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Todor Ovtcharov

Ein Kindertraum von Zuckerln und nassen Händen

Kinder, die Astronauten, Ärzte oder Polizisten werden wollen, gibt es viele. Warum will aber ein Kind, wenn es groß ist, unbedingt in einem Amt arbeiten?

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

„Wenn ich groß bin, werde ich Beamter!“, sagt mir der siebenjährige Michael, „ich will eine große Liste haben, wo ich nachschauen kann, ob alle ihre Arbeit getan haben. So werden alle auf mich hören und ich werde sehr wichtig sein.“

Ich höre zum ersten Mal so einen Kindheitstraum. Ich weiß von Kindern, die Ärzte, Polizisten, Astronauten oder sogar Influencer und DJs auf Hochzeiten werden wollen. Verständlich ist es, wenn Kinder als Ärzte Menschen helfen, zu den Sternen fliegen oder die „Bösen“ einsperren wollen. Verständlich ist es auch, wenn einige Kinder Müllleute sein wollen, um im Müllwagen hinten fahren zu dürfen. Alle diese Kinderträume sprudeln über vor Romantik und Freiheitsgefühl.

Der Traum von Michael hingegen ist nüchtern und bodenständig. Dieses Kind hat schnell begriffen, wie die Welt funktioniert. Es hat geschnallt, dass Wissenschaftler Impfungen erfinden, aber Beamte entscheiden, wer und wann man sie bekommt. Ingenieure erfinden neue Maschinen, aber Beamte entscheiden, wann und wo welche zugelassen wird. Sogar Müllleute fahren ihre Müllwägen nach den Anweisungen von Beamten.

Astronaut im All mit Erde im Hintergrund

PIRO4D/Pixabay

Jemand, der Michaels Worte hört, scherzt, dass er Beamter werden will, um Schmiergelder zu kassieren. Michael weiß nicht, was „Schmiergelder“ heißt, aber er versteht, dass das was Schlechtes ist. Er sagt, er werde ein Chef der Beamten sein und alle unter ihm werden gute Leute sein. Er werde andere Beamte anstellen, um ihre Arbeit zu kontrollieren. Michael versteht selbst nicht, wie gut er eine gut funktionierende Verwaltung durchschaut hat. Denn wenn A ein Beamter ist, schaut B auf A und C ist der Chef von A und B. Das ganze Alphabet wird uns nicht ausreichen, um eine gute Verwaltungshierarchie darzustellen.

Ich frage ihn, wie er auf die Idee gekommen ist, Beamter zu werden. Er erzählt mir, dass er mit seiner Mutter auf einem Amt war (für ihn sind alle Ämter gleich). Sie hielt ihn an der Hand und wartete, bis sie dran waren. Er fühlte, wie ihre Handfläche immer nasser und nasser wurde. Sie hielt ihn so fest, dass seine Hand fast schon wehtat. Deshalb musste er weinen. Der Beamte, mit dem sich seine Mutter traf, bemerkte das und gab ihm ein Bonbon. Es ist nicht so, dass der Alltag von Michael bonbonlos verläuft, aber dieses eine Zuckerl erscheint ihm wie das wichtigste Zuckerl seines Lebens. Er ist sich auch sicher, dass das seine Mutter gerettet hatte, denn ihre Handfläche wurde wieder trockener. Deshalb möchte Michael als Beamter an Freunde Zuckerl verteilen und die Hände von denen, die ihm unangenehm sind, nass werden lassen.

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