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Daniel Schönherr

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„Portrait“ von Jürgen Bauer ist ein Roman – nicht nur – über das schwule Wien der 70er Jahre.

Jürgen Bauer erzählt in drei Versionen über ein Leben.

Von Martin Pieper

"Portrait“ nennt sich der neue, vierte Roman des Wiener Autors Jürgen Bauer. Er selbst ist Jahrgang 1981, das Buch spielt in den österreichischen Jahrzehnten davor. Es ist der Versuch einen Menschen, eine Biografie zu fassen. Dafür fährt Jürgen Bauer gleich drei unterschiedliche Ich-Perspektiven auf, die diesen Mann namens Georg beschreiben. Der erste Abschnitt wird von Georgs Mutter Mariedl erzählt. Sie ist Bäuerin und im Dorf eine Außenseiterin, als Alleinerzieherin von zwei Söhnen lebt sie ein karges Leben am Bauernhof. Im Laufe ihrer Erzählung wird sie auch ein biografisches Geheimnis preisgeben, das weit in die Vergangenheit zurückreicht. Georgs Mutter ist hart zu sich selbst und auch hart zu ihren beiden Söhnen. Ein entbehrungsreiches Leben zwischen Einsamkeit und Kirchenchor. Thematisch und auch sprachlich reiht sich dieser erste Teil des Romans noch gut in eine lange Tradition der österreichischer Anti-Heimatliteratur ein.

Jürgen Bauer Portrait Cover

Septime

„Portrait“ von Jürgen Bauer ist im Septime Verlag erschienen.

Taxi zum Klo

Von einer literarisch bisher noch kaum erforschte Lebenswelt erzählt Jürgen Bauer aber spätestens mit dem zweiten Teil des Romans. Man kann hier durchaus von Pionierleistung sprechen. Hier kommt Gabriel zu Wort, ein junger schwuler Mann aus der Provinz, der mit großem, selbstbewusstem Karacho im großen Wien ankommt. Gabriel ist ein ungezügelter Draufgänger, der sich gleich am ersten Tag einen Mann auf einem öffentlichen Klo angelt, in den 70er Jahren einer der Hauptumschlagplätze für schwulen Sex. „Loge“ (im bundesdeutschen Idiom Klappe) war der Ausdruck der schwulen Szenesprache für diesen Ort schwulen Begehrens. Und natürlich ist es Georg, den sich der ungestüme Gabriel da an Land zieht.

Georg ist es auch, der Gabriel in die Wiener schwule Szene der 70er Jahre einführt. Homosexualität wurde in Österreich erst 1971 halbwegs legalisiert. Vorurteile und Diskriminierungen blieben aber bestehen, auch die tödliche Verfolgung von Homosexuellen durch die Nazis waren Anfang der 70er Jahre noch eine mehr als lebendige Erinnerung.

Kein Wunder, dass sich „die Szene“, das sogenannte „homosexuelle Milieu“ im Verborgenen treffen musste. Doppelleben wurden geführt, Klingel-Bars besucht und Euphemismen wie „Opernfreund“, „ewiger Junggeselle“ etc. waren an der Tagesordnung. Auch Georg, das erfahren wir über den Umweg seines Liebhabers, muss ein Doppelleben (oder besser Mehrfach-Leben) führen. Georg ist mit einer Frau verheiratet.

Scheinehen und Aids-Krise

Seine Ehefrau Sara ist dann die dritte Person, die von Georg erzählt. Eine nicht sehr erfolgreiche Opernsängerin, die sich von einer toxischen Beziehung in die nächste stürzt, um dann, im vollen Wissen, dass Georg schwul ist, eine Vorzeige-Ehe mit ihm eingeht. Dass spätestens die in den 80er Jahren eintreffende Aids-Krise diesem vorgeblichen Idyll ein Ende setzen wird, ist eine der bitteren Pointen dieses Buchs.

Stonewall in Wien?

Georg, der Porträtierte, kommt selbst nicht zu Wort und trotzdem gelingt es Jürgen Bauer über den Umweg dieser drei Perspektiven eine Biografie zu erzählen, die so vielschichtig und widersprüchlich ist, wie es nur das echte Leben sein kann. Portrait hat keine Helden im Angebot. Stattdessen dominiert die Bitterkeit über das Versäumte, Verdrängte, nicht Gesagte oder Gelebte.

Der gesellschaftliche Aufbruch der 70er Jahre wird vor allem in der Erzählung von Gabriel, dem geheimen Geliebten spürbar. Dort wird die Geschichte der späten politischen Emanzipation der – wie wir heute sagen würden - LGBTIQ Community – in Österreich miterzählt, von HOSI bis zur Besetzung der Rosa Lila Villa. Allein dafür muss man Jürgen Bauer dankbar sein.

Er vergisst aber dabei nicht, von der Spießigkeit des „Milieus“ genauso zu berichten wie von den Auf- und Umbrüchen, die eine ganz neue, andere Generation von LGBTIQs hervorbringen sollte. Die Stonewall Riots haben eben in New York und nicht in Wien stattgefunden. Wir ihre Schatten aber irgendwann doch auch die Wienzeile erreicht haben und dann sogar auch einen Bauernhof irgendwo in Österreich, auch davon berichtet dieser Roman.

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