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Solmaz Khorsand: „Die Bevölkerung lässt sich nicht gegeneinander ausspielen“

Seit vier Wochen gibt es im Iran landesweit Aufstände und Proteste gegen die Regierung. Menschen riskieren ihr Leben und gehen auf die Straße. Solmaz Khorsand, Journalistin mit iranischen Wurzeln im Interview darüber, warum es ein feministischer Protest ist und was diesen von vorangegangenen Protesten unterscheidet.

Radio FM4: Es gibt ja immer wieder Protestbewegungen im Iran. Was unterscheidet denn diese Bewegung von den früheren?

Solmaz Khorsand: Einerseits natürlich, dass es quer durch alle Bevölkerungsschichten geht. Wenn wir uns die Proteste von 2019, aber auch 2017 und 2018 anschauen, waren eher die ärmeren Bevölkerungsschichten auf der Straße. Und diesmal war auch die Mittelschicht auf der Straße, vor allem angeführt von einer sehr furchtlosen Generation, die sich wirklich extrem mutig gegen die Machthaber und die Polizisten und die Milizen und alle, die auf sie los prügeln, stellt.

„Die Bevölkerung lässt sich nicht gegeneinander ausspielen.“

Es geht quer durch alle Ethnien, durch alle Religionen. In den Videos, die einzelne Medien zugespielt bekommen, erkennt man, dass es in über 100 Städten landesweit ist. Also es ist nicht nur auf die Großstädte konzentriert. Und das Schöne ist, obwohl das Regime in diesem Vielvölkerstaat immer die einzelnen Völker und Ethnien und Religionen gegeneinander ausgespielt hat, sieht man bei diesem Protest, dass sie sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Und dass man diese Solidarität auch sieht, zeigt, dass da eine extreme Einheit auch in der Bevölkerung ist, um diesen Umsturz auch tatsächlich herbeizuführen.

Würdest du den aktuellen Protest als Revolution der Frauen bezeichnen?

Ich denke schon. Es ist ein feministischer Protest, weil es ja auch von Anfang an, an die Frage der Frauenrechte gekoppelt war, an die Forderungen von Freiheit und Demokratie. Es geht natürlich darüber hinaus. Also die Tatsache, dass alle in der Gesellschaft begriffen haben, dass keiner von uns frei ist, wenn die Minderheiten nicht frei sind. Wenn 50 Prozent der Bevölkerung seit Anbeginn der islamischen Revolution unterdrückt worden ist, Frauen zu Menschen zweiter Klasse gemacht worden sind und ein Regime ihnen von Anfang an den Krieg erklärt hat. Wenn die nicht frei sind , ist keiner von frei, egal wie viele Reformen ihr hier plant.

Man darf nicht vergessen, dass nicht alle, aber schon sehr viele Männer ein Bewusstsein dafür haben, wie unterdrückt ihre Schwestern, ihre Töchter, ihre Mütter, ihre Ehefrauen sind und dass da auch immer schon eine Solidarität da war. Aber jetzt ist sie tatsächlich auch spürbar und wir sehen es auch auf der Straße.

Es gibt ja online viel Solidarität. Da schneiden sich Schauspielerinnen zum Beispiel die Haare ab. Aber nicht nur symbolische Unterstützung kommt, auf diplomatischer Ebene will die EU am Montag Sanktionen beschließen. Beeindruckt das das Regime?

Natürlich übt es einen Druck auf das Regime aus, wenn es da jetzt Visa-Stopps für das Regime, Angehörige oder Familien gibt. Wenn Vermögen eingefroren wird, Revolutionsgarden auf Listen kommen, sodass sie nicht wieder einreisen dürfen. Und das ist natürlich ein ganz klares Signal: Wir unterstützen die Protestierenden. Aber ich glaube tatsächlich, dass dieses Mittel der Sanktionen limitiert ist.

Was braucht es denn, damit die Bewegung ihr Momentum nicht verliert?

Das ist schwierig. Es bräuchte die permanente mediale Aufmerksamkeit von unserer Seite. Menschen innerhalb des Regimes müssten begreifen, dass das so nicht weitergeht, dass die Islamische Republik keine Zukunft hat. Und das ist irgendwie auch die Hoffnung. Also vor allem spreche ich jetzt ehrlich für mich, dass diese Hoffnung da ist, dass immer mehr Gruppen sich abspalten und überlaufen.

„Da ist diese Hoffnung, dass innerhalb des Regimes ein Zusammenbruch stattfindet.“

Und in Videos sieht man das teilweise auch. Man sieht vereinzelt Sicherheitskräfte, die sich den Protestierenden anschließen oder zumindest mit ihnen sympathisieren. Das ist schon mal ein positives Zeichen. Man darf es nicht überbewerten, aber es passiert und das ist meines Erachtens der größte Hebel. Wenn innerhalb des Regimes dieser Zusammenbruch stattfindet.

Wie werden deiner Meinung nach die Proteste weitergehen?

Da gibt es die optimistische und die eher pessimistische Antwort darauf. Die optimistische ist, dass es so weitergeht. Die Proteste haben uns bis jetzt sehr überrascht, also nach der vierten Woche laufen sie immer noch trotz der extremen Gewalt.

Die pessimistische ist, dass das passiert, was bei bisherigen Protesten passiert ist. Dass Sie niedergeschlagen werden, dass Protestierende inhaftiert werden, dass Sie ins Exil flüchten und verbittert werden.

„Nur weil der Protest nicht auf der Straße ist, heißt das nicht, dass er nicht weitergeht.“

Aber das Ding ist, ich glaube, das ist eine falsche Wahrnehmung von uns im Ausland, dass nur weil der Protest nicht auf der Straße ist, heißt das nicht, dass er nicht weitergeht. Dieser Protest ist einfach nur in einer Kontinuität. Und der deutsch iranische Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad hat auch gesagt: Wir sind eigentlich längst in einem revolutionären Prozess. Und das schon seit 2017. Und die Frage ist nur: Wie lange wird dieser Prozess dauern? Und das ist halt die Glaskugel-Frage, die niemand beantworten kann.

Danke für deine Einblicke!

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