FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Bank im Hundepark

Metin Ozer/ Unsplash

„Hundepark“: Sofi Oksanens Roman über das Geschäft mit Leihmutterschaft in der Ukraine

Der Markt von Eizellen und Leihmüttern in der Ukraine wächst. Kund*innen sind meist aus dem Ausland, niedrige Preise und eine günstige Rechtslage machen die Ukraine zu einem beliebten Ziel für Auftragseltern. Die finnische Autorin Sofi Oksanen hat sich dieses Themas angenommen und einen Thriller geschrieben, der Realität und Fiktion vermischt.

Von Diana Köhler

Pandemiebeginn 2020, ein Zimmer in einem Hotel in Kiew. Darin: 35 Babybetten, Pflegerinnen, die hin und her laufen, Fläschchen geben, Windeln wechseln, in den Schlaf schaukeln. Es sind die Babys von Auftragseltern aus dem Ausland, die nicht einreisen duften, um ihr Kind abzuholen. Dieses Video der BBC ist von dem damaligen Kiew-Korrespondent Jonah Fisher. Es war einer der vielen Medienberichte, die Aufmerksamkeit auf das Leihmutterschaftsbusiness in der Ukraine gelenkt haben.

Nach Ausbruch der Pandemie mussten wir ziemlich bald in den Lockdown und die Grenzen in Europa wurden geschlossen. Auch in die Ukraine durfte man nicht mehr einfach so einreisen. Viele Adoptivbabys, die dort von Leihmüttern auf die Welt gebracht wurden, konnten von den Auftragseltern nicht abgeholt werden.

Baby all-inclusive

Die transnationale Leihmutterschaft hat über die Jahre vor allem in der Ukraine zugenommen. Das hat drei Hauptgründe. Zum einen liegt es daran, dass Länder wie Indien oder Thailand die Leihmutterschaft für ausländische Paare in den letzten Jahren verboten hatten. In der Ukraine herrschen immer noch sehr lockere Gesetze, sehr zum Vorteil von Auftragseltern. Das Kind ist automatisch mit den auftraggebenden Eltern verwandt, die Leihmutter kann ihr Elternrecht im Nachhinein nicht einfordern.

Vor allem die Kosten sind sehr viel niedriger als in anderen Ländern. Agenturen und Kliniken übernehmen die Vermittlung der Leihmutter und begleiten den Prozess in all-inclusive Paketen. Ein Baby ist dort schon für 30.000-60.000 Euro zu haben. Verglichen mit anderen Ländern wie den USA ist das „billig“: Dort kostet ein all-inclusive Paket zwischen 100.000 und 200.000 Dollar.

Offiziell gibt es einige Regeln: Nur heterosexuelle, verheiratete Paare dürfen eine Leihmutter in Anspruch nehmen. Mindestens ein Teil Biomaterial muss von einem der Elterteile stammen, also Samen- oder Eizelle. Je nachdem, welchen Service man als Auftragseltern in Anspruch nehmen will, sinkt oder steigt der Preis: Nur Uterus der Leihmutter und keine Eizellenspende, Eizellenspende und Leihmutter, nur Eizellenspende und eine IVF-Behandlung etc.

Kommerzialisierung des weiblichen Körpers

Die finnische Autorin Sofi Oksanen hat sich von dem Thema inspirieren lassen und den Roman „Hundepark“ geschrieben. Sie hat viel recherchiert, sich mit Leihmüttern, Agenturen und NGOs getroffen.

Sofi Oksanen

Toni Härkönen

Die Autorin Sofi Oksanen. Übersetzt hat ihren Roman Angela Plöger. Er ist beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Im FM4-Interview erzählt Sofi Oksanen: „Ukraine is the cheapest country to get a white baby, there are not many countries like that in the world. Rich, western clients usually want a white baby. In many western countries a system like that wouldn’t be legally possible. Also, there wouldn’t be enough cheap, white women who need money.“

Die Leihmutterschaft ist für Oksanen neben Sexarbeit eine weitere Art der Ausbeutung und Kommerzialisierung des weiblichen Körpers. Die Schwangerschaften und Hormonbehandlungen seien nicht immer ungefährlich; Leihmutter zu sein sei harte körperliche Arbeit, sagt sie.

Hundepark: Viele Themen in einem Buch

In Oksanens Roman „Hundepark“ lernen wir die Ich-Erzählerin Olenka kennen, die als Koordinatorin in einem Büro für Leihmutterschaften gearbeitet hat. Von einen Tag auf den anderen musste sie aber aus der Ukraine nach Helsinki in Finnland flüchten, dort eine neue Identität annehmen und als Putzkraft arbeiten.

In Rückblenden erfahren wir immer mehr über Olenkas Aufstieg vom gescheiterten Model zur Eizellenspenderin und Koordinatorin. Mit dabei: Mord, Betrug, reiche Oligarchenfrauen, Drogenhandel, Armut rund um die Ausbeutung und Kommerzialisierung des weiblichen Körpers.

Spannend ist dabei vor allem, wie Oksanen auf die Geschichte der Ukraine eingeht: Die Krimkrise und der Abschuss des Malaysia Airlines Flugzeugs MH17 werden ebenso in die Geschichte eingewebt wie die Entwicklung des Einflusses von Oligarchenfamilien im Land.

Wie viel literarische Freiheit ist zu viel?

Sofi Oksanen hat sich in ihrem Roman eines brisanten, aktuellen Themas angenommen. Und doch nimmt sich die Autorin auch einiges an literarischer Freiheit - man könnte fast meinen, etwas zu viel. Das macht den Roman teilweise schwer zu lesen. Oft scheint der Pathos fehl am Platz und die Cliffhanger nerven, die viel zu langsam aufgelöst werden.

Sofi Oksanen vermischt in ihrem Roman Realität mit Fiktion. Wer mehr über die Situation der Leihmütter in der Ukraine erfahren will, informiert sich lieber über seriöse journalistische oder wissenschaftliche Quellen. Wer einen spannenden, aber langatmigen Thriller lesen will, dem sei „Hundepark“ durchaus ans Herz gelegt. Gerade bei so einem Thema wie der Leihmutterschaft sollte man Fiktion und Realität aber unbedingt auseinanderhalten.

mehr Buch:

Aktuell: