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dpa/Maurizio Gambarini

Meena Kandasamys autobiografischer Roman über ihren persönlichen Albtraum

Meena Kandasamy ist eine indische Autorin, Dichterin, Übersetzerin und Aktivistin. In ihrem autobiografischen Roman „Schläge“ schildert sie die gewaltvolle Geschichte ihrer eigenen Ehe.

Von Michaela Pichler

Der 25. November, der internationale Gedenktag für alle Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt sind, war letzte Woche der Starttag für die Aktion „16 Tage gegen Gewalt“ des Bundeskanzleramts.

In Österreich hat jede fünfte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal körperliche bzw. sexuelle Gewalt erfahren. Österreich war im vergangenen Jahr in ganz Europa das Land mit der höchsten Anzahl an weiblichen Opfern bei Tötungsdelikten. Dass Gewalt für viele Frauen auf der ganzen Welt lebensbedrohlicher Alltag ist, müssen nicht erst Zahlen und Statistiken beweisen.

Meena Kandasamy

Culturbooks

„Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau“ von Meena Kandasamy ist im Culturbooks Verlag erschienen und wurde von Karen Gerwig aus dem Englischen übersetzt.

Wie sich das Leben in einer Gewaltbeziehung anfühlt, weiß die indische Autorin Meena Kandasamy nur zu genau: In ihrem Roman „When i hit you“ schildert sie die Erlebnisse aus ihrer kurzen Ehe. Vier Monate hat diese angedauert, vier Monate, in denen der Ehemann seine Frau Kandasamy misshandelt. Er schneidet sie von ihrem Umfeld ab, verbietet ihr zu arbeiten, schlägt und vergewaltigt sie. 2017 erscheint Meena Kandasamys autobiografischer Roman. Er wird unter anderem vom englischen „Guardian“ als Buch des Jahres gefeiert und ist für zahlreiche Auszeichnungen nominiert, wie dem „Women’s Prize for Fiction“. Nun ist die deutsche Übersetzung „Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau“ erschienen.

Wenn der Alltag zur Tragödie wird

Sie ist eine Uni-Absolventin, Autorin und Feministin. Er ist ein charismatischer Uni-Dozent, der sich selbst als Kommunist bezeichnet. Als die beiden heiraten, beginnt für die junge Frau ein Albtraum. Im autobiografischen Roman „Schläge“ hat die indische Autorin und Aktivistin Meena Kandasamy ihre eigene Tragödie in Worte gefasst, weshalb der Untertitel des Romans „Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau“ lautet: Als frisch verheiratetes Ehepaar hat der Alltag der Ich-Erzählerin nichts mit einer rosaroten Brille oder Flitter-Gefühlen zu tun - die junge Frau leidet unter der psychischen und physischen Gewalt ihres Ehemannes. Um die Gewalt zu ertragen, stellt sich die Protagonistin ihr Leben wie ein Filmset vor:

„Es ist einfacher, mich als Filmfigur zu denken. So wirkt alles um mich herum, alles, was ich erlebe, weniger beängstigend, wie aus weiter Entfernung betrachtet. Weniger schmerzhaft, weniger bleibend. Lange bevor ich je vor einer Kamera stand, wurde ich hier bereits zur Schauspielerin.“

Schauspielen im eigenen Zuhause. Das ist nur eine der Überlebensstrategien, die Meena Kandasamy in ihrem Roman beschreibt. Im indischen Küstenort Mangaluru lässt sich das Ehepaar nieder. Nach und nach isoliert der Ehemann seine Frau. Er nimmt ihr das Handy weg, löscht alle ihre Emails, verbietet ihr, Texte zu verfassen und sperrt ihre Social-Media-Kanäle. Sie ist abgeschnitten von ihren Freunden oder Arbeitskontakten. Er ist paranoid, eifersüchtig und möchte jeden Zentimeter ihres Lebens kontrollieren. Bis er auch handgreiflich wird.

Hilfe für Betroffene

Die Frauenhelpline gegen Gewalt ist österreichweit unter der Telefonnummer 0800 222 555 anonym und kostenfrei erreichbar. Rund um die Uhr bietet die Frauenhelpline Hilfe und Unterstützung – und das in mehreren Sprachen.

„Wenn ich versuche, mich an das erste Mal zu erinnern, als ich von meinem Mann geschlagen wurde, sind da nur heiße, gläserne Tränen und die anhaltende Angst davor, wie oft es passiert ist. Die Ereignisse zu rekonstruieren hilft nicht. Es beginnt immer mit einer dummen Anschuldigung, meinem Leugnen, einem Streit, und irgendwann türmt sich die verbale Auseinandersetzung zu einer Flut von Schlägen auf.“

Die Gewalt schleicht sich im Roman langsam an. Meena Kandasamy führt die Leserin behutsam zu dem Punkt, an dem es unerträglich wird. Zwischen den Kapiteln zitiert die Autorin Kolleginnen, die sie inspirieren, wie Elfriede Jelinek, Margaret Atwood oder Ntozake Shange. Unglaublich ist nicht nur Kandamys Überlebenskampf und -wille, sondern auch die Reaktionen, mit denen die Autorin nach ihrem Albtraum umgehen musste. So bearbeitet sie im Roman auch die Frage, wieso es Betroffenen so schwer fällt, eine Missbrauchsbeziehung zu verlassen. Meena Kandasamy positioniert sich klug gegen hohle Plattitüden des Weißen Feminismus und zeigt auf, dass auch Intellektuelle Täter wie Opfer von Gewalt sind.

Meena Kandasamy

Teri Pengilley

Triggerwarnung und ein selbstbestimmtes Zurückerobern

Im Buch „Schläge“ hat Meena Kandasamy ihren Weg von der ersten Grenzüberschreitung bis zum lebensnotwendigen Befreiungsschlag aus einer Gewaltbeziehung geschildert. Dabei werden nicht nur körperliche Gewaltszenen geschildert, sondern auch Vergewaltigungen. Die Sprache, mit der Meena Kandasamy diese Tragödie skizziert, ist wortgewandt und eine weitere Überlebensstrategie. Damit gelingt der Autorin und Aktivistin eine scharfsinnige Erzählung, mit der sie sich selbstbestimmt die Kontrolle über ihre eigene Geschichte zurückerobert.

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