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Bild von der Autorin Anna Silber

© Paul Feuersänger

Buch

„Chopinhof-Blues“: Junge Erwachsene in verzwickten Lebenslagen

In ihrem Debut erzählt die Autorin Anna Silber die Geschichten von mehreren jungen Leuten, die trotz schwieriger Vergangenheit, schlimmen Erlebnissen und geplatzten Träumen ihr Glück suchen.

Von Livia Praun

Wie sehr prägt die Vergangenheit die Gegenwart? Auch wenn man meint, sie hinter sich gelassen zu haben? Und wie kann man aus alten Mustern ausbrechen? Diesen Fragen geht Anna Silber in ihrem Roman „Chopinhof-Blues“ nach. Im Zentrum der Handlung stehen sechs junge Menschen aus Berlin, Wien und Budapest, mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und Problemen.

Manche der Charaktere kennen sich, manche sind sich völlig fremd. Trotzdem führt das Leben sie, über viele Umwege, im titelgebenden Chopinhof im zweiten Wiener Gemeindebezirk zusammen.

Das Cover  von dem Roman Chopinhof-Blues mit Gebäuden und Bäumen in der Mitte

Picus-Verlag

„Chopinhof-Blues“, 2022 im Picus Verlag erschienen, ist das Debut der jungen Deutsch-Österreicherin Anna Silber.

Gemeinsamkeit: fremdbestimmt

Anna Silber erzählt die Geschichten abwechselnd aus drei Perspektiven: Da gibt es Adam, der vor fünf Jahren mit seiner Frau Aniko voller Hoffnung von Budapest nach Wien gezogen ist, dann Katja, die mit ihrem Bruder Tilo im Heim aufgewachsen ist, und die Krisenjournalistin Esra, die zuletzt in Honduras im Einsatz war und von dort ziemlich angekratzt zurück nach Berlin kommt.

So unterschiedlich ihre Leben auch sind, haben sie doch alle gemeinsam, dass ihr Leben in großem Ausmaß fremdbestimmt ist. Esra wird von ihrer beinharten Chefin wahllos in Krisengebiete geschickt. Katjas großer Bruder Tilo läuft so optimistisch und leichtgläubig durchs Leben, dass sie ständig von Berlin nach Wien fährt, um sich um ihn zu kümmern. Und Adam hat seine Heimat Ungarn und damit auch jegliche Karrierechancen für seine Frau Aniko verlassen, die nun ihn zu verlassen droht:

„Vielleicht war es an der Zeit anzuerkennen, dass sein Wiener Traum genau das gewesen war, ein Traum, und ein fremder noch dazu. Ein Traum, der zu einer Frau gehörte, die irgendwie nicht mehr zu ihm gehörte.“

Sie alle haben auf ihre eigene Art und Weise eine Sinnkrise. Während Adam sich, mit Unterstützung von seinem besten Freund Daniel, seinem geplatzten Traum stellt, hinterfragt Esra den Sinn ihrer traumatisierenden Arbeit und Katja die komplizierte Beziehung zu ihrem großen und irgendwie doch kleinen Bruder Tilo.

Die Geschwister sind sehr gegensätzlich: Katja arbeitet hart, kümmert sich um alles und lässt Gefühle kaum zu. Tilo, der impulsive Künstler, schlittert von einer intensiven Beziehung in die nächste und lebt in einer simplen Mini-Einzimmerwohnung. Dadurch entsteht eine besondere Beziehungsdynamik, die weder für sie noch für ihn funktioniert. Vor allem aber erinnert er sie immer wieder an ihre gemeinsame schmerzvolle Vergangenheit:

„Ich hatte Lust, ihn zu fragen, wie tief er alles hatte vergraben müssen, damit es ihn nicht jede Nacht einholte. Die ganze verdammte Scheiße, die vielen Stunden, die er alleine mit Mama und ihren Typen verbringen hatte müssen, während ich auf die Treppe gesperrt vom Brüllen heiser wurde. Wie gesund es wohl war, sich zwanghaft an das vermeintlich Schöne im Leben zu klammern, an junge Frauen mit zarten Händen und schönen, sauberen Geschichten.“

Das ist einer der spannendsten Aspekte des Buchs: Wie sinnvoll ist es, an einer Beziehung festzuhalten, die mehr Schmerz als Freude bereitet? Trotz der gemeinsamen Vergangenheit, trotz aller Liebe? Diese schwierige Frage muss sich auch Adam stellen.

Diverse, vielseitige Charaktere

Katja, Adam und Esra haben alle verlernt, auf sich selber zu schauen und für sich selber einzustehen, wie so viele junge Menschen. Dadurch hat das Leben sie alle mittlerweile an einen Punkt gebracht, an dem sie nicht mehr weiter wissen. Das Zusammentreffen aller Protagonist*innen im Chopinhof am Ende des Buchs sorgt aber, zumindest für manche, für Klarheit.

Dieses Treffen ist der Höhepunkt und auch das Highlight des Romans. Die Zusammenkunft ist intensiv und dramatisch und vor allem auch unterhaltend. Man lernt alle wichtigen Charaktere noch einmal aus anderen Perspektiven kennen, und die neuen Dynamiken, die dabei entstehen, sind trotz aller Dramatik teilweise wirklich witzig.

Mit fast 250 Seiten ist der Roman nicht sehr lange - und doch bekommt man ein umfassendes Bild von Adam, Katja, Esra und den Menschen in ihrem Leben. Anna Silber erschafft in ihrem Debut diverse, vielseitige Charaktere mit Tiefgang, und es macht Spaß, ihre Welt aus den verschiedenen Perspektiven zu erkunden und ihnen dabei zuzusehen, wie sie nach Antworten suchen. Eine Empfehlung.

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