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Slowthai "Tyron" Album Artwork

Universal Music

Slowthai - „TYRON“: Zwei Seelen wohnen in seiner Brust

Nach seinem vielbeachteten Albumdebüt „Nothing Great About Britain“ legt der britische Rap-Aufsteiger Slowthai mit „TYRON“ sein persönlicheres Album Nummer 2 vor. Es betont die beiden Seiten des Menschen Tyron Frampton zwischen enfant terrible und verletzlichem Jungen, der der Armut seiner Kindertage entkommen ist, und gibt sich weniger kampflustig als zuvor.

Von Katharina Seidler

Tyron Frampton geht durch das Haus seiner Kindheit. Eine wackelige Handkamera folgt ihm in sein altes Kinderzimmer, ins Wohnzimmer und in den Garten mit dem niemals fertiggestellten Teich. Er erzählt von einem wiederkehrenden Albtraum, vom Krankstellen zum Schuleschwänzen und vom Familienfernseher, der aufgrund der finanziellen Lage seiner alleinerziehenden Mutter nur nach Münzeinwurf funktionierte.

Der Rapper, der sein Debütalbum genial und großspurig „Nothing Great About Britain“ nannte und bei der dazugehörigen Mercury-Prize-Gala mit einem abgeschnittenen Puppenkopf von Boris Johnson auftrat, wird in diesen Szenen aus dem Videoclip zu dem Track „Toaster“ vom enfant terrible zum kleinen Jungen, am Ende bricht sogar seine Stimme.

Slowthai "Tyron" Album Artwork

Universal Music

„TYRON“ von Slowthai ist am 12.2.2021 bei Universal Music erschienen.

Diese beiden Seiten des Menschen Tyron Frampton, der unter seinem Alter Ego Slowthai in den letzten drei Jahren zum heiß gehandelten Rap-Aufsteiger und vielgeliebten Kollaborateur von Gorillaz bis Disclosure, Denzel Curry, Mura Masa oder Mount Kimbie wurde, streicht er auf seinem zweiten Album noch deutlicher hervor. Es trägt zur Betonung der persönlicheren Innenschau seinen eigenen Namen, „TYRON“, und ist nach einigen Verschiebungen Mitte Februar nun endlich erschienen.

„Nothing Great About Britain“ vor zwei Jahren machte das Private politisch, anhand von persönlichen Geschichten prangerte Slowthai gesellschaftliche Zustände an, das britische Zwei-Klassen-System, den verstärkt aufkommenden Nationalismus im Licht des bevorstehenden Brexit. Mit „Tyron“ nun betont Slowthai die persönliche Perspektive. Nicht umsonst hat er das Album im letzten Lockdown-Jahr fertiggestellt, das er mit seiner Mutter und seiner Verlobten daheim in Northhampton verbrachte. Brotbacken, Schlafen, Musikmachen, das erzwungene Pausenjahr hat ihm gut getan, wie er im FM4 Interview erzählt.

Das Album „TYRON“ ist feinsäuberlich in zwei Teile geteilt. Im ersten markiert Slowthai mit Titeln in Großbuchstaben den Dicke-Hosen-Rapper. Die Beats rumpeln in diesen sieben Tracks dunkel und postpunkig, die Reime sind auf Angriff gebürstet, ohne in eindimensionale Diss-Klischees zu verfallen. „Beg somebody, try test me. Buss yout, come through fuck up your crew“, heißt es etwa in „VEX“, später spielt Slowthai in einer Zusammenarbeit mit Skepta direkt auf einen Bühnenskandal seiner eigenen jüngeren Geschichte an. Im Rahmen der letzten NME Award Show, kurz bevor die Pandemie Europa überrollte, bewarf ein offensichtlich betrunkener Slowthai in einer wirklich unangenehm anzusehenden Szene das Publikum mit einem Glas und machte misogyne Kommentare in Richtung der Moderatorin Katherine Ryan. Seine ehrliche Entschuldigung folgte umgehend, auch ließ er seinen Award für „Hero of the year“ an Ryan übermitteln, doch die Rufe der Cancel-Community ließen sich auch dadurch nicht besänftigen.

Das Thema beschäftigt ihn auch im Video-Interview in seinem Homestudio in Northhampton sichtlich: „Wir haben unsere Gesellschaft auf das Prinzip der zweiten Chance gebaut, aber viele Cyberbullies funktionieren rein nach dem Motto: Du hast was falsch gemacht, ich hoffe du stirbst.“

Der demensprechende Song „CANCELLED“ behandelt das Thema mit einer selbstbewussten No-Shit-Attitüde, die einigen seiner Kritiker*innen nicht gut bekommen dürfte. Vielleicht gerade weil Slowthai im Gespräch differenzierter argumentiert, überlässt er den angriffigen Chorus lieber seinem Gaststar Skepta:

How you gonna cancel me?
20 awards on the mantle piece
Pyramid Stage at Glastonbury
Girls in the crowd got their hands on me.
(„Cancelled“)

Slowthai "Tyron" Album Artwork

Crowns and Owls

Dann ist da noch die verletzlichere Seite von Slowthai, der die kleingedruckten sieben Titel der zweiten Albumhälfte gewidmet sind. Das bereits im Herbst veröffentlichte, schwebende „feel away“ wird unter Beteiligung von James Blake und Mount Kimbie zu Slowthais erstem wirklichem Liebeslied, und das großteils akustische „push“ ist eine melancholische Reflexion über Enttäuschungen beim Aufwachsen: „Hard times make me stronger, and these drinks makes me drunker, drugs made me fonder, selling drugs gets you richer, that’s a royal flush on the river.“

Slowthai selbst versprüht seine klugen, auch in harten Momenten nachdenklichen Raps in tiefstem britischem Englisch all over the place. Menschsein lässt sich bei ihm schlussendlich doch nicht aufteilen in laut und leise, stark oder schwach, sondern setzt sich auch auf seinem zweiten Album aus eben genau jener Vielzahl an Dingen zusammen, die eine Person ausmachen. Dementsprechend ist „TYRON“ kein auf den Punkt gebrachtes Meisterwerk, sondern eine chaotische Mischung, zutiefst verletzlich und manchmal verletzend, irrational aufbrausend, dann wieder einsichtig, ratlos, trotzig, schelmisch, nachdenklich oder konfus, und es ist somit ein umso ehrlicheres Statement.

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