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Tracey Thorn

Edward Bishop

Die Musikerin Tracey Thorn schreibt über ihre Jugend

Die Britin Tracey Thorn ist als Sängerin des Folktronica-Duos Everything But The Girl international bekannt geworden. Seit einigen Jahren ist Tracey Thorn auch Autorin. Ihr aktuelles Buch, „Another Planet“, ist kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienen und handelt vom Aufwachsen in den 1970er Jahren in einer Siedlung nahe London.

von Eva Umbauer

„Mir hat die Vorstellung immer gefallen, den Blick auf das Alltägliche zu richten, oder auf das, was übersehen wird. Der Ort, aus dem ich komme, hat nichts ausgesprochen Schönes, und trotzdem spielt er in meinem Leben eine sehr große Rolle.“

Im wohl berühmtesten Song von Everything But The Girl, „Missing“, singt Tracey Thorn: „Ich steig aus dem Zug, geh deine Straße hinunter, zu deiner Tür, aber du lebst nicht mehr hier.“ An den Ort ihrer Kindheit und Jugend war Tracey Thorn erstmals wieder zurückgekehrt, als sie ihr Buch „Ein anderer Planet - Eine Jugend in Suburbia“ begann. Sie war gute zwanzig Jahre nicht mehr in Brookmans Park gewesen, einer extra für Pendler errichteten Vorstadtsiedlung, denn ihre Eltern waren mittlerweile weggezogen und Tracey lebte längst in London, jener Stadt von der sie schon als Mädchen träumte, die nicht weit weg war von Brookmans Park, aber dennoch praktisch unerreichbar schien für die heranwachsende junge Frau.

Buchcover "Ein anderer Planet"

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„Another Planet“ von Tracey Thorn ist 2019 erschienen und wurde nun von Conny Lösch für den Heyne Verlag unter dem Titel „Ein anderer Planet - Eine Jugend in Suburbia“ ins Deutsche übersetzt.

„Ich habe London immer geliebt. Es schien mir sehr weit weg, und trotzdem wird mir jetzt bewusst, dass Brookmans Park in einer symbiotischen Beziehung zu London gefangen war. Der Ort existierte nur wegen der Stadt, war ausschließlich für Pendler erbaut; was unweigerlich eine Verbindung ergab. Ich lebte praktisch auf einem der Monde des Planeten London. London zog mich magnetisch an.“

Vorstadt-Leben

Viele Pendlerinnen saßen damals in den 1970er Jahren wohl nicht im Zug von Brookmans Park nach London und wieder zurück, denn die meisten der Frauen - oder eigentlich alle - waren Hausfrauen, während die Männer hinunter nach London pendelten. Der Vater von Tracey Thorn war Buchhalter in der großen Stadt, die Mutter zuhause bei Tracey und ihren beiden älteren Geschwistern.

"In meiner Siebzigerjahre-Pendlersiedlung hatte ich den Begriff „Schicht" nie gehört und trotzdem wussten wir alle, was das war. Jeder kannte seinen eigenen Platz in der Hackordnung. Selbst in einer so kleinen Ortschaft gab es eine richtige und eine falsche Seite. Wenn Geschichte, Herkunft und Erbe entscheiden, ob man zur Oberschicht gehört, dann gehörte in Brookmans Park sicher niemand dazu. Und ohne Oberschicht gab es eigentlich auch keine Arbeiterklasse. Es gab keine Fabriken, keinen Tagebau, keine Schwerindustrie. Das bedeutet aber nicht, dass Hierarchien keine Rolle spielten und nicht auf andere herabgesehen wurde.“

Tracey Thorn erzählt von der britischen Klassengesellschaft und ihrer Starrheit, der Verständnislosigkeit der Eltern gegenüber ihrer Tochter, von erster Liebe, von übermäßigem Alkoholkonsum und natürlich von ihrer beginnenden großen Leidenschaft für Musik. Von Selbstvertrauen und Zweifeln.

„Als Kind spielte ich ein bisschen Theater. Als ich mir später eine Gitarre kaufte und zu singen anfing, war das etwas sehr viel Demonstrativeres und Selbstherrlicheres. Vielleicht ist es kein Wunder, dass es mir immer schwer fiel, das nötige Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen dafür aufzubringen. Ich hatte immer eine Stimme im Hinterkopf, die mich ermahnte, die Angeberei sein zu lassen. Mach kein Theater. Trink nicht so viel. Sei leise.“

Rebellion. Punk.

Die Rebellion des Punk kommt gerade rechtzeitig für die junge Tracey Thorn. Britische Musikerinnen wie die Slits oder Pauline Murray von der Punkband Penetration. Tracey Thorn kauft Schallplatten und notiert, welche Bands sie im Fernsehen gesehen hat. Tracey schreibt viel in ihr Tagebuch.

„Um 8.30 Uhr aufgestanden und Geschenke ausgepackt. Ich habe Schuhe bekommen, eine LP von Penetration, Puder, Parfüm und Ohrringe. (...) Ende des Monats kaufte ich Singles von Dr Feelgood und The Jam, und zufällig, oder vielleicht auch nicht zufällig, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass mein Leben langweilig und eintönig war. (...) Auch waren Klamotten nur begrenzt verfügbar. Wenn ich punkig aussehen wollte, konnte ich nicht einfach zu Topshop gehen und mir ein entsprechendes Outfit besorgen. Urbane Klamottenläden wie Sex oder Seditionaries waren angsteinflößend und für Mädchen wie mich viel zu teuer. Wir mussten unsere Outfits selbst machen, aus dem, was wir gerade in die Finger bekamen.“

Mit 18 gründet Tracey Thorn eine Band, sie besteht komplett aus Frauen - die Marine Girls. Die Band veröffentlicht zwei Post-Punk-Pop-Alben, auf die sich später Musiker wie Kurt Cobain beziehen. An der Universität im nordenglischen Hull, wo Tracey Thorn dann Englisch studiert, lernt sie einen gewissen Ben Watt kennen. Die beiden gründen Everything But The Girl, ein Bedroom-Songwriter-Duo, das 1984 sein erstes Album herausbringt, sich soldarisch mit den damals streikenden Bergarbeitern zeigt und später mit Folktronica-Sound Pop-Erfolge hat.

Neben den Erinnerungen an ihre Teenagerzeit und Gedanken zur Musik dieser Ära - von Patti Smith bis Bruce Springsteen - greift Tracey Thorn in „Ein anderer Planet“ auch Themen auf, wie etwa Demenz - ihr inzwischen verstorbener Vater litt später an dieser Krankheit. Tracey Thorn spricht auch seine Vergangenheit als Soldat in der britischen Armee an. Sie spricht auch ihr eigenes Älterwerden an, die Unterschiede zwischen Frau-Sein damals, als ihrer Mutter Valium verschrieben wurde, und heute, wo sich für Frauen vieles zum Besseren entwickelt hat.

Tracey Thorn als Erzählerin

„Ein anderer Planet - Eine Jugend in Suburbia“ von Tracey Thorn ist liebenswert, einfühlsam, lustig, humorvoll, informativ, selbstkritisch und weise. Tracey Thorn ist eine wirklich gute Erzählerin, auch wenn sie sich mit ihrem bereits dritten Buch erst langsam daran gewöhnt, neben der Musikerin auch die Autorin Tracey Thorn zu sein.

„Ich gehe erneut den Hang hinunter zum Bahnhof, rüber zum Bahnsteig und warte auf meinen Zug. Ich denke an Heimweh und was es bedeutet. (...) Ein Schulmädchen kommt die Stufen herunter auf den Bahnsteig, sie hat Kopfhörer auf und lacht mit Blick auf ihr Handy. (...) Ich schaue auf und das Mädchen ist verschwunden, vielleicht habe ich mir nur eingebildet, dass sie da war? War sie eine Art Gespenster-Ich? (...) Als der Zug endlich hält, steigt außer mir niemand ein oder aus. Ich schaue noch einmal über die Schulter, bevor ich einsteige. Dann schließt sich die Tür hinter mir.“

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