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Von Kurzwelle zum Internet und wieder zurück

FM4 / Claus Diwisch

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Von der Kurzwelle zum Internet und wieder zurück

In der Ukraine ist der Zugang zu Informationen derzeit überlebenswichtig. Gleichzeitig ist das Internet so bedroht und fragil wie nie zuvor. Aufgrund seiner Komplexität ist es das denkbar schlechteste Medium, auf das man sich verlassen möchte, wenn es darauf ankommt. Als Alternative treten wieder längst verloren geglaubte Technologien in den Vordergrund – unter anderem die Kurzwelle.

Von Claus Diwisch

In der ZIB2 berichtet eine Ukrainerin, dass in dem Dorf, in dem sie lebt, keine Sirenen installiert sind. Sie sagt, sie liest rund um die Uhr nach, ob es in der Umgebung Luftalarm gibt, um dann schnell im Keller Schutz zu suchen. Für sie ist der Zugang zum Internet ein Teil ihrer Lebensversicherung geworden. Dabei ist das Netz besonders in Krisenzeiten so fragil, dass man sich besser nicht darauf verlassen sollte.

Netblocks meldet unterdessen massive Internetausfälle in mehreren Gebieten der Ukraine. Angriffe auf Kraftwerke legen hier auch ganze Betreiber lahm. Gleichzeitig hat Russland begonnen, westliche Medien zu blockieren – BBC News oder auch die Deutsche Welle sind wenn, dann nur noch eingeschränkt erreichbar.

Von Kurzwelle zum Internet und wieder zurück

Twitter / NetBlocks

Seit Jahren nimmt die Anzahl an politisch motivierten Internetabschaltungen weltweit rapide zu. Accessnow meldet mit der Kampagne „#keepiton“, dass sie im Jahr 2020 155 Internet Shutdowns in 29 Ländern dokumentieren konnten - Anzahl stark steigend. Damit soll von autoritären Regimen verhindert werden, dass sich in der Bevölkerung Widerstand organisieren kann. Zuletzt hat Russland auch Dienste wie Twitter und Facebook bis zur Unbrauchbarkeit gedrosselt.

Die Abschaltung des Internets

Der ukrainische Minister für Digitalisierung hat vom Westen als Sanktion gegen Russland die vollständige Deaktivierung unter anderem aller .ru Domains gefordert. Das wäre defacto eine Abschaltung des russischen Internets.

Die Reaktionen darauf sind eindeutig: Es wäre eine ganz schlechte Idee. Andrew Sullivan, Präsident der Internet Society schreibt: „Once large network operators start demonstrating an ability to make routing decisions on political grounds, other governments will notice. [...] If we travel that path, in short order the network of networks will not exist."In einer Stellungnahme des ICANN wird dessen Unabhängigkeit betont. Auch hier ist man sich bewusst, dass jeder Eingriff das Vertrauen in das Internet als Ganzes nachhaltig erschüttern würde.

If we travel that path, in short order the network of networks will not exist.

Technische Macht und theoretische Einflussmöglichkeiten hat der Westen allerdings genug. Laut statcounter arbeiten 96,63% der internetfähigen Geräte in Russland mit Systemen, die aus den USA zumeist automatisiert mit Updates versorgt werden – also unter Umständen auch mit Schadsoftware versorgt werden könnten. Google kann zum Beispiel mit seinem "remote application removal feature“ aus der Ferne beliebig Apps auf Android Geräten entfernen. Es gibt allerdings keine Hinweise darauf, dass etwas Derartiges geplant wäre. Den Unternehmen ist sehr bewusst, dass ihr Erfolg davon abhängt, dass die Mehrheit ihnen und den Produkten vertraut.

Satelliteninternet als Lösung in Krisenzeiten?

Durch den Krieg fällt der Fokus nun auf alternative Technologien, die sicherer, zensurressistent oder auch zugänglicher sind. Ansätze um unabhängiger zu werden gibt es zwei: Mehr komplexe Technologie oder mehr einfache Technologie.

Elon Musk fällt mit seinem Satelliteninternetsystem Starlink eindeutig in die komplexe Kategorie. Auch jetzt weiß er sein Produkt in Charity Aktionen wieder medienwirksam anzubringen. Auf die Twitter-Anfrage des ukrainischen Ministers für Digitalisierung aktiviert er kurz darauf das Starlink System für die Ukraine und sendet eine Lieferung der entsprechenden Bodenstationen in die Ukraine. Ob für die Benutzung dieser Geräte eine Gebühr zu bezahlen ist, ist derzeit nicht bekannt.

Mit dem Satelliteninternet kann Zensur umgangen werden, weil die Daten im Ausland weiterverarbeitet werden. Im September vergangenen Jahres twittert Musk in Richtung der zensurausübenden Diktatoren dieser Welt: „They can shake their fist at the sky“. Tatsächlich verringern sich bei Satellitenverbindungen die Abhängigkeiten von lokalen Ereignissen und Restriktionen. Die Satelliten stehen technisch über dem Einflussbereich lokaler Regierungen, solange die Beschaffung und Bezahlung des Dienstes möglich ist.

Nicht ganz außer acht lassen sollte man aber die Abhängigkeiten, die neu entstehen und bestehen bleiben – Satelliteninternet ist kein Werkzeug, das die Menschen selbst beherrschen können. Vielmehr entstehen Abhängigkeiten an die hochkomplexe Satellitentechnologie und an den Betreiber Starlink, die Bodenstationen und die Legislatur der Länder, in denen sie stehen.

Alte Technologien sind meistens verlässlicher

Einfacher sind ältere Technologien zu handhaben. Denn mit steigender Komplexität steigt auch die Anfälligkeit eines Systems. Technologien, die seit Jahren unter Druck standen, weil sie als obsolet und veraltet galten, bekommen plötzlich wieder Zulauf. In der Krise sind dann auf einmal viele froh, dass die jahrelang heruntergesparten Anlagen nicht ganz abgeschafft wurden.

Eine dieser kritischen Technologien ist das Radio. Man muss sich vor Augen halten, dass diese Technologie nichts benötigt außer ein (batteriebetriebenes) Empfangsgerät und einen Sender. Ganz im Gegensatz zum Internet, wo man ein Gerät, ein Modem, eine Stromversorgung, einen Netzwerkbetreiber, Leitungen, Vermittlungsstellen und Exchanges, Rechenzentren und die dazugehörige (sichere) Software für alle diese Stationen benötigt. Fällt ein Element in dieser digitalen Kette aus, ist die Verbindung gestört.

Kurzwelle als beste krisensichere Technologie

Die Kurzwelle taucht überraschenderweise diese Woche wieder als Krisenkommunikationsmittel aus der Vergessenheit auf. Zugegeben, diese Technologie hat einen Retrocharakter, den sie auch nie wieder los werden wird. Aber sie hat einen entscheidenen Vorteil – nicht umsonst nennt man die Kurzwelle auch „World Radio“. Aufgrund der Charakteristik dieses Frequenzspektrums sind die Programme über immens weite Strecken, weit über Landesgrenzen hinaus empfangbar – manche Sender sogar weltweit, obwohl es nur eine Sendestation gibt. Und die Empfangstechnik ist einfach und billig.

Ö1 weitet seine Übertragungen auf Kurzwelle aus und sendet die Journale ab sofort auf folgenden Frequenzen.
(6155 kHz, 7.00 Uhr MEZ, Mo–Sa)
(13730 kHz, 12.00 Uhr MEZ, Mo–Sa,)
(5940 kHz, 18.00 Uhr MEZ, Mo–Fr und So)

Ö1 hat sein Angebot auf der Kurzwelle anlässlich des Ukrainekriegs ausgeweitet und sendet nun 3x täglich seine Journale auf diesen Frequenzen. Empfangbar ist das Signal auch in der Ukraine und weit über die Grenzen von Europa hinaus. Auch die BBC zieht nach und sendet täglich 4 Stunden seines Auslandsdienstes gezielt in Richtung Ukraine.

Bekannt ist die Kurzwelle auch durch den US-amerikanischen Sender Radio Free Europe , der einst gezielt gegründet wurde, um demokratische Werte in der Sowjetunion zu verbreiten. Damals wurde das als Bedrohung gesehen und aufwendige Störsender wurden errichtet, die den Empfang beeinträchtigen sollten.

Die schlechte, rauschende Übertragungsqualität wirkt in Zeiten vom Streaming wenig überzeugend, aber das ist nicht der Punkt. Als Teil der kritischen Infrastruktur kann die Kurzwelle einen Basisbetrieb aufrecht halten. Auch unter stark repressiven Regimen kann der internationale Kurzwellenfunk nicht so einfach aufgehalten werden - Internationale Programme sind selbst in Nordkorea und überall da empfangbar, wo kein Internet hinkommt.

Schematic of wave propagation by ground and sky wave

Creative Commons

Das besondere an Kurzwellen zwischen 2.300kHz und 26.100kHz ist, dass sie an der Atmosphäre abprallen und so um die ganze Welt herum wandern können.

Radio Ukraine International betrieb bis 2010 noch ein deutschsprachiges Auslandsradio auf Kurzwelle, eine letzte Übertragung fand noch diesen Februar statt. Der Auslandsdienst wurde allerdings mit dem russischen Überfall auf die Ukraine eingestellt, das letzte Programm wurde am 23. Februar 2022 gesendet.

Wird die Kurzwelle wieder mehr Hörer*innen bekommen? Hoffentlich nicht – denn hoffentlich wird das nicht notwendig sein. Aber beim Nachdenken über diese Technologien kann uns auffallen, wie sehr wir uns unbemerkt in digitale Abhängigkeiten begeben haben, aus denen wir so leicht nicht mehr herauskommen. In Kriegszeiten wird die digitale Verwundbarkeit und unsere Abhängigkeit sichtbar wie nie zuvor. Die oft vernachlässigten Auseinandersetzungen mit alternativen Technologien, die der Resilienz dienen, macht sich jetzt bezahlt.

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