FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Produkt Gendermarketing

Gersin Livia Paya

Wo Mädchen immer noch Prinzessinnen und Buben Piraten sind

In Deutschland erhält die Drogeriemarktkette dm den „Goldenen Zaunpfahl“ als Negativpreis für ihr Gendermarketing.

Von Xaver Stockinger

Seit 2017 kürt der Bonner Verein klische*esc mit dem „Goldenen Zaunpfahl“ jährlich Produkte und Werbekampagnen, die auf verstaubte Geschlechterklischees setzen. „Der Goldene Zaunpfahl 2021“ geht an die deutsche Drogeriemarktkette dm.

„Für ein seit Jahren penetrantes Gendermarketing und für das Widerkäuen uralter Geschlechterklischees“, so die Begründung der fünfköpfigen Jury aus Aktivist*innen. Weniger ein Einzelprodukt, sondern mehr die gesamte Palette habe laut Jury in diesem Jahr den „Goldenen Zaunpfahl“ verdient.

„dm, steht das für ʹDamen & Männerʹ?“

Schon für die Allerkleinsten hält der Drogeriemarkt eine Geschlechterteilung bereit, meint die Preis-Jury. So sortieren Essenslatzerl die Babys in süße Feen und Sandkastenchefs. Dasselbe Muster finde man bei Kinderduschgels, Windeln und Schnullern. Und auch bei den Erwachsenen setzt sich die Trennung fort: Im „For Men“-Regal findet sich Männderduschgel mit Bier- oder Whiskey-Duft oder das „Strong Power“-Shampoo. Nicht auszumalen, was passieren würde, wenn sich ein echter Mann mit Prinzessinnen-Shampoo duscht.

„dm, steht das für ʹDamen & Männerʹ?“, fragt sich die Jury in ihrer Begründung und weist auch auf das Phänomen des „Gender Pricing“ hin: So zahlen Kund*innen für die rosa Einwegrasierer oft mehr als für die identisch blaue Variante. Laut Marktanalysen sind Frauen bereit, mehr für ihr Äußeres auszugeben. Kein Wunder, wenn sie „durch überzogene Schönheitsideale der Werbeindustrie unter Druck gesetzt werden“, so Judith Rahner, Aktivistin und Jurorin, in ihrer Laudatio auf dm.

Gendermarketing bei dm

klische*esc

Vom Schnuller bis zur Haarbürste finden sich verschiedene Produktvarianten in blau und rosa.

Sonderpreis für LEGO

Ein „Sonderpreis für Scheinheiligkeit“ geht in diesem Jahr an den Spielzeugriesen LEGO. Laut Jury versuche das Unternehmen seit Neuestem, sein Image in puncto Gendermarketing aufzupolieren, indem es Ratschläge an Eltern erteilt, wie man Kinder ohne Geschlechterklischees erzieht. An den eigenen Produkte, die seit Jahren hartnäckig und klischeehaft in Jungen und Mädchen teilen, hält LEGO aber weiterhin fest, bemängelt das Team des „Goldenen Zaunpfahls“.

Gut fürs Geschäft, weniger gut für die Geschlechtergleichheit

Das häufigste Argument der Unternehmen, mit dem sie die rosa-blaue Geschlechtertrennung in ihren Regalen rechtfertigen, kennt man: Die Kund*innen wünschen das so. „Mit dieser Argumentation soll die Verantwortung der Unternehmen auf die Konsument*innen abgestreift werden“, erklärt Sascha Verlan, Mitbegründer des „Goldenen Zaunpfahls“. Für die Initiator*innen ist die Sache klar: Durch die Aufteilung der Zielgruppe in „männlich“ und „weiblich“ soll mehr Geld in die Firmenkassen fließen. „Familien müssen dann eben zwei Duschgels, Shampoos oder Schaumkugeln kaufen – in rosa und in hellblau.“

Bei einem Unternehmen wie dm mit 12 Milliarden Euro Jahresumsatz sind das sicher keine Peanuts. Verkaufszahlen scheinen wichtiger zu sein als soziale Verantwortung. Von der wäre aber zweifellos mehr angebracht, denn: Zahlreiche Studien, auf die sich „der Goldene Zaunpfahl“ beruft, belegen die schädlichen Auswirkungen von Gendermarketing.

Menschen - und vor allem junge Menschen - werden durch die Rollenbilder in der Werbung geprägt und eingeschränkt. Sie verinnerlichen die Idee vom fürsorglich-sanften Weibchen und vom aggressiv-machtbewussten Kerl. Das habe Folgen für das weitere Leben: Bei der Frage, welche Karrieren sich Menschen später einmal zutrauen, welche Rollenmodelle sie für normal halten oder welche diskriminierenden Strukturen sie unbemerkt hinnehmen.

„Toilette putzen ist ein lustiges Mädchenspiel“

Ein Blick auf die bisherigen Preisträger*innen und Nominierten des „Goldenen Zaunpfahls“ lässt einen schaudern: So wurde etwa 2019 das Gamingportal „SpielAffe“ ausgezeichnet für ein an Mädchen adressiertes Online-Spiel mit dem Titel „Toilette putzen – Hausarbeit gegen Partybesuch!“. Die Spielerin muss darin ein Badezimmer blitzblank reinigen, damit ihr ihre Mutter den Besuch einer hippen Party bei einer beliebten Freundin erlaubt.

Unter den diesjährigen Nominierten war auch die Firma „Klein“, in deren Katalog Spielputzzeug beworben wird – natürlich mit lächelnden Mädchen. Und das Unternehmen „Shirtracer“ bedient einmal mehr das Klischee des trotteligen Vaters in der Kindererziehung, indem sie Babykleidung mit „witzigen“ Anleitung für den Primaten-Papa bedruckt. „Volle Windel? Wickel mich! Hunger? Fütter mich! Ratlos? Ruf Mama!“

Oder aber die Firma „Burda“, deren Nähheft sich an Mamas & Omas richtet, die nach Tagen voller “Einkaufen, Kindergarten, Kita, Spielplatz, Homeschooling und Haushalt” zur Entspannung noch ein bisschen nähen möchten. Die 50er-Jahre haben angerufen, sie wollen ihre Klischees zurück.

Umdenken zu beobachten

Bei manchen Unternehmen zeigte der Schmähpreis mittlerweile Wirkung: „Wurden wir in den ersten Jahren noch ignoriert, kommen jetzt Firmen auf uns zu, streichen Produkte aus ihrem Angebot, planen neue Konzepte für ihren Onlineauftritt und fragen uns für Schulungen an“, so Sascha Verlan. Ziel soll sein, dass Unternehmen - von der Produktentwicklung bis zum Marketing - verstehen, welchen Schaden sie anrichten und sich innovativere Werbungen überlegen.

Man will aber auch Verbraucher*innen daran erinnern, sich häufiger gegen einengende Rollenvorgaben zu wehren und mit ihrer Einkaufsmacht die Branche mitzugestalten. Der „Goldene Zaunpfahl“ will jedenfalls weitermachen, erklären die Initiator*innen. Wie lange? „Bis es nicht mehr nötig ist und wir uns selbst abgeschafft haben.“

Hier kannst du die Laudatio zum „Goldenen Zaunpfahl 2021“ in voller Länge anschaun.

Aktuell: