FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Fuzzman am Fuzzstock 2022

Bernhard Schindler

Review

Auf der Alm ist alles in Ordnung beim Fuzzstock Festival 2022

Hoch auf den Kärntner Bergen trifft Subkultur auf Alpenidylle. Herwig Zamernik ist der Hansi Hinterseer des Rock’n’Roll und hat uns und sich mit dem Fuzzstock Festival eine Utopie gebaut.

Von Christoph Sepin

Wenn man nicht in Kärnten aufgewachsen ist, dann kann man leicht in die Falle der „Schloss am Wörthersee“-Utopie tappen. Alles Beachvolleyballspieler*innen und Triathleten, Bergsteiger und Strandbadbadende. Und natürlich Sonne im Sommer und toller Schnee zum Skifahren im Winter. Ist aber natürlich nicht (nur) so. Wie überall anders auch, gibt’s halt Leute, die in diese Version einer Idylle nicht reinpassen. Und die brauchen Subkultur. Kärnten ist nämlich auch: Punkrockshows in kleinen Kneipen, Jugendzentren als Zufluchtsorte, Rumhängen im Park, nebeliger, regnerischer und niemals enden wollender Herbst.

Naked Lunch sind eine Band, die es geschafft haben, diese graue Seite des südlichen Bundeslandes einzufangen. Willst du wissen, wie mein Kärnten ist, dann hör dir den Track „The Deal“ an. So war das früher zumindest, mittlerweile gibt’s eh zum Glück eine New Wave an Bands aus Kärnten, die es schaffen, die melancholischen Vibes dort unten wiederzugeben. Oskar Haag natürlich gerade ganz groß, aber auch Acts wie Manic Youth und Onkel Gusta. Dort ist halt auch teils der Offspring von Naked Lunch drin zu finden.

Man muss der Band also für einiges dankbar sein – und am vergangenen Wochenende vor allem Naked Lunchs Herwig Zamernik aka Fuzzman. Vor ein paar Jahren hat der sein eigenes Festival gestartet und fängt damit beide Seiten von Kärnten ein: Alpenromantik und Schlager-TV meets graue Subkultur, Lärm und ein bisschen Räudigkeit. Fuzzstock heißt das Fest am Klippitztörl, weil, so erzählt mir wer: „wo Fuzzman drauf steht, ist Fuzzman drin“. Herwig Zamernik hat seine eigene Utopie ins Laufen gebracht und damit eins der schönsten Festivals des Landes, eine Experience für Festivalbesucher*innen, die vielleicht glauben, eh alles schon mal gesehen zu haben, von Parties am Strand, von riesigen Festivals in staubigen Niemandsländern bis zu kuscheligen Konzerten irgendwo im Wald.

Einigkeit durch Leiden

Das Klippitztörl liegt auf ca. 1.500 Metern Seehöhe, das Fuzzstock Festival findet dort neben der Talstation vom Skilift statt. Also dort, wo man mit der Sommerrodelbahn quasi direkt vor die Bühne fährt. Das ist ganz schön hübsch und kitschig, aber auch ganz schön kalt – im August. Letztes Jahr hat es dank frierenden Temperaturen kurz angefangen, Eis vom Himmel zu regnen bis uns die Knie schlotterten. „Der Fuzzman möchte Einigkeit durch Leiden schaffen“, flüsterte mir damals jemand mit blauen Lippen ins Ohr. Wenn wir alle zittern und frösteln, dann machen wir das gemeinsam. Und werden damit eine Community.

So kalt war es heuer nicht am Fuzzstock, sondern eher kuschelig. Wenn man das sagen kann, bei einem Line-Up der wilden Leiwandheiten, von wütender Sozialkritik und verzerrten Gitarren bis zu Favoritner Hip-Hop und Shows, die sich wie Predigten abspielten. „Es sind alle so nett hier!“, schreit jemand überrascht über die Wall of Sound. Ja, so ist das. Auf dieses Festl kannst du allein gehen und du triffst relativ schnell irgendwelche Menschen, die eh super sind. Menschen, die sich gefühlt eine Stunde mit dir unterhalten, ob sie vielleicht eh deine Tante noch von irgendwoher kennen. Oder andere mit denen man in begeisterter Ironie kichernd die Bilder an der Wand des Skidepots bestaunt, wo sich beim Fuzzstock die Toiletten finden. Oder wieder andere, die während dem Festival zu Legenden werden: Shoutout an „Yeah-Judith“, deren Claim to Fame ist, dass sie laut „Yeah!“ schreiend übers Gelände tanzte. Es ist eine Übung im Community-Building, zu der uns der Fuzzman da geholt hat.

Jeder Berg hat nur eine Spitze

Man darf ihn den Hansi Hinterseer des Rock’n’Roll nennen, diese Erlaubnis hat uns Herwig Zamernik gegeben – und wie der Hansi bei seinen Schlagerfesten, wandert man auch mit dem Fuzzman den Berg hinauf. Menschen tragen Funktionskleidung und Regenjacken, es wird mal nebelig, dann wieder regnerisch, dann schaut einmal kurz die Sonne vorbei. Das Wetter ist halt egal, Konzerte werden verlegt und verschoben, weil Bühnen nach längerem Regenfall nicht mehr bespielt werden können, macht aber alles nix, weil irgendwie ist man für die Gesamtexperience hier. „Auf der Alm ist alles in Ordnung“, schreien Kreiml & Samurai während ihrem Set spätabends einmal in die warm eingepackte Crowd. Und die Leute stimmen zu, in diesem Alpenutopia der Musikinteressierten.

Da kann man sich schon denken, dass das alles besonders liebevoll kuratiert ist. Alles Special Treats, alles Konzerte, von denen man den Freund*innen dann zurück in den Städten erzählen wird, wenn sie dich verwundert anblicken, warum du mitten im Sommer auf den kalten, regnerischen Berg fährst. Es gibt Geschichten zu erzählen von den immer großartiger werdenden Bipolar Feminin, die es schaffen schon innerhalb weniger Minuten die Crowd komplett auf ihre Seite zu bringen. Große Zukunft für diese Band, das geht mittlerweile gar nicht mehr anders.

Oder das Projekt K.U.N.T.Z., das vielen ein Rätsel ist, das Auskenner*innen aber als ein Sideproject von Voodoo Jürgens kennen, der da mit Revolver in der Hand und Cowboyshirt mit seinem Alter Ego Dick Dickson Countrymusik performt. Ja, genau das. Fantastisch, wenn sich Dick und Bob Bobson auf der Bühne zuplaudern: „Jede Wurscht hat zwei Enden!“. „Ja, stimmt! Und jeder Berg hat nur eine Spitze!“. Und die Leute jubeln und lachen und applaudieren. Weil am Berg, da sind wir eben. Zwischen Stefanie Sargnagel und Euroteuro, den Attwengern und Clara Luzia.

Vom Hansi Hinterseer zum Nick Cave

Ich rede mit Leuten, die einfach mal so aufs Fuzzstock geschaut haben. Die den Sound der Bands dort eigentlich gar nicht so hören. Und die begeistert und als Fans von ihnen vorher unbekannten Genres aus der ganzen Sache rauskommen. Musik soll bewegen und das hat jede Band auf diesem Festl. Und da passt das dann auch, dass Herwig Zamernik natürlich auf seinem eigenen Festival der Headliner ist und eine freudige Konzertpredigt performt, als würde er vom Hansi Hinterseer des Rock’n’Roll zum Alpen-Nick Cave transformieren.

Das geht sich aus, weil man muss dankbar sein für diese Experience in den Kärntner Bergen, die eigentlich ideale Werbung für die Region ist. Wundert euch nicht, wenn die Skipisten rund ums Klippitztörl dann im Winter voll mit schwarzgekleideten Stadthipsters und Punkrockkids sind. Hat sich alles so ausgezahlt. Und nächstes Jahr dann hoffentlich, endlich, auch mit Stargast Hansi Hinterseer höchstpersönlich und dem lang überfälligen Duett mit dem Fuzzman.

Aktuell: