unterscheidet zwischen vier großen Gruppen.

  • Obdachlos sein bedeutet, dass die Person wirklich „ohne Obdach“ also ohne Dach über dem Kopf an öffentlichen Plätzen lebt. Oder aber eine Person, die zeitweise auch in Notschlafstellen unterkommt.
  • Wohnungslos dagegen sind Menschen, die an Orten unterkommen, an denen sie nicht bleiben können. Dazu zählen zum Beispiel Menschen die in Frauenhäusern oder Einrichtungen für Migrant*innen oder Asylwerber*innen wohnen.
  • In ungesicherten Wohnverhältnissen leben Menschen, die zwar immer mal wieder vorübergehend bei Bekannten oder Verwandten unterkommen, aber keinen fixen Platz dort haben. Auch wenn man von Delogierung oder Gewalt betroffen ist, bedeutet das ein ungesichertes Wohnverhältnis.
  • Ungenügendes Wohnen bedeutet, dass die Unterkunft eigentlich gar nicht zum Wohnen gedacht ist. Also wenn eine Person in einem Zelt, Abbruchshaus, einer Garage oder auch in schon überfüllten Räumen wohnt.

Laut einer Erhebung der Statistik Austria, waren 2017 um die 22.000 Menschen in Österreich obdach- oder wohnungslos bzw. haben in ungesicherten Wohnverhältnissen gewohnt, 60-70% davon in Wien. Und jede 4. Person davon ist unter 30 Jahren alt.

Wann kannst du raus?

René war selbst einmal Teil dieser Statistik. Nachdem er seine Wohnung verloren hat, war er insgesamt zwei Jahre lang immer wieder wohnungslos:

„Es war einfach ein befristeter Mietvertrag und es war dann so, dass mich der Vermieter angerufen hat und gesagt hat: Lange Rede kurzer Sinn, wann kann ich raus. Und dann haben wir ausgemacht, zwei Monate Zeit, bin dann von dort weg und bin dann von Bekannten zu Bekannten. Das waren immer prekäre Situationen, wo es immer wieder geheißen hat, ich muss jetzt wieder weg. Das war eine ziemliche Odyssee das Ganze.“

Interview mit Maske

Radio FM4

Wohnungslos zu sein bedeutet vor allem eines: Stress. Sich nie zurückziehen können, immer unterwegs sein, sich oft neue Schlafmöglichkeiten suchen. Und hat man dann einmal eine Bleibe gefunden, muss man sich auch noch nach dem/der Gastgeber*in richten. René versucht es zusammen mit seiner Hündin Zoé zuerst in Wien und geht dann für einige Zeit zurück in seine Heimatstadt Graz. Dort wohnt zwar seine Schwester, aber auch die ist von der Situation überfordert.

Ich doch nicht

Diese Situation kennt Daniela Unterholzner gut. Sie ist Geschäftsführerin von Neunerhaus und weiß, dass auch Familienangehörige oft nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, dass ein Familienmitglied oder ein/e Freund*in plötzlich wohnungs- oder sogar obdachlos geworden ist. Sie rät deswegen, sich in einem solchen Fall unbedingt erst einmal selbst Hilfe zu suchen. Einen weiteren Satz, den sie immer wieder hört, hat sich auch René gedacht:

„Ich hätte nicht gedacht, dass mir das mal passiert“

Dabei können Wohnungslosigkeit oder prekäre Wohnverhältnisse einen Menschen schneller treffen, als man annehmen würde. Allein in der Zeit nach der Wirtschaftskrise 2008 bis heute ist die Wohnungslosigkeit um ein Drittel gestiegen. Der Grund für Wohnungslosigkeit liegt eher in den strukturellen Rahmenbedingungen, als an einem selbst, sagt Daniela Unterholzner.

Scham hält davon ab Hilfe zu suchen

Verschärft wird die Lage oft durch steigende Mieten, stagnierende Löhne, schlechte Verträge wie Freie Dienstverträge oder arbeiten auf Projektbasis. Gerade diese Arten der Arbeit, in denen langfristige Sicherheit fehlt, betreffen oft junge Menschen. Kommt dann noch eine (psychische) Krankheit oder ein anderer Schicksalsschlag dazu, gibt es kein familiäres Netz oder fällt man durch das staatliche Sicherheitsnetz – dann kann Wohnungslosigkeit Realität werden.

Für viele Menschen ist eine solche Situation neben stressig vor allem beschämend. „In einer Gesellschaft, in der vor allem Leistung etwas zählt, wird das oft als persönliches Versagen gewertet“, sagt Daniela Unterholzner. Dabei ist es genau diese Scham, die viele davon abhält, sich Hilfe zu suchen.

Auch für René war es ein großer Schritt sich offiziell bei der Stadt Wien obdachlos zu melden. Das muss man aber machen, wenn man Unterstützung von der Stadt in Anspruch nehmen will. Durch das Neunerhaus hat er zuerst eine Übergangswohnung bekommen und dann eine kleine Gemeindewohnung.

„Also, wenn man es mal nicht gehabt hat, die Wohnung, sieht man erst, wie wichtig es ist, einen Rückzugsort zu haben. Wenn man sich vorstellt, man ist immer nur draußen, da hat man immer nur Stress, und kann sich auch nicht beruhigen. Zum Beispiel, wenn ich jetzt nach einem anstrengenden Tag nach Hause komme, kann ich dort entspannen, ausschlafen und bin am nächsten Tag wieder fit. Und das fehlt einem dann halt, man ist eigentlich dauermüde.“

Zuerst eine Wohnung, dann alles andere

In Finnland ist die Beseitigung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit schon seit längerem ein landesweites Ziel. Seit 11 Jahren wird auf das Modell von „Housing First“ gesetzt. Also, zuerst eine Wohnung, dann alles andere. Denn nur wer einmal eine Tür hinter sich zu machen und durchatmen kann, hat auch den Kopf für andere Dinge.

Das Neunerhaus versucht zusammen mit der Stadt Wien seit 2012 auf das Konzept „Housing First“ zu setzen. Daniela Unterholzer sagt, dass die Stadt Wien in dem Bereich eine Vorreiterrolle in Österreich hat: „Wir haben in Wien ein System von sozialem Wohnbau wie sonst nirgendwo anders in ganz Europa. Wir haben aber auch steigende Zahlen in der Wohnungslosenhilfe. Wenn wir auf den Ansatz Housing First setzen, dann können wir das schaffen. Dafür brauchen wir aber den leistbaren langfristigen Wohnraum und den müssen wir zugänglich machen.“

Thema leistbares Wohnen bei er Wienwahl

In Wien wohnt fast die Hälfte der Menschen im Gemeindebau oder in geförderten Wohnungen. Auch im aktuellen Wahlkampf ist leistbares Wohnen ein großes Thema. Die Parteien haben dabei, nicht überraschend, sehr unterschiedliche Einstellungen. Während die SPÖ vor allem mit ihrem Projekt „Gemeindebau Neu“ wirbt, fordert die FPÖ, dass sozialer Wohnraum nur an österreichische Staatsbürger vergeben werden darf. Die Grünen stehen vor allem für eine klimaschonende Bauweise der Gemeindebauten und wollen eine Leerstandsabgabe einführen. (Das bedeutet, dass Wohnungsbesitzer*innen, die eine Wohnung absichtlich leerstehend lassen dafür zahlen müssen.)

Die ÖVP und die NEOS wollen beide das Gehalt von Mieter*innen von Gemeindebauten überprüfen und so feststellen, ob sie sich noch für eine Gemeindewohnung eignen.

Wie die Wahl in Wien auch immer ausgeht: Geht es nach Daniela Unterholzner von Neunerhaus, dann sollte der soziale und geförderte Wohnbau in Wien unbedingt erhalten bleiben und wenn möglich sogar ausgebaut werden. Denn Wohnungslosigkeit könne jeden treffen, und nur leistbarer Wohnraum kann dem entgegenwirken.

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