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Buchcover zu "Eine Liebe in Pjöngjang"

Rowohlt

„Eine Liebe in Pjöngjang“

Wie ein kleines Theaterstück inszeniert der deutsche Autor Andreas Stichmann eine unmögliche Liebesgeschichte zweier Frauen und nähert sich damit der nordkoreanischen Diktatur auf eine ungewöhnliche Weise.

Von David Pfister

„Ihr gegenüber, hinter zwei Zugfenstern, stand eine exakt gleich schnell reisende Nordkoreanerin. Sie hatte wohl ebenfalls nur auf die Landschaft hinausblicken wollen. Das Verrückte lag in der Dauer: Bestimmt eine halbe Minute schon riss der zufällig entstandene Blick nicht ab. Es lag darin: nichts. Dann: Du kennst mich nicht. Ich kenne dich nicht. Wir sehen uns nie wieder.“

Die Protagonistin des schmalen Romans „Eine Liebe in Pjöngjang“ ist eine abgeklärte und in manchen Aspekten wohl gescheiterte, Kulturschaffende. Claudia Aebischer ist Mitte Fünfzig, hat Reputation und Karriere im deutschen Literaturbetrieb geschafft, ohne dabei aber ihre persönlichen beruflichen Ziele zu erreichen. Auch privat kämpft sie mit einer ambivalenten Lebensbilanz, in der gescheitere Beziehungen wohl unangenehm schwer wiegen.

Claudia kokettiert damit, ihre Karriere zu beenden. Ein letztes großes Projekt zieht sie allerdings noch durch. Mit einer Delegation junger JournalistInnen und KulturarbeiterInnen fährt sie nach Pjöngjang. In der Hauptstadt der nordkoreanischen Diktatur soll die feierliche Eröffnung einer deutschen Bibliothek gefeiert werden. Claudia hat schon einige Reisen und Erfahrungen mit Nordkorea und soll das Projekt leiten. Mit einer gewissen Überheblichkeit und einem Verdruss widmet sie sich ihren Aufgaben und trifft die Liebe ihres Lebens.

Buchcover zu "Eine Liebe in Pjöngjang"

Rowohlt

„Eine Liebe In Pjöngjang“ von Andreas Stichmann ist im Rowohlt Verlag erschienen.

„Schon komisch. Wie wir beide uns jetzt. In diesem Moment. So bewusst anstarren. So unangenehm bewusst. Aber warte noch. Ich, Claudia, schlage blitzschnell eine Brücke. Ich komme zu dir, und wir teilen oder tauschen unsere Leben…“

Die Frau, die Claudia im gegenüberfahrenden Zug während ihrer Reise nach Pjöngjang erblickt, stellt sich später als die Ehefrau eines nordkoreanischen Germanistikprofessors heraus. Die 30-jährige, fließend Deutsch sprechende Sunmi hat ihre Dissertation über die Literatur der deutschen Romantik geschrieben. Sie soll als Dolmetscherin Claudia und ihre Reisegruppe begleiten. Und von da an entwickelt sich ein sinnliches, verliebtes Spiel aus Andeutungen und unausgesprochenen Liebesbeweisen zwischen den beiden unterschiedlichen Frauen. Dabei wechselt Autor Andreas Stichmann unentwegt die Perspektiven, sodass man die unentwegte Spannung aus wohligen Signalen und quälenden Impulsen regelrecht körperlich spürt.

War die erste Begegnung mit Sunmi im Zug inszeniert? Ist die zufällige Berührung eine Einladung? Ist es die Liebe wert gegen alle Vernunft ausprobiert zu werden?

„Im nächsten Moment dachte sie: was für ein kindischer Unsinn. Erst Oma, jetzt Kind. Vielleicht sollte ich mich doch ausruhen. Die Nordkoreanerin war verschwunden.“

Der 1983 in Bonn geborene Autor Andreas Stichmann holte sich seine Inspiration für seinen kurzen, aber sehr intensiven neuen Roman „Eine Liebe in Pjöngjang“ von einer eigenen Reise nach Nordkorea. Der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller hat schon früher, etwa in seinem Buch „Jackie in Silber“, die Reise als flüchtigen Austragungsort seiner Geschichten gewählt.

Stichmann inszeniert „Eine Liebe in Pjöngjang“ wie ein schattiges kleines Theaterstück, wobei seine Betonung subjektiver Gefühle, sein Symbolismus und sein Spiel mit vermeintlichen Traumwelten, stark an die im Roman so oft zitierte Deutsche Romantik erinnern. Auf diese virtuose, kluge, kunstvolle Art wurde lange Zeit keine Liebesgeschichte mehr geschrieben.

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