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Andrea Petković ist eine Tennisspielerin mit literarischem Talent

Nils Heck

Andrea Petković spielt Weltklassetennis - und schreiben kann sie auch

„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ beweist, dass Sportler*innen Bücher schreiben können, die ihren sportlichen Erfolgen gerecht werden.

Von Felix Diewald

Tennis ist ein mental fordernder Einzelsport. Andrea Petković liegt deshalb bei Turnieren oft nächtelang wach. Panik. Angst. Unsicherheit. Bis sie bei den US-Open zum ersten Mal einen Roman von Dostojewski liest.

Ich klappte das Buch auf. Als ich den ersten Satz las, legte sich eine allumfassende Ruhe über mein Gemüt.

Life of a Tennis-Pro

Bald folgen viele weitere Bücher, zum Beispiel von David Foster Wallace, der sich auch literarisch mit Tennis beschäftigte. Petković taucht immer weiter in die Literaturwelt ein und beginnt, selbst zu schreiben. Von ihrem ungewöhnlichen Leben als Tennisprofi, von der Einsamkeit bei Turnieren, im Hotelzimmer, an der Hotelbar, vom Ständig-unterwegs-Sein. Sie erzählt, wie einen Niederlagen ewig verfolgen können, aber auch, wie es sich anfühlt, wenn man stundenlang im Flow spielt. Und natürlich von Büchern, Texten, Gedichten, die sie beeinflussen.

Andrea Petković ist eine Tennisspielerin mit literarischem Talent

Kiepenheuer & Witsch

„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht. Erzählungen“ von Andrea Petković hat 272 Seiten und ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Petković’ Erzählsprache und Stil kommen gut an, bald schreibt sie regelmäßig Kolumnen, zum Beispiel für das SZ-Magazin. Im letzten Jahr gründet sie einen digitalen „Racquet Book Club“, bei dem jeder und jede mitmachen kann. So hat sie sich eine große Fangemeinde erschrieben.

Keine klassische Autobiografie

Jetzt hat sich Petković zum ersten Mal an die Langstrecke gewagt. Die 33-Jährige wollte dabei keine klassische Autobiografie schreiben und ihre Karriere chronologisch nacherzählen. Vielmehr sind es Episoden geworden, kurze Erzählungen, Mini-Reportagen, ohne klare Reihenfolge. Petković schreibt über ihre ersten großen Turniere, über die Outfit-Unterschiede von Turnierbesucher*innen in Paris und London. Aber auch über sich selbst als introvertierten Nerd, der sich fest vornimmt, im Starbucks mit Fremden zu quatschen - nur um dann doch lieber das mitgebrachte Buch zu lesen.

Petković hat eine gute Beobachtungsgabe und kann Dinge auf den Punkt bringen. Etwa wenn sie - als Kind einer Migrantenfamilie vom Balkan - mit dem versnobten Tennis-Milieu in Deutschland konfrontiert wird.

Als ich etwas älter wurde und in Berührung mit den großbürgerlichen Kindern des Tennisklubs kam, war der größte Kulturschock für mich ihre absolute Rücksichtslosigkeit gegenüber Regeln und Formen – das wahre Privileg der Privilegierten.

Es braucht keine Motivations-Message

Bücher von Sportler*innen (oder ihren Ghostwriter*innen) sind oft voll von tausendmal gehörten Motivationssprüchen und platten pseudo-philosophischen Ausflügen. Petković aber bricht solche Momente in ihrem Buch mit Selbstironie, wenn sie sich anbieten würden. Petković‘ Message könnte lauten: Es braucht nicht überall eine Message. Nicht jede Krise muss für irgendwas gut sein. Und wenn es dich aufhaut, mach einen Witz darüber. Aktuelles Beispiel: Petković war vor Kurzem als Gast im „Literarischen Quartett“ im deutschen Fernsehen zu sehen und stellte ein Buch vor, von dem sie behauptete, Corona wäre darin kein Thema. Als die anderen Gäste ihr das Gegenteil beweisen wollten, reagierte Petković mit Schmäh und verkündete, ihre Karriere beim „Literarischen Quartett“ sei damit wohl leider schon wieder vorbei. (Und das, obwohl sie wahrscheinlich Recht hatte, denn sie bezog sich als einzige auf die englische Originalausgabe, in der Corona wohl tatsächlich nicht vorkam. Anscheinend wurde das Thema erst in der deutschen Übersetzung in den Text hineininterpretiert.)

Andrea Petković ist eine Tennisspielerin mit literarischem Talent

Nils Heck

Bücher von Sportler*innen (oder ihren Ghostwriter*innen) sind oft voll von tausendmal gehörten Motivationssprüchen. Nicht so bei Petković.

„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ zeigt eine reflektierte Sportlerin, die im Schreiben eine zweite Leidenschaft gefunden hat. Andrea Petković beweist mit ihrem Debüt, dass es sehr wohl möglich ist, dass Sportler*innen auch selbst Bücher schreiben können, die ihren sportlichen Erfolgen gerecht werden.

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