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Baby Queen

Universal

Join the Baby Kingdom

Baby Queen gehört zur Generation der Future-Popstars, die ihre Karriere der Umstände wegen online aufgebaut haben. Manchmal funktioniert’s.

Von Lisa Schneider

Unser Leben verläuft jetzt online. Das ist schlecht und das ist auch gut so. „This is my internet religion / this is my ego’s exhibition“, singt Bella Latham als Baby Queen auf ihrer ersten Single, sie ist im Mai letzten Jahres erschienen. Das ist nur dann prophetisch, wenn man das Pandemiejahr miteinrechnet. Ansonsten ist es die einzig mögliche Bekenner-Ansage einer Vertreterin der Gen Z.

Wenn Bella Latham über das Internet spricht, klingt es so, als säße ihr eine ehemals beste Freundin gegenüber, mit der sie noch nicht ganz abgerechnet hat. Sie sei „massively addicted“ und gleichzeitig „part of the problem“. Frei nach dem Motto „I’m the bitches that I hate“ kann man nur zustimmend nicken: Social Media bleibt der einflussreichste Player, wenn es um Selbstdarstellung, Egoismus und ungesunde Vergleiche geht. Bella Latham ist nicht gekommen, uns zu verurteilen oder gar uns zu heilen, im Gegenteil. Sie schreibt Lieder über ihre, also unsere, Probleme mit dem Online-Dasein und macht das sarkastisch gut. „It’s funny, ‚cause it’s true“, würde sie sagen. Und wieder zustimmendes Kopfwackeln.

Wenn nicht Hollywood, dann eben London

Baby Queen hat, schon bevor die Online-Kommunikation die reale überlagert hat, Songs über die mal mehr, mal weniger toxische Qualität von Social Media geschrieben. Sie ist jetzt 23 Jahre alt und hat vor gut fünf Jahren ihre Heimatstadt Durban, Südafrika verlassen, um nach London zu ziehen. Sie wäre auch gern nach Hollywood gegangen, hat aber „nur“ einen französischen Pass (väterlicherseits). Und deshalb pragmatisch die vielleicht zweitbeste Stadt, eine Musikkarriere zu starten, ausgesucht.

Wie es in einem modernen Popmärchen sein muss, folgen auf die ersten, guten Vorsätze erstmal Party und Drogen. Bella Latham hat auch darüber eine Handvoll erster Baby-Queen-Songs geschrieben. „Buzzkill“ ist die so entstandene, grungig angehauchte Anti-Party-Hymne. „What doesn’t kill you makes it wish that it had“, schreibt sie noch beim Zurückdenken an so manch gern verdrängte Nacht. Etwas später, im Song „Medicine“, hört man dann aber schon diese Zeile frei nach Liam Gallagher: „I used to wanna die / but now I wanna live forever.“ Kein Staub haftet an diesem zuckerbunten Indiepop, und überhaupt ist das kein Indie, weil Baby Queen schon längst einen Major-Deal in der Tasche hat.

Was in den Texten von Baby Queen passiert, färbt nicht auf die Musik ab. Mit Widersprüchen stimmig umzugehen, ist eine sehr gute Sache; gerade weil sie in vielen anderen Pop-Entwürfen fehlt. Sarkastisch, aber nie zu sehr, packt Bella Latham Themen wie Drogenmissbrauch, Depression und Angstzustände in Lieder Marke Powerpop. Heraus kommt dann das merkwürdige und selten hinreißende Gefühl, wenn man Zeilen wie „I’m thinking about you / but you’re thinking about sex“ laut mitsingsummt. „Raw thoughts“ ist nichts weniger als ein kleines Pop-Meisterwerk, gerade weil es dem klassischen Rezept der großen Hits so brav folgt. Das hätte eventuell auch Lorde (respektive Jack Antonoff) gern geschrieben.

„And I don’t give a shit“

Was Lorde ist, und Baby Queen nicht: ein eleganter Popstar. Wo Lorde andeutet, immer auch ein bisschen vage und geheimnisvoll bleibt, ist Bella Latham als Musikerin, als Instagram-Star das, was man bei zornigen Ausrufen „in your face“ nennen würde. Gerade auch die von den 90er Jahren inspirierten Pressefotos und Videos führen die Gedanken nicht selten zurück zur Attitüde einer gewissen Avril Lavigne. Das ist nicht so schrecklich, wie es klingt.

Und wenn schon große Namen fallen, sollte in einem Artikel über Baby Queen die Band The 1975 vorkommen. Matty „modernity has failed us“ Healy ist aktuell einer der feinfühligsten Pop-Philosophen, auch wenn er sich gern als das Gegenteil ausgibt. Inhaltlich und musikalisch verbindet ihn vieles mit Bella Latham, nur eine Sache sicher nicht. Im FM4 Interview kurz vor ihrem Metastadt-Auftritt in Wien meinte Matty Healy zuletzt: „I want a quite strict door policy on my band, I don’t want everyone getting it, cause then it’s not real.“ Man kann es ihm abkaufen oder nicht (gibt es jemanden, der weniger Fans will statt mehr?), Bella Latham jedenfalls würde das so nicht unterschreiben. Und damit zeichnet sie sich aus als Teil einer neueren, wiederum jüngeren Musiker*innengeneration.

Baby Queen EP-Cover "Medicine"

Universal

„Medicine“ heißt die erste EP von Baby Queen und ist 2020 via Universal Music erschienen.

Offenheit ist die neue Intimität. Natürlich auch deshalb, weil man es sich nicht anders leisten kann. „Door policies“ wie bei Matty Healy sind Wunschträume, die bestimmt niemand hegt, der noch keine erste, große Welttournee gespielt hat. Mit den Fans und auch in der Musik wird stattdessen alles geteilt: Trennungen, guter und schlechter Sex, wie die Einnahme von Antidepressiva sich tatsächlich auf die Psyche auswirkt, aber auch, wie das Müsli heute Morgen geschmeckt hat.

Das ist schön und vor allem schön inszeniert. Auch wenn Bella Latham sich für ihr „Baby Kingdom“ verantwortlich fühlt, ist der ganze verlangte und/oder selbst auferlegte Exhibitionismus manchmal zu viel. Bella Latham erzählt, sie habe durchaus Probleme damit, mit Menschen in Kontakt zu bleiben. Auch, weil sie leicht das Gefühl bekommt, zu viele Menschen würden gleichzeitig etwas von ihr wollen. Wir sind wieder bei den Widersprüchen gelandet, aber auch hier gilt: Solange man mit ihnen umzugehen weiß, geht’s. Offline sein ist auch eine Option.

Taylor Swift made me do it

Der laute, schrille und sehr unterhaltsame Online-Auftritt von Baby Queen ist Teil einer sehr guten Marketingstrategie. Und es ist natürlich nur ein Teil. Auf Fragen etwa nach dem Moment, als Bella Latham wusste, dass sie auf die Bühne muss, antwortet sie mittlerweile wie aus der Pistole geschossen mit der atmosphärisch schönen Geschichte, dass eines Tages Taylor Swift zuhause im Fernsehen zu sehen und sie eindrücklich begeistert war. Auch wenn sie diese Geschichte vom „Lovestory“-Musikvideo in den letzten Monaten sehr oft erzählt hat, wird sie dessen nicht müde, umgekehrt sogar, es scheint, sie erzählt sie immer euphorischer.

Gute Musik ist gut, gute Musik mit guten Geschichten dahinter ist manchmal noch besser. Und wer die zuvor nicht für sich verwendet hat, hat das Online-Marketing vielleicht in den letzten Monaten gelernt.

Dann lieber gleich die große Bühne

Vor kurzem hat Baby Queen ihre aktuelle Single „These Drugs“ veröffentlicht, und niemand geringerer als Courtney Love hat das dazugehörige Instagram-Posting geherzt und kommentiert. Das nur als kleines Beispiel, wie Talent, Zufall, vor allem aber eine dritte, erstarkte Komponente neue Popstars erschaffen kann: die grundsätzliche Möglichkeit der schwellenlosen Online-Vernetzung.

Hätte diese Pandemie in den 90ern stattgefunden, welche wären die Plattformen für Menschen wie Baby Queen, Holly Humberstone, Alfie Templeman, Arlo Parks & Co gewesen? Diese jüngsten, erfolgreichen Newcomer*innen haben bis jetzt wenig bis keine Bühnen bespielt, wo sie sonst normalerweise entdeckt worden wären. Sie alle haben stattdessen Live-Sessions aufgenommen, die online gestreamt werden. Und das dann eben nicht nur im Wohnzimmer der Tante, sondern auch bei Online-Ausgaben großer Festivals, in prestigeträchtigen Shows wie der von Jimmy Fallon oder James Cordon oder auf sonstigen Channels zum Entdecken neuer, bester Musik.

Dass sie aktuell kein Album fertig aufgenommen hat, sondern nur die schon letztjährig veröffentlichte EP „Medicine“, ist für Baby Queen ein großer Glücksfall. Das sagt sie selbst. Sie kennt zu viele Musiker*innen in ihrem Umfeld, die auf ihrem ersten großen Release sitzengeblieben sind, weil sie nicht auf Tour gehen können. Wenn 2022 geplanterweise das erste Album von Baby Queen erscheint, wird die Welt womöglich wieder in Ordnung sein. Oder geimpft.

Was Bella Latham dann über das in der Ferne liegende Livespielen sagt, ist nicht arrogant, sondern gemessen an ihrer wachsenden Fancrowd schlichtweg wahr: „I’ll just go to the bigger stages.“

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