Der Klang der Welt des Manu Delago

Der in London lebende Musiker hat sich 2020 in die Berge seiner Tiroler Heimat zurückgezogen, um dort sein erstes Soloalbum aufzunehmen. Die Umwelt steht dabei im Zentrum des Geschehens - nicht nur thematisch, sondern auch musikalisch.

Von Clemens Fantur

Manu Delago ist ein weitgereister Mann. In über 50 Ländern hat der in Innsbruck aufgewachsene und mittlerweile in London lebende Musiker bereits Konzerte gespielt. Als viel gefeierter Solokünstler, aber auch als hoch geschätztes Ensemblemitglied von Björk, Anoushka Shankar und dem Cinematic Orchestra. Manu Delago weiß, was es bedeutet, auf Tour zu sein, kennt die Vorzüge des On-the-Road-Seins genauso wie seine unangenehmen Neben- und Auswirkungen auf die beteiligten Personen, aber auch auf deren Umwelt. Und so stellte sich Manu Delago die Frage, wie man das Tourleben in diesem Jahrtausend neu denken kann. Herausgekommen ist ein Projekt, das laut eigenen Angaben das wohl anstrengendste Monat seines bisherigen Musikerlebens hervorgebracht hat.

Eine 1.500 km lange Radtour gemeinsam mit seiner Band, ausgehend von seiner Heimatstadt Innsbruck quer durch Österreich, von Konzert zu Konzert: ReCycling wurde das Vorhaben getauft, im Zuge dessen versucht wurde, den CO2-Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Mit dem Fahrrad wurde der eigene Strom generiert, mit dem am Abend die Soundanlage betrieben wurde. Das vegane Catering wurde immer von lokalen Fans zu Verfügung gestellt, die im Gegenzug Konzerttickets bekamen. Mein lieber Kollege Chris Cummins hat die Band im Mai 2021 begleitet und Tagebuch geführt.

Bei ReCycling ging es darum, Gewohnheiten zu überdenken und die Sicht auf naheliegende Dinge zu verändern, um neue Wege einschlagen zu können. Manu Delago hat bereits sehr früh begonnen, sich mit seiner Umgebung künstlerisch auseinanderzusetzen. Als der globale Virus 2020 das Reisen einschränkte, ist der Musiker zurück nach Innsbruck gegangen, um dort ein schon jahrelang geplantes Vorhaben umzusetzen: ein Soloalbum. Seit 2006 veröffentlicht der Grammy-nominierte Manu Delago beinahe jährlich ein Studioalbum. Bis jetzt immer in Zusammenarbeit mit seiner Band oder mit wechselnden Musikern und Musikerinnen.

Die globale Stillegung schien der ideale Zeitpunkt dafür zu sein, ein Studioalbum im Alleingang umzusetzen. Obwohl das Album natürlich nicht alleine, sondern in enger Zusammenarbeit mit seiner Band entstanden und auch die Bezeichnung “Studioalbum" sehr unzureichend ist, denn die Idee hinter Environ me war und ist es, die Umwelt und Umgebung nicht nur als Inspirationsquelle, sondern auch als Tonquelle mit einzubeziehen. Bei seinem Vorgängeralbum „Parasol Peak“ begab sich Manu Delago in die Berge, um Stücke einzuspielen. Bei seinem neuesten Werk ist der Musiker einen Schritt weitergegangen und hat sich die Frage gestellt: Wie klingt der Berg, wenn man ihn als Instrument versteht? Oder wie klingt es, wenn man eine Liftstation in den Tiroler Bergen als perkussives Instrument einsetzt?

Aber nicht nur die Natur diente als Tonangeber für das Album. Auch ganz banale Dinge des Alltäglichen wurden mit einbezogen. Was passiert, wenn explodierendes Popcorn den Rhythmus für ein Stück vorgibt? Welche Geräusche entstehen, wenn man ein Auto in seine Einzelteile zerlegt? Und wie kann man aus all dem Musik machen?

Um all diesen Fragen nachzugehen, machte sich Manu Delago zusammen mit seiner Band und einem Videoteam an die Arbeit. Es wurde aufgenommen und gleichzeitig gefilmt. Bei dem Stück Trees For The Woods brachte Manu Delago ein Cello-Ensemble in einen abgeholzten Wald, bei Liquid Hands bespielte er gemeinsam mit Perkussionisten einen zugefrorenen See. So sind im Laufe der letzten Monate nicht nur die neuen Stücke zu Environ me entstanden, sondern auch die dazugehörigen Videos, die in den kommenden Wochen nach und nach veröffentlicht werden.

Jetzt, wo die Welt sich langsam wieder zu öffnen beginnt, macht sich auch Manu Delago wieder auf die Reise. Dieser Tage beginnt - wieder ausgehend von Innsbruck - seine Tour, die ihn quer über den Kontinent führen wird. Das Neuland, welches Manu Delago diesmal betritt, ist es, alleine auf der Bühne zu stehen. Aber Neuland zu betreten ist der Musiker und Komponist nicht nur gewohnt, es ist auch immer wieder aufs Neue sein innerster Antrieb. Die Dinge zu hinterfragen, sie neu zu betrachten. Auch sich selbst und sein musikalisches Schaffen. Um sich bewußt zu werden, welchen Platz man in seiner Umwelt einnimmt.