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Ein paar Hühner in tiefem Gras zwischen Blumen

Luis Requena | Getty

todor Ovtcharov

Per Autostopp durch Bulgarien

Vor Jahren wollte ich per Autostopp durch Bulgarien fahren. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, hielt schließlich ein Auto. Ein dunkelblauer Opel Kadett, den man sonst nur im Museum finden kann.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Der Fahrer war ein Brite. Ich habe schon Menschen getroffen, bei denen Zähne fehlen, aber dieser hatte nur einen Zahn, der das Fehlen der anderen 31 unterstreichen sollte. Und dieser Brite versteckte das nicht, er lachte die ganze Zeit. Er war einer der fröhlichsten Menschen, den ich je gesehen habe.

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Er lebte in einem von Gott verlassenen Bergdorf mit nur neun Einwohnern. Er war vor einigen Jahren nach Bulgarien übersiedelt und lebte dort nach seinen eigenen Angaben mit seiner britischen Sozialpension wie ein König. Er hatte elf Hühner und zwei Ziegen. Die lebten ganz frei, nicht mal nachts sperrte er sie ein. Er selbst liebte Freiheit über alles, und so sollten auch seine Hühner frei sein. Und, wie wir alle wissen, schmecken Eier von freien Hühnern viel besser. Als Beweis dafür schenkte er mir ein Ei, das er in einem Korb am Rücksitz hatte. Was er sich wohl gedacht hatte, was ich als Anhalter mit einem rohen Ei anfangen würde?

Als der Brite erfuhr, dass ich in Österreich lebe, wurde er emotional. Er erzählte mir, dass er in seiner Jugend in österreichischen Wintertourismusorten Drogen verkauft hatte. Daran hatte er nur gute Erinnerungen. Gute Erinnerungen hatte er auch an das österreichische Gefängnis, in dem er eingesperrt gewesen war. Ein sauberes, ordentliches Gefängnis. Er würde ein österreichisches Gefängnis immer allen andren Gefängnissen vorziehen. Er war nämlich ein Gefängniskenner.

In Spanien seien Gefängnisse zu warm und in Norwegen zu langweilig. Im österreichischen Gefängnis hingegen habe er ausgezeichnete Bekanntschaften geschlossen, die er bis heute noch zu pflegen versuche, und das Essen sei auch super gewesen. Es kam mir so vor, als wollte er mich agitieren, eine Weile im Knast zu verbringen, damit ich wüsste, dass er mich nicht anlügt. Aber ich glaubte ihm alles zur Gänze. Er war der größte Knast-Connaisseur, den ich kenne.

Wir trennten uns als Freunde. Er fuhr weiter zu seinem Bergdorf und ich in Richtung Meer. Ich dachte mir, wie wenig ich mein Geburtsland eigentlich kenne, wo dieser Brite seine neue Heimat gefunden hatte, und wie wenig meine neue Heimat Österreich, wo er im besten Gefängnis der Welt gewesen war. Aber schließlich kann man nicht alles wissen.

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