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Szenenbild "I care a lot"

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FM4 Filmpodcast

Scam-a-lot!

In dieser Episode des FM4 Filmpodcasts sprechen wir über zwei neue Filme, die sich um Betrüger*innen drehen: „I Care a Lot“ und „Kajillionaire“.

Von Pia Reiser

Das con in con (wo)man steht für confidence und davon hat Marla (Rosamund Pike) in „I care a lot“ reichlich. Im Grunde hat schon ihr messerscharf geschnittener Bob mehr Selbstvertrauen als der Durchschnittsbürger. Con men und women tricksen, schwindeln und betrügen raffiniert und zählen zu beliebten Figuren in Literatur und Film. Von Patricia Highsmiths Tom Ripley über „Catch Me If You Can” bis zur Serie “Sneaky Pete” sind es allerdings meistens Männer, die Experten darin sind, Menschen – oder gar ganze Systeme – zu überlisten. Und: Wir im Publikum empfinden diebische Freude, ihnen dabei zuzusehen.

In „I Care a Lot” ist es eine Frau, die einen groß angelegten Scam am Laufen hat, und der ist von derart diabolischer Natur, dass es beklemmend ist, wie ihr Plan stets aufgeht. Marla Grayson hat ausgerechnet im US-Sozialsystem eine Lücke gefunden, um reich zu werden: Mit Hilfe einer Ärztin und eines Altersheimes - und eines Richters, der zwar nicht eingeweiht, aber gutgläubig ist - lässt sie sich zum Vormund von älteren, wohlhabenden Menschen ohne Familie machen. Während die dann im Pflegeheim ohne Kontakt zur Außenwelt landen, hat Marla als Vormund Zugriff auf deren Vermögen.

Wie lange kann das gutgehen? In „I Care a Lot“ so lange, bis Marla an eine vermeintlich alleinstehende Frau gerät, die sich aber als Mutter eines russisch-amerikanischen Gangsterbosses herausstellt.

Szenenbild "I care a lot"

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Die erste Hälfte von „I Care a Lot“ ist knalliges Popkino mit Spitzensoundtrack und einer Geschichte, die einem so noch nicht erzählt worden ist und die einen wahren Kern hat. Die Liste von älteren Menschen in den USA, die durch einen gerichtlich eingesetzten Vormund ihren Besitz und ihr Vermögen verloren haben, ist lang.

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„I Care a Lot“ packt die Geschichte um Hilflosigkeit und Entmündigung in die Hülle einer stylishen Krimikomödie. Pike ist großartig als skrupellose, eiskalte Geschäftsfrau mit einer Unzahl an schicken Sonnenbrillen und Etuikleidern. Peter Dinkelage macht die an sich platte Rolle des Gangsterbosses mit Vorliebe für Eclairs und Macarons interessanter, als sie wohl im Drehbuch war, und Chris Messina, der König der Nebendarsteller, taucht als schmieriger Anwalt mit Krawattenkettchen auf, um ein paar Szenen zu stehlen. Die zweite Hälfte des Films, in der dann Grayson und der Gangsterboss versuchen, sich gegenseitig auszuschalten, ist dann eher Thrillerkomödienbusiness as usual, da sind die kleinen, bösen Seitenhiebe auf das Sozialsystem längst verstummt. Überrascht wird man bloß am Ende, das mit recht oldschooliger Katharsis daherkommt.

Szenenbild "I care a lot"

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Überstilisierte Seltsamkeiten in „Kajillionaire“

Wenn man es bis zum Ende von „Kajillionaire“ schafft, dann gibt es auch hier eine kleine Katharsis, ich versteh aber auch jeden, der den Film nicht bis zum Ende aushält oder auch das Abspielgerät aus dem Fenster pfeffert. Miranda Julys dritter Spielfilm ist für viele ein Meisterwerk des absurden Humors, für mich ist es eine Nervenprobe. Das meiste, womit sich Allrounderin July beschäftigt, dreht sich um menschliche Interaktionen, um Intimität und um die Seltsamkeit der Welt. Letzte will July nie nur einfach abbilden, sondern auch mit Seltsamkeit inszenieren.

Das ist aber nicht die schrullige Niedlichkeit, die das US-Indiekino der 00er Jahre geprägt hat. Die emotionale Brutalität von „Kajillionaire“ hat mich erwischt, wie das sonst nur Filme von Lars von Trier schaffen. Im Zentrum der Geschichte steht die Familie Dyne, für die „dysfunktional“ ein Euphemismus ist. Die sensationellen Richard Jenkins und Debra Winger sind die Eltern von Old Dolio (Evan Rachel Wood), zu dritt schlagen sie sich mit kleinen Diebstählen und Betrügereien durchs Leben. Old Dolio kennt weder Liebe noch Wärme, als sie massiert werden soll, zuckt sie zurück, weil ihr schon alleine Berührung fremd ist.

Filmstills aus Miranda Julys "Kajillionaire"

Viennale

„Kajillionaire“ ist die Geschichte einer Befreiung aus der Verwahrlosung, wobei diese knappe Beschreibung zu sehr nach „feel good“ klingt. In Filmen geben sich Betrüger*innen oft als Familie aus, die Dynes in „Kajillionaire“ sind eine Familie, geben sich aber nicht so. Wie jedes System wird auch das System „Dyne“ durch das Hinzukommen eines Außenstehenden auf die Probe gestellt. Melanie (Gina Rodriguez), eine Reisebekanntschaft, ist fasziniert von den Dynes und steigt ins nicht recht rentable Scam-Geschäft ein. Rodriguez ist der Herzschlag dieses Films, da sie im Gegensatz zu den Dynes wie eine „echte“ Figur wirkt und nicht nur wie eine Idee für eine Figur.

Mirandy Julys Filme sind one of a kind, sowohl ästhetisch als auch erzählerisch muss man für sie eine eigene Schublade eröffnen, und während ich die Vision und einige der Ideen in „Kajillionaire“ bemerkenswert finde, so war der Film für mich der fürchterlichste und unaushaltbarste der letzten Jahre. Kollege Jan Hestmann würde all dem widersprechen und das tut er auch: in der neuen Episode des FM4 Filmpodcast.

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