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Onion Games K.K.

Onion Games aus Tokio macht Indiespiele mit Schichten

Aus Japan kennt man die großen Player der Spiele-Industrie wie Nintendo, Sony oder Sega. Daneben gibt es auch eine lebendige Indie-Szene. Onion Games aus Tokio ist dabei ein ganz besonderes Entwickler-Studio.

Von Diana Köhler

Wir wissen: Eine Zwiebel hat Schichten. Man schält und schält, legt Schicht um Schicht frei, die Dämpfe vernebeln einem den Kopf, man weint vor sich hin... So, oder zumindest so ähnlich, ist es, in die Welt von Onion Games einzutauchen. Aber fangen wir beim Anfang an, bei der äußersten Schale sozusagen. Alles beginnt mit Gründer und Onion-Overlord Yoshiro Kimura.

Ein Blick hinter die Kulissen

Yoshiro Kimura beginnt Anfang der 90er Jahre als Spieleentwickler bei Square zu arbeiten, dem Studio hinter der Final Fantasy Reihe oder auch Kingdom Hearts. Schon nach wenigen Jahren geht es weiter zum Entwicklerstudio Love-de-Lic, wo er 1997 das Spiel „Moon: Remix RPG Adventure“ mitentwickelt. Dort kommt auch seine zwiebelige Art erstmals zum Vorschein: Kimura macht sich nicht nur über damalige RPGs mit ihren krassen Helden und Storys lustig (Wie zum Beispiel Final Fantasy), er liefert auch eine Art Blick hinter die Kulissen. In „Moon: Remix RPG Adventure“ spielt der Protagonist, ein kleiner Junge, ein RPG mit dem Namen „Fake-Moon“ auf seiner Konsole der „Gamestation“ und wird dann sogar ganz in das Spiel hineingesaugt! Es muss also ein Spiel im Spiel gespielt werden. Und im Spiel des Spiels ist alles so ganz anders als es von außen scheint. Denn wir sind nicht der Held, sondern der Typ, der dem Helden hinterherräumen muss, weil der rücksichtslos alles zertrümmert und tötet, was ihm in den Weg kommt. Wir lernen was wirklich wichtig ist: Gain Love, not Levels. Und das ist nur ein winzig kleiner Einblick darin, wie abgedreht „Moon: Remix RPG Adventure“ ist.

Im Untergrund

Solche Spiele, die eigentlich Parodien auf die Big Player im Business sind, sind ein Muster, das sich durch Yoshiro Kimuras gesamtes Schaffen zieht. Das und die Liebe natürlich. Von der gibt es nämlich nicht viel in den großen Studios Japans. Die Mitarbeiter*innen werden ausgebeutet, kreative Freiheit und eigene Ideen haben dort keinen Platz. Also verabschiedet sich Yoshiro Kimura und geht in den Untergrund der Gamingwelt. Nach einer Weltreise gründet er 2013 Onion Games. Aber neben den Riesen der Branche hat es die Indie-Szene in Japan schwer, alle arbeiten vereinzelt, es gibt wenig Austausch untereinander und auch die finanziellen Mittel fehlen. Kimura macht trotzdem weiter.

Ein Spiel im Spiel

2016 veröffentlicht Onion Games das Spiel „Dandy Dungeon“. Der Plot klingt bekannt: Wir sind der 36-jährige Programmierer Yamada, der bei einer Videospielefirma arbeitet. Yamada ist nahe am Burnout, aber da beschließt er einfach sein eigenes Spiel zu programmieren. In seinem Schlafzimmer, in Unterhosen. Und in diesem Spiel ist Yamada selbst der Held, daher auch der Name: „Yamada Hero“. Yamada verliert sich so sehr in der Spielewelt, dass er ganz vergisst in die Arbeit zu gehen – und gefeuert wird. Das ist aber gar nicht so schlimm, denn jetzt kann er sich ganz auf „Yamada Hero“ konzentrieren. Damit will er nämlich seine neue Nachbarin beeindrucken und ihr Herz gewinnen. Ihr Level an Zuneigung zu ihm kann er auf einer eigenen Handy-App verfolgen. Praktisch.

Wieder sind wir im Spiel eines Spiels: Während „Yamada Hero“ entsteht, kann sich Yamada im echten(?) Leben mit Waffen und Ausrüstung versorgen, es kommen allerlei Charaktere mit ihren eigenen Geschichten zur Türe herein. Beide Ebenen haben direkten Einfluss aufeinander.

Love for everybody?

Das neueste Spiel im Onion-Universum ist „Mon Amour“. Onion Games nennt es selbst „flappy“, also flapsig, denn einerseits sieht man ihm wie allen anderen Spielen, den low-budget Hintergrund an. Und andererseits hat die Spielemechanik eine unübersehbare Ähnlichkeit mit dem Game „Flappy Bird“. Also macht euch bereit, sehr oft zu sterben und legt Dinge, die ihr aus Wut werfen könntet, außer Reichweite.

Im One-button-Game muss ein einsamer Casanova seine geliebte Prinzessin und alle ihre Gefolgsleute vor drei bösen Hexen retten. Er wird mit der Spacetaste gesteuert, fliegt durch die Luft und darf dabei die vielen Gegner und spitzen Hausdächer nicht berühren. Wer von Casanova gerettet werden will, muss sich danach abknutschen lassen. Und dem ist es egal, ob es sich um eine Kröte, Triton König der Meere, Menschen oder Geister handelt.

Ein besonderes Easteregg ist aber folgendes: Erinnern wir uns zurück an „Moon: Remix RPG Adventure“ aus 1997. Im Spiel des Spiels kann der Charakter wiederum ein Arcade-Game namens „XINGKISKHAN“ spielen, das fast komplett gleich wie „Flappy Bird“ funktioniert: Eine Bombe muss wie der flappy bird und Casanova per Tastendruck auf ihr Ziel gesteuert werden. „Mon Amour“ basiert also auf einem Spiel im Spiel im Spiel!

Patriarchat in Pastell

Die Welt in „Mon Amour” ist pastellfarben, voller komischer Charaktere und charmant – nur schert sich darin niemand um Consent: „Ich habe dich gerettet, also musst du mich küssen“ - Oh nein. Zwar spricht Onion Games davon, das Stigma rund um Küssen in der Öffentlichkeit in Japan dadurch zu thematisieren. Aber auf diese Art und Weise? Warum Yoshiro, warum?

Das Spiel zelebriert eine gewisse Übergriffigkeit und überdeckt sie mit einem lustigen Soundtrack und charmanter Schrulligkeit. Und das ist leider auch der Wermutstropfen an Onion Games. Man will sie einfach nur lieben, für ihre Herangehensweise an Genres, für ihren Witz, ihre Ironie, die Charaktere, die zwiebelige Art, ihre wegweisende Rolle für eine neue Generation an Indiegames. Fast alle ihre Spiele sind auch für Anfänger*innen geeignet, man braucht weder viel Vorwissen noch Können, nur eine gewisse Frustrationstoleranz.

Aber: Es ist immer noch ein Studio voller Männer, die keine Anstalten machen, über toxisches, übergriffiges Verhalten und Genderrollen zu reflektieren. Zumindest nicht in ihren Games. Übergriffigkeit ist kein Spiel. Da macht es die Situation auch nicht besser, dass unser Casanova nicht immer hetero ist, sondern auch auf Männer, Geister und Meerestiere steht.

So, die Zwiebel wurde geschält. Danke Onion Games.

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