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"Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings"

Marvel / Disney

FILM

Computer-Action und Diversität nach bewährtem Schema: „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

Marvel erweckt einen vergessenen Kung-Fu-Meister zum Leben - und zielt dabei auf den chinesischen Markt. Ob die Kalkulation aufgeht, wird sich aber erst zeigen.

Von Christian Fuchs

Man könnte sich eine Marvel-Produktionssitzung so vorstellen: „Wir müssen neue Zielgruppen erschließen“, meint ein Marketingmensch zu Oberboss Kevin Feige. „Nach dem Riesenerfolg von ‚Black Panther‘ sollten wir nun das sino-amerikanische Publikum anpeilen, mit einem entsprechenden Helden. Und dabei nehmen wir den so wichtigen und riesigen chinesischen Markt gleich mit.“

Gesagt, getan. Ein obskurer Superheld aus den 70ies wird aus der Versenkung geholt. Der chinesische Kung-Fu-Meister Shang-Chi entsteht damals als Marvels Reaktion auf Bruce Lee und die grassierende Martial-Arts-Welle. Schon im Comic hadert der junge Kampfkünstler mit seinem diabolischen Vater. Der heißt seinerzeit Fu Manchu, eine berüchtigte popkulturelle Figur, die sämtliche antiasiatischen Stereotype bedient.

"Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings"

Marvel / Disney

Erfunden vom britischen Autor Sax Rohmer in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, geistert der chinesische Verbrecher durch Groschenromane und Mysteryfilme. Nicht nur personifiziert Dr. Fu Manchu sämtliche Ängste vor der „gelben Gefahr“, es sind westliche Gruseldarsteller wie Boris Karloff oder Christopher Lee, die ihm in einem schamlosen, aber einst gängigen Akt des Yellowfacing ihr Gesicht verliehen. Der Marvel Verlag inkludiert den Superschurken 1973 dann in seinen Comic-Kosmos.

Dieses rassistische Erbe lässt „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ klarerweise hinter sich. Aus Fu Manchu wird der über tausend Jahre alte Wenwu, ein krimineller Fädenzieher, der im Marvel Cinematic Universe auch als The Mandarin bekannt ist. Mit diesem Namen sind ebenfalls Kontroversen verbunden, die der Film aber geschickt und sarkastisch umschifft (und sich dabei auf „Iron Man 3“ und einen entsprechenden Charakter bezieht).

"Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings"

Marvel / Disney

Hongkong-Legenden und virtuelle Action

Die Grundidee übernimmt Marvels neuer Blockbuster jedenfalls weiterhin aus der Comicvorlage: Ein moralisch scheinbar integrer Held, der zurückgezogen in San Francisco lebt, leidet unter seinem ikonischen Gangsterpapa im fernen Asien. Während Shang-Chi als unauffälliger Hotelangesteller arbeitet, droht Wenwu mit seinen magischen zehn Ringen die Tore zu einem dämonischen Schattenreich zu öffnen. Der Sohn soll dabei helfen, geht es doch auch um den Geist der verstorbenen Mutter.

Das klingt nach Bubenabenteuer, aber Diversity ist bei Marvel großgeschrieben, wie auch in „Black Panther“ sind weibliche Charaktere zentral. Meng’er Zhang brilliert als Shangs kämpferische Outlaw-Schwester, die ebenfalls mit Daddy Issues ringt, man wünscht sich sofort einen Spinoff-Streifen mit ihr.

Ebenfalls super: Die koreanischstämmige Rapperin und Komödiantin Akwafina. Als beste (und platonische) Freundin von Shang-Chi sorgt sie für die humorvolle Bodenhaftung bei der abgehobenen Geschichte. Sehr schön auch, Michelle Yeoh wiederzusehen, eine echte Grande Dame des Martial-Arts-Kinos, die Shang-Chi’s Tante verkörpert.

"Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings"

Marvel / Disney

Nett, topfit, aber ein Haucherl uncharismatisch wirkt ausgerechnet der Titelheld, gespielt vom chinesisch-kanadischen Stuntman Simu Liu. Er wird auch von einem besonderen Leinwandauftritt überstrahlt: Hongkongs Schauspiel-Legende Tony Leung Chiu Wai, berühmt aus Meisterwerken von Wong Kar-wai oder John Woo, ist erstmals in einem westlichen Film zu sehen. Als Wenwu alias The Mandarin hat er einige imposante Auftritte.

Sympathische Castingentscheidungen und die Trademark-Selbstironie gehören zum Baukastenprinzip jedes Marvel-Blockbusters, machen aber noch keinen guten Film. Regisseur Destin Daniel Cretton wurde zwar durch Indiedramen wie „Short Term 12“ bekannt, hier liefert er aber nur Reißbrett-Kino nach vielfach bewährtem Muster.

Fast schon katastrophal dagegen, dass die ausgedehnten Martial-Arts-Sequenzen, die im Mittelpunkt von „Shang-Chi and the Legend of the Ten Tings“ stehen, völlig artifiziell anmuten. Die computeranimierte Kung-Fu-Action verhält sich zur Artistik früherer Wuxia-Epen so wie die CGI-Fahrzeuge in der „Fast & the Furious“ Reihe zu echten Autocrash-Streifen. Ein endlos langer Showdown mit überzogenen Fantasy-Monstern von der Festplatte verschlimmert alles noch.

"Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings"

Marvel / Disney

Und der lukrative chinesische Markt? Ausgerechnet der wehrt sich noch. Auf der einen Seite will man die Vergangenheit der Figur nicht vergessen, als Shang-Chi ein Symbol für die amerikanische Ausbeutung der chinesischen Kultur war - und einen Vater namens Fu Manchu hatte. Andererseits stößt man sich auch an den Kulturklischees, die der Film enthält.

Zensur ist natürlich niemals eine Option, einen Hollywood-Blockbuster zu verbieten symbolisiert gruselige Politik. Spätestens beim Finale, das wirkt, als ob jemand die kitschige Deko mancher Asia-Restaurants aufwändig animiert hätte, versteht man aber ein bisschen von der chinesischen Skepsis.

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