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Festivalgelände in der Abendsonne

Eva Baumgartner

Ein Wettlauf mit der Zeit

Nach den Absagen der Juni-Festivals in Deutschland schaut es nicht gut aus für den Festivalsommer. Oder doch? Welche Hoffnung gibt es für Festivalfans im Sommer? Wir haben mit zwei Branchen-Profis aus Deutschland und der Schweiz gesprochen.

Von Susi Ondrušová

Glastonbury ist abgesagt, Primavera ist abgesagt und nun auch Rock am Ring/Rock im Park und Southside/Hurricane Festival. Konzert-Veranstalter leben in der Zukunft, sie planen mit langen Vorlaufzeiten das schönste Festivalwochenende für mitunter zehntausende Fans. Das können sie nur, wenn sie die Rahmenbedingungen für Veranstaltungen kennen.

Im zweiten Corona-Jahr bedeutet das für Veranstalter einen Wettlauf mit der Zeit. Es geht um die Frage der Durchimpfungsrate der jeweiligen Austragungsländer, um Testergebnisse und deren Gültigkeit. Wie sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Veranstaltungen heute und wie werden sie morgen sein? Wie steht es um die Reisefreiheit, damit Bands überhaupt ihr Heimatland verlassen können? Wie sollen Hygiene-Bestimmungen auf einem Festival überhaupt ausschauen? Das sind alles Fragen, für die man konkrete Antworten sucht.

Als Fan und Konzertgeher möchte man nun endlich wissen: WANN erfahre ich, welches Festival in welcher Form stattfinden wird? In Österreich muss man sich für eine Antwort noch gedulden. In Deutschland ist seit gestern klar: Open Air Events wie Rock Am Ring, Rock Im Park, Southside, Hurricane, Sonne Mond Sterne oder Deichbrand Festival sind auf 2022 verschoben.

Stephan Thanscheidt ist Geschäftsführer von FKP Scorpio, einer der größten Veranstalter Deutschlands. FKP Scorpio betreut nicht nur Tourneen von Bands wie den Foo Fighters oder Ed Sheeran, sondern ist unter anderem auch für das Hurricane und Southside Festival verantwortlich. Ein Großteil seiner Mitarbeiter ist in Kurzarbeit, man kümmert sich um Änderungen und Verschiebungen, passt sich den aktuellen Gegebenheiten aber nicht nur an, sondern arbeitet mit anderen Veranstaltern eng zusammen, um auf den Neustart vorbereitet zu sein: „Es geht natürlich im Hauptteil um Hygiene und Infektionsschutz Konzepte, die zur Möglichmachung von Events dienen sollen. Aber angesichts der weiter bestehenden epidemischen Lage und der verbundenen behördlichen Auflagen kommen die noch ein Stück zu früh. Wir sind trotzdem erpicht darauf, alles bereit zu haben für den Zeitpunkt, wo es dann wieder losgehen soll. Dass wir dann sozusagen Schutz- und Hygiene-Konzepte haben, die genehmigungsfähig sind und die auch kulturelles Leben dann ganz schnell wieder möglich machen.“

Zur Verschiebung der Juni und Juli Open Airs in Deutschland meint Thanscheidt: „Es ist natürlich wahnsinnig traurig und unglaublich frustrierend, dass es nicht möglich ist, diese Festivals durchzuführen. Der Schutz der Bevölkerung und die Sicherheit unserer Fans ist immer noch das höchste Gut und wir unterstützen alle Maßnahmen. Gleichermaßen fordern wir auch vernünftige Exit Strategien, um aus der Pandemie auch irgendwann wieder rauszukommen. Aber gerade für die Juni-, Juli-Festivals, die wir jetzt abgesagt haben, es ist mit Blick auf die epidemische Lage und den Impf-Fortschritt nicht realistisch, diese Festivals möglich zu machen.“

Stephan Thanscheidt, Geschäftsführer von FKP Scorpio

FKP Scorpio

Stephan Thanscheidt von der Agentur FKP Scorpio

Besucher*innen, die zum Beispiel einen Southside-Festivalpass für 2021 haben, können mit diesem die Festivalausgabe 2022 besuchen. Wer seinen oder ihren gekauften Festivalpass zurückgeben möchte, soll sich schriftlich an die Veranstalter wenden. Entsprechende FAQs sind auf den jeweiligen Festivalseiten zu finden. Thanscheidt spricht im FM4-Interview von einer „sehr großen Solidarität“ nach den Festivalabsagen 2020. „Je nach Festival haben zwischen 85 und 95% der Besucher*innen ihr Ticket umgeschrieben von 2020 auf 2021. Für 2022 läuft es jetzt ein bisschen anders, da ist es so, dass das Ticket Gültigkeit behält“.

Wie schaut es aber mit Festivals und Events im Spätsommer und Herbst aus? FKP Scorpio will im Moment noch abwarten „wie sich die Gesamtsituation entwickelt“. Alle Hoffnung ist noch nicht verloren. Gespannt blickt man nach Großbritannien, wo die Euphorie bei den Kolleg*innen im Londoner FKP Scorpio Büro „riesengroß“ ist. Boris Johnson hat im Februar einen 4-Stufen-Plan angekündigt mit dem hoffnungsvollen Datum: 21.Juli 2021. An diesem Tag soll es ein „back to normal“ geben.

Wenn dieser Plan aufgeht und das Infektionsgeschehen zurückgeht, könnte es in UK also eine Konzert und Festivalsaison 2021 geben. Die für Ende August angesetzten Festivals in Reading und Leeds waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Thanscheidt dazu: „Es gibt schon bei vielen Promotern auch eine Rest-Skepsis, ob das denn wirklich alles so eintreten kann. Aber ja, es könnte schon sein, dass wir für diesen Sommer ein relatives Parallel-Universum zwischen UK und Kontinentaleuropa haben werden. Aber da muss Einiges wirklich glatt laufen, damit das am Ende auch wirklich so zusammenkommt. Da würde ich nochmal im Moment abwarten.“ Welche Auflagen für die britischen Festivalgäste und auch auftretende Acts gelten werden (Stichwort: Impfnachweis), wird erst zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgegeben. (Ian Brown von den Stone Roses ist jedenfalls not amused.)

Ein Festival mit Social Distancing Regeln von 2 Metern ist jedenfalls kein Festival. „Da ist der Spaß Null Komma Nix“, kommentiert auch Harry Jenner von Barracuda Music, Veranstalter vom FM4 Frequency Festival.

Für Festivalfans ist der Hunger nach Livemusik unter freiem Himmel recht groß. Ein Jahr lang Livestreams, Virtual Reality Shows oder Festivalmitschnitte auf Youtube in Dauerschleife ist kein Zustand. Was hat Thanscheidt als Veranstalter aus den „Notlösungen“ die im ersten Corona-Jahr ins Leben gerufen wurden, gelernt? „Die Digitalisierung von Festivals. Das ist auf jeden Fall ein Tool, das zukünftig eine Rolle spielen wird. Vielleicht on top, vielleicht nebenher, vielleicht als reines Marketing Tool. Das muss man sehen, wie es sich entwickelt. Von allen Pandemie-gerechten Konzepten, Autokinos und so, haben wir uns sehr bewusst ferngehalten... Ansonsten: Was man gelernt hat in dieser Branche, ist die Solidarität untereinander. Es gab immer einen großen Konkurrenzkampf in der Branche und die Solidarität, die sich jetzt entwickelt hat, dass wirklich alle großen Companys sich an einen Tisch setzen und darüber reden, wie man gemeinschaftlich am besten durch die Krise kommt, wie man gemeinschaftlich an Hygiene und Schutz Konzepten arbeitet usw., das hat es vorher noch nie gegeben. Das ist erstmalig in der Geschichte in Europa des Live-Entertainment-Bereiches. Dann die Solidarität der Besucherinnen und Besucher, die Tickets behalten und dreimal umgeschrieben haben usw. Das sind Entwicklungen, die ich als sehr positiv bewerte und hoffe, dass davon nach der Pandemie auch noch ein bisschen was übrig sein wird, weil das ja ganz schön ist“.

Bühne

Manuel_Lopez für OpenAir St- Gallen

Open Air St. Gallen

Während sich in Österreich die IG Österreichische Veranstaltungswirtschaft erst 2020 gegründet hat, um für die Interessen der „führenden Veranstalter, Ticketingunternehmen und Spielstätten Österreichs“ zu lobbyieren, gibt es in der Schweiz schon seit Beginn der 90er Jahre den Branchenverband „Swiss Music Promoters Association“. Mitglieder der SMPA setzen 80% der in der Schweiz verkauften Konzert-, Show- und Festivaltickets ab.

Ob das Montreux Jazz Festival, das Openair Frauenfeld oder das Open Air St Gallen: Offiziell sind diese Events noch nicht abgesagt, aber Rahmenbedingungen für Events haben die zuständigen Behörden noch keine kommuniziert. Stefan Breitenmoser ist Geschäftsführer der Swiss Music Promoters Association und meint: „Wir haben in den letzten Tagen nochmal Druck gemacht, dass es wirklich wichtig ist für unsere Mitglieder, um die Planung aufrechtzuerhalten für diese Sommerevents, weil gerade die Veranstaltungen im Juni, viele wurden bereits abgesagt oder ins nächste Jahr verschoben, weil die Veranstalter einfach nicht mehr warten können. Jetzt ist so der „point of no return“ erreicht für die erste Hälfte des Sommers, wo man die Mitarbeiter reaktivieren muss aus der Kurzarbeit und die großen Kosten anfallen mit Verträgen, mit Dienstleistungen abschließen ect. Es werden, so wie es aussieht, noch weitere Festivals, die im Juni hätten stattfinden sollen, diese Woche voraussichtlich noch ihre Verschiebung, respektive Absage für 2021 bereits kommunizieren.“

Veranstalter sind zwar geübt im Improvisieren und viele Karrieren haben mit Learning-by-Doing angefangen, die Branche braucht aber Planungssicherheit, Arbeitsabläufe müssen wie ein Zahnrad perfekt ineinander übergehen, Zeitpläne müssen eingehalten werden damit das Festival-Erlebnis für die Besucher*innen funktioniert und die Kommunikation mit allen am Festival Beteiligten funktioniert.

Im 2. Corona-Jahr ist es besonders deprimierend, auf verbindliche Aussagen zu warten. Stefan Breitenmoser meint: „Praktisch in jedem Land scheint das so, als ob sich die Politik vor mehr oder weniger verbindlichen Aussagen drückt und die Veranstalter hinhält und die Veranstalter selber entscheiden müssen, sozusagen ohne irgendein Signal zu hören von den Behörden. Dasselbe gilt auch für Indoor Veranstaltungen, es gibt nach wie vor keine Strategie, wie man zum Normalbetrieb wieder kommen möchte sondern bei uns in der Schweiz geht’s immer jetzt Monat für Monat weiter. Also sprich Ende des Monats weiß man dann, was im Folge-Monat in Bezug auf Veranstaltungen gilt, und ohne die Auflagen zu kennen können keine Veranstalter in den Vorverkauf gehen und so weiter. Das gibt eine massive Verzögerung, bis wir einigermaßen vernünftig arbeiten können. Den Behörden ist das mittlerweile bewusst. Wir haben das schon Mantramässig x-mal vorgetragen, auch in anderen Ländern, was ich so höre und lese ist das der Fall aber eben die Behörden zieren sich nach wie vor.“

Aktuell wird in der Schweiz der Schutzschirm für Corona-bedingte Absagen verhandelt. Dieser Schutzschirm soll eine finanzielle Absicherung für Covid-19-bedingte Absagen und Verschiebungen von Veranstaltungen bieten. Die Branche kämpft dafür, dass der Schutzschirm im Schweizer Covid-Gesetz verankert wird. Der Nationalrat hat diese Woche für den Schutzschirm gestimmt, in den nächsten Wochen gehen die Diskussionen rund um diese Verordnung weiter. Stefan Breitenmoser meint, dass es bis „Ende März, wahrscheinlich Anfang oder Mitte April“ dauern wird, bis der Schutzschirm im Gesetz verankert ist und die Rahmenbedingungen ausverhandelt sind. Zusätzlich gibt es in der Schweiz seit Beginn der Pandemie Ausfallentschädigungen für Kulturunternehmer, die allerdings je nach Kanton eine Deckelung der Auszahlung vorsieht.

Angesprochen auf zukünftige Vorschriften in Bezug auf Veranstaltungen meint Breitenmoser, dass die SMPA gegen „reine Impf-Privilegien“ sei: „Wir wollen uns auch nicht von der Politik instrumentalisieren lassen, um einen Impfzwang quasi über die Hintertür einzuführen. Und dazu braucht es für uns auch für das Testen noch auch eine gesetzliche Basis. Damit diese negativen Tests überhaupt eine Gültigkeit haben und damit man als Veranstalter rechtlich auch abgesichert ist, dass das alles zulässig ist, was man da macht, weil die gibt es in der Schweiz, so wie wir das Gesetze interpretieren, noch nicht und das wurde uns auch von den Behörden so bestätigt. Also es gibt noch sehr viele Knackpunkte, die da zu lösen sind und die Zeit läuft uns davon. Es ist derzeit fraglich, ob wir rechtzeitig eine Lösung hinkriegen, damit gewisse Formen der Veranstaltungen stattfinden können.“

Was ist mit der Musik?

Bei all den logistischen Herausforderungen, die für die internationale Veranstalter-Branche entstehen, bleibt ein Thema unausgesprochen: Was ist mit der Musik? Welche Bands werden 2021 oder 2022 auf Tour gehen? In der Vergangenheit war der Festivalsommer der Zeitpunkt, an dem sich neue Bands etablieren können. Im Idealfall läuft eine Live-Karriere an, indem man zuerst eine Clubtour spielt, dann auf Festivaltour geht und Nachmittagsslots belegt. Man wird Support-Act bei einer etablierten Band und bespielt große Konzerthallen, wenn das erfolgreich „aufgeht“, kommt dann die eigene Hallentour. Im Idealfall ausverkauft natürlich. Im nächsten Jahr belegt man dann nicht mehr die Nachmittagsslots auf Festivals, sondern die frühen Abendslots oder: ist selbst Headliner geworden.

Twenty One Pilots auf der Bühne der Stadthalle

APA/HERBERT P. OCZERET

21 Pilots auf der Bühne der Stadthalle

Schauen wir uns zum Beispiel die perfekte und recht beschleunigte Bandkarriere der 21 Pilots an. 2014 spielen sie ihre erste ausverkaufte Österreich-Show im Wiener B72, nur fünf Jahre später sind sie Headliner auf dem FM4 Frequency Festival 2019 und spielen im Herbst im gleichen Jahr die ausverkaufte Wiener Stadthalle.

Dieser Band-Karriere-Kreislauf ist durch das stillgelegte Live-Geschäft komplett durcheinandergeraten. Bands können ihr Livetalent höchstens vor der Kamera unter Beweis stellen, aber nur wenig oder keine Erfahrung vor echtem Publikum sammeln. Die Frage, wie Live-Bands also in Zukunft „wachsen“ werden und mit diesem „verlorenen“ Livejahr (oder zwei) umgehen werden, wird uns noch länger beschäftigen.

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