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Katharina Mückstein zu Gast im FM4 Studio, Dezember 2022

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Regisseurin Katharina Mückstein über ein halbes Jahr #metoo in Österreich

Ein System an Übergriffen und Machtmissbrauch in der österreichischen Filmszene: Dass es da massive Probleme gibt, das ist im vergangenen Juni publik geworden, da hat Regisseurin Katharina Mückstein „Metoo“ nach Österreich gebracht - mit einer Insta-Story. Im Interview erzählt sie, was sich seither getan hat.

„Heute Abend wird ein Täter auf der Bühne stehen und bejubelt werden. Und es gibt nichts, was wir dem entgegensetzen können“ hat Katharina Mückstein damals geschrieben. Und weiter: „In Österreich hat #metoo nicht einmal begonnen“.

Daraufhin erreichten sie zahlreiche Schilderungen von Kolleg*innen, die Katharina Mückstein dann anonymisiert gepostet hat. Knapp ein halbes Jahr danach fragen wir die Regisseurin, was sich seither getan hat und wie es ihr geht.

FM4: Ein System an Übergriffen und Machtmissbrauch Du hast damals eine Debatte losgetreten, viele Nachrichten und Schilderungen haben Dich erreicht - hat Dich die Heftigkeit, die Anzahl der Fälle überrascht?

Katharina Mückstein: Ja, ich war schockiert und gleichzeitig war ich auch nicht überrascht. Ich denke, vielen Leuten ist es damals so gegangen, dass wir da ganz viel gehört haben oder ganz viel sichtbar geworden ist, was wir eigentlich wussten, weil wir ja jetzt insbesondere unter vielen Personen ja auch miteinander reden und unsere Erfahrungen teilen. Und wir wissen, dass so gut wie alle, die wir kennen, schon mal Machtmissbrauch oder sexualisierte Übergriffe erlebt haben. Und trotzdem: Wenn das dann in so einer massiven Welle daherkommt und auch in so einer Heftigkeit, also was die Berichte angeht und die krassen Sachen, die Leute erlebt haben, dann ist es trotzdem schockierend am Ende.

FM4: Warum ist eigentlich kein einziger Fall publik geworden, kein einziger Name genannt worden? Warum wurde niemand angezeigt?

Katharina Mückstein: Ich glaube, man sollte die Frage stellen, warum war es vor diesem Sommer so und warum ist es auch immer noch so? Und ich denke, der Grund ist irgendwie immer der gleiche, nämlich dass wir in einer Kultur leben, die so was wie Täter Opfer Umkehr perfektioniert hat. Also wir kennen das ja, wenn eben Frauen oder weiblich gelesene Personen sich zu Wort melden und Gewalt, die sie erfahren haben, anklagen, dass dann sofort alles mögliche getan wird, um sie zu diskreditieren. Also es wird gesagt, sie lügt oder sie denkt sich das nur aus. Sie will sich nur wichtig machen oder so schlimm kann es ja gar nicht gewesen sein, also alles Mögliche, um die Berichte von Betroffenen abzuschwächen. Und das andere ist natürlich, dass aufgrund dieser Kultur wir als Betroffene nie wissen, was unser Sprechen für Konsequenzen haben wird. Und viele von uns haben halt die Erfahrung gemacht, dass wenn wir offen darüber sprechen und anklagen, was uns widerfahren ist, dass es dann schlimmere Konsequenzen für uns als für die Täter oder Verursacher hat. Und das ist leider einfach immer noch so! Also man kann sich einfach nicht sicher sein, dass man Gerechtigkeit erfährt, wenn man über solche Erfahrungen von sexualisierten Übergriffen oder Gewalt spricht.

FM4: Dein Name steht für das Benennen von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in der österreichischen Filmbranche - wie gehst Du heute, ein halbes Jahr später mit dem Thema um? Bekommst Du heute noch Erfahrungsberichte? Was hat das auch für Dich persönlich bedeutet und verändert?

Katharina Mückstein: Also diesen Sommer, irgendwie beginnend Ende Juni. War das wirklich so eine ganz intensive Phase von einigen Wochen, wo mich zuerst diese wirklich hunderten Berichte aus dem ganzen deutschsprachigen Raum erreicht haben und ich mich bemüht habe, allen Leuten irgendwie zu antworten und die Berichte, wo das gewünscht war, anonymisiert zu veröffentlichen. Und dann gab es ein sehr großes mediales Interesse, was ich zu dem Zeitpunkt natürlich toll fand. Das ist dann aber auch abgeflacht und es hat vor allem da geendet, wo Journalisten und Journalistinnen realisiert haben, dass jetzt eben nicht die große Enthüllungswelle folgen wird. Also dass eben zwar Betroffene mit Journalist*innen sprechen, aber dann trotzdem dabei bleiben, dass sie anonym bleiben wollen. Oder dass sie die Namen ihrer Täter nicht nennen können oder wollen. Auch, weil sie Angst vor beruflichen Konsequenzen haben.

Für mich war das erst mal eine sehr anstrengende, aber auch berührende Zeit, weil ich mich irgendwie den betroffenen Personen, die sich mir anvertraut haben, einfach sehr verbunden gefühlt habe und auch gesehen habe, dass das einfach so viele sind und dass es auch eine Art vertrauensvollen Zusammenhalt gibt unter Betroffenen. Irgendwann habe ich dann realisiert, na ja, das hat jetzt schon auch Konsequenzen für mich persönlich. Also es hat mich auf irgendeine Weise auch noch mehr an den Rand der Filmbranche gebracht. Insofern, als dass ich merke, dass Leute mich meiden oder ich natürlich auch sehr stark kritisiert werde und es auch unterschiedlichste Diskreditierungs-Versuche gibt in meine Richtung. Also dass dann halt gesagt wird, ja, ich mache das nur um Aufmerksamkeit zu bekommen oder was weiß ich. Das ist natürlich unangenehm. Auf der anderen Seite denke ich, am Ende lohnt es sich immer, den Mund aufgemacht zu haben.

FM4: Machtmissbrauch aufzubrechen, das ist in jedem System schwierig. Es scheint allerdings, dass es im Kunst und Kulturbereich konkret im Film besonders schwer ist. Warum ist das so?

Katharina Mückstein: Ich denke, da spielen verschiedenste Faktoren zusammen. Einerseits bildet sich da das ab, was überall in unserer Gesellschaft der Fall ist: Sexualisierte Gewalt ist tabuisiert. Sie hat System. Das Verschweigen davon oder das Abdecken davon hat auch System. Was die Filmbranche speziell macht, ist, dass wir so krasse Hierarchien und Abhängigkeiten haben in unserer Arbeit. Also wenn man jetzt nur an den Beruf von Schauspielerinnen denkt, die ja wahrscheinlich am stärksten von Übergriffen betroffen sind, dann muss man sich halt immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass eine Schauspielerin nur dann Jobs bekommt, wenn sie irgendwie auf einer persönlichen Ebene gemocht wird.

Also du gehst zu einem Casting, du musst dich zeigen, du musst zeigen, dass du was kannst. Aber du musst auch irgendwie Like a Boss sein - „schwierig“ zu sein oder eben sich zur Wehr zu setzen, das hat einfach keinen Platz. Und viele Jobs werden einfach über Empfehlungen vergeben. Es ist eben wichtig, dass man ein großes Netzwerk hat. Und ja, letztlich ist die Filmbranche sehr stark männlich, immer noch. Und auf irgendeine Weise gefällig zu sein, das gehört dazu. Und das macht das Sprechen und sich zu Wehr setzen halt wahnsinnig schwierig. Und für diejenigen, die das gemacht haben, gibt es Konsequenzen - und das habe ich eben auch im Juni/Juli mit diesen vielen Berichten immer wieder erfahren - dass sie sich ja sehr wohl gewehrt haben. Also es sind vielleicht nicht an die Öffentlichkeit gegangen, aber zum Beispiel zu direkten Vorgesetzten und haben versucht, sich irgendwie zu schützen und dass es ihnen einfach nicht gelungen ist oder dass es für sie schlimme Konsequenzen hatte, nämlich dass sie dort nie wieder einen Job bekommen haben.

Ein anderer Punkt ist, dass so ein Filmteam sehr starke Arbeits-Hierarchien hat. Die braucht es einfach, damit diese komplexen Abläufe gut funktionieren. Und das ist eine Erfahrung, die ich schon bei meinem ersten Film Job gemacht habe, als ich 19 war. Dass viele Leute dieser Arbeitshierarchie mit einer zwischenmenschlichen Hierarchie verwechseln. Also warum sollte die Praktikantin mit weniger Respekt behandelt werden als der Regisseur? Ich sehe es nicht ein, aber es ist eben normal.

FM4: Der Mythos des männlichen, schwierigen Genies genießt immer noch gewissen Respekt.

Katharina Mückstein: Ja, ich würde das total unterschreiben. In Filmstudios wurde eigentlich oft mit Bewunderung von bestimmten Regisseuren gesprochen. Wie aktiv sind, wie brutal oder despotisch sie sind und wie sie Leute fertigmachen. Und ich habe mir immer gedacht: Okay, fuck, wie soll ich diesen Job als junge Frau jemals machen? Weil ich kann mich gar nicht so benehmen. Also erstens ist es mir kein Anliegen, irgendjemanden fertigzumachen. Und zweitens, wenn ich dasselbe mache wie ein alter Mann, dann wird über mich gesagt, dass ich hysterisch und inkompetent bin. Also diese Art von Verhalten ist ja auch total „ver-geschlechtlicht“. Also es bedeutet was anderes,wenn Männer sich so verhalten, als wenn Frauen sich so verhalten. Und diese Erzählung von männlichem Genie ist total problematisch und setzt sich leider immer noch fort.

FM4: Von Seiten der Politik wurde mit Herbst eine Anlaufstelle namens „Vera“ etabliert (die auch mit der schon existiernden Beratungsstelle We Do zusammenarbeitet) - was wäre Deiner Meinung nach außerdem wichtig?

Katharina Mückstein: Ich denke, die Beratungsstellen sind extrem wichtig. Und das ist ja wirklich eine starke Veränderung in unserer Arbeitswelt, dass man plötzlich sich an eine offizielle Stelle wenden kann, wenn einem Unrecht widerfährt. Ich denke, dass das auf der Seite der Betroffenen sehr viel verändert hat und dass sich auch seit diesem Sommer Einiges verändert hat. Nämlich, dass mehr Menschen sich trauen, zu einer Beratungsstelle zu gehen und nicht nur sich beraten zu lassen, sondern eben auch ihre Fälle dokumentieren zu lassen. Was ja dann wiederum bedeutet, dass diese Übergriffe Einzug in eine Statistik halten und der Druck, eben auch auf Ebene von Institution und Politik etwas zu ändern, dadurch größer wird. Jeder Bericht bei einer Beratungsstelle hat, glaube ich, letztlich auch eine politische Wirkung.

FM4: Was wäre denn deiner Meinung nach so große Hebel, an denen man ansetzen könnte, dass sich auch was strukturell verändert?

Katharina Mückstein: Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir ein System hätten, wo sozusagen von der obersten hierarchischen Ebene - das ist eben Politik und Förder-Institutionen, in unserem Fall aber auch zum Beispiel Sender wie ORF oder Streamer - dass von diesen Ebenen aus irgendwie zero tolerance für Übergriffe und Machtmissbrauch deklariert werden. Und das kann man in Form von Verträgen machen. Das kann man aber auch machen, indem man Schulungen einrichtet, die man besuchen muss, zum Beispiel um Fördergelder zu bekommen. Also man muss diese Auseinandersetzung leider auf irgendeine Art und Weise, glaube ich, auch mit Druck herbeiführen.

FM4: Wie kann man also ein derart „funktionierendes System“ nun wirklich aufbrechen?

Katharina Mückstein: Ich denke, es gibt da so verschiedene Perspektiven auf dieses Thema. Einerseits könnte man sagen, rein aus wirtschaftlichen Gründen sollte man sich damit beschäftigen, wie es um die Arbeitsverhältnisse und die Arbeitssicherheit steht. Weil wie wir ja zum Beispiel aus Hollywood wissen, können solche Fälle, die dann im Nachhinein rauskommen, auch einer Produktion extrem schaden. Also sich abzusichern als Produzent*in, das finde ich eigentlich mal auch eine rein wirtschaftliche Perspektive. Dafür muss man kein Feminist und keine Feministin sein, sondern man kann einfach ein Kapitalist sein und das einfach aus diesem Grund machen. Man kann es aus dem Grund machen, weil es ja beim Filmemachen sehr stark auch um die Frage geht, Inhalte zu schaffen, die für die Gesellschaft, in der wir leben, relevant sind.

Und ich denke, dass diese krassen Ausschlussmechanismen in der Filmbranche dazu führen, dass sehr, sehr viele Leute, deren Stimme gefragt ist, einfach ausgeschlossen bleiben. Ich glaube, es bräuchte von allen Seiten Maßnahmen dafür, dass die Filmbranche ein Ort wird, der nicht so hohe Zugangshürden hat und einladend in alle Richtungen wirkt. Weil, wenn wir noch lang so weitermachen, dass eben mehrheitlich weiße Männer alle Geschichten schreiben und die Inhalte vorgeben und sehr, sehr viele Leute und ihre Ideen ausgeschlossen bleiben, dass das Kino einfach obsolet wird. Also ich finde, das wäre auch ein Grund, warum man sich um Gleichstellung bemühen sollte und da gehört halt der Kampf gegen Übergriffe dazu.

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