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Artpop von Lady Gaga

Interscope

Verena Bogner

Justice for „Artpop“: Warum liebt TikTok Lady Gagas „Flop“-Album?

Lady Gagas 2013er-Album „Artpop“ galt lange als eine Spur zu crazy und vor allem als Flop. Heute fordern Fans Gerechtigkeit für das verrückte Werk.

Eine Kolumne von Verena Bogner

Man kann guten Gewissens sagen, dass Lady Gaga mit ihren Alben „The Fame Monster“ und „Born This Way“ Popgeschichte geschrieben hat. Mit Songs wie „Bad Romance“ hat sie ihren Legendenstatus und ihr Standing als Vorreiterin, die keine Angst vor experimentellen und gewagten Statements hat, schon früh im Verlauf ihrer Karriere zementiert. Ihr drittes Album „Artpop“ (2013) konnte an die großen Erfolge der Vorgänger-Alben nicht so ganz anschließen – ein Umstand, den Fans heute nur als weiteren Beweis dafür sehen, dass Gagas Musik und Performance-Kunst im Zuge der Album-Promo ihrer Zeit voraus waren. „Artpop“ ist Gagas ultimativ missverstandenes Werk, für das sich zehn Jahre später immer mehr Fans auf TikTok und Twitter begeistern.

Verena Bogner ist freie Journalistin und Autorin und schreibt gerade an ihrem ersten Buch. Sie liebt Mainstream-Popkultur und findet, es gibt keine Guilty Pleasures.

Werke von Jeff Koons und Marina Abramović bei einem bizarren Release-Konzert, eine Kunstperformance, bei der gekotzt wurde, das erste „fliegende Kleid“ der Welt und ein komplett abgedrehtes Holiday-Special mit den Muppets: Die Welt hatte keinen blassen Schimmer, was Lady Gaga da trieb, und stempelte das Ganze als kreativen Fehlschlag ab, auf dem ihre Liebe zum Camp mit ihr durchgegangen war – und mit dem sie die „Casual Fans“ damals höchstens verschreckte.

Heute würde man das, was wir auf „Artpop“ zu hören bekommen, wahrscheinlich als eine Kombi aus EDM und Hyperpop bezeichnen – ein Subgenre, das unter anderem von Charli XCX bespielt wird und sich immer größerer Beliebtheit erfreut. 2013, also in dem Jahr, als Songs wie Katy Perrys „Roar“ oder Mileys „Wrecking Ball“ charteten, war die Welt dafür aber alles andere als bereit. Und so wurde Lady Gagas gewagter Versuch, ein Avantgarde-Album vorzulegen, schnell als Flop abgestempelt. Mit dem Begriff „Flop“ ist hier natürlich vorsichtig umzugehen: „Artpop“ stieg zum Beispiel auf Platz Eins der US-Billboard-Charts ein, aber konnte eben nicht an den kommerziellen Erfolg seiner Vorgänger anknüpfen. Auch in Österreich erreichte das Album übrigens die Nummer Eins.

Songs wie „Venus“, „G.U.Y.“ oder der Opener „Aura“ sind heute unumstößliche Fan Favourites und der Grund dafür, warum Gagas Fans, auch bekannt als Little Monsters, dafür kämpfen, „Artpop“ endlich die Anerkennung zu verschaffen, die es verdient hat. „Dieses Album zu machen, war wie eine Herz-OP. Ich war verzweifelt, hatte Schmerzen und habe mein Herzblut in elektronische Musik gesteckt, die härter ballerte als jede Droge, die ich finden konnte“, schrieb Lady Gaga 2021 auf Twitter, als sie von einer Fan-Petition Wind bekam, die sich dafür einsetzte, das experimentelle Album wieder in die iTunes-Charts zu pushen.

Und genau das hört man zum Beispiel in Songs wie „Swine“, in denen sie ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen verarbeitet. „Artpop“ hatte aber auch seine kontroversen Momente, die dem Album nicht unbedingt geschmeichelt haben: Der Song „Do What U Want“, auf dem R. Kelly gefeatured wurde, sorgte angesichts der Vorwürfe gegen ihn für Kritik – weshalb der Track letztlich von allen Streaming-Services entfernt wurde.

Kommt endlich „Artpop II“?

Seit zehn Jahren warten Lady Gagas Fans nun auf „Artpop Act II“, ein Sequel aus Tracks, die es nicht aufs Album geschafft haben, und das Gaga selbst (schon 2013) und auch Producer DJ White Shadow angeteasert haben. Die Veröffentlichung neuer „Artpop“-Tracks wäre Gagas ultimativer Redemption Arc – die Fans würden es feiern und der Erfolg wäre vorprogrammiert, die damalige Ablehnung gegenüber „Artpop“ wiedergutgemacht. Und sieht man sich Gagas Alben seit damals an, würde eine Fortsetzung des Albums nur allzu gut in ihr Narrativ passen.

Nach „Artpop“ veröffentlichte sie „Joanne“, ein ruhigeres Album mit vielen Gitarren-Tracks, auf denen sie so ganz ohne Camp auskam, und das eine perfekte Überleitung zu ihrem „A Star is Born“-Soundtrack darstellte. Danach kam „Chromatica“, ein EDM-Album, in dem es laut Gaga um den Start ihrer „Healing Journey“ ging, darum, gemeinsam mit ihren Fans durch all den Schmerz hindurch zu tanzen und ihre Traumata zu verarbeiten, die ihr Privatleben und das in der Öffentlichkeit in ihr ausgelöst hatten. „Chromatica“ war ein Feuerwerk aus „Sad Bangers“, das zu Beginn der Pandemie genau richtig kam. An diesen Sound könnte sie mit „Artpop II“ fast nahtlos anschließen, ihn auf die Spitze treiben.

Das sehen auch die Fans so, die sich auf Social Media für #JusticeForArtpop einsetzen und die Songs lieben, eben weil sie völlig over-the-top daherkommen. Das ist doch eine der größten Stärken von Lady Gaga und ihrer Musik: Sie ist der lebende Beweis dafür, dass es völlig in Ordnung ist, durchgeknallt zu sein, auch wenn die halbe Welt dich als „too much“ wahrnimmt und niemand dich versteht. Dann schmeißt du ihnen eben ein Album vor die Füße, das alles, was sie über dich zu wissen glaubten, erst recht in Frage stellt.

Im Rahmen der Fan-Petition twitterte Gaga 2021 übrigens: „Danke, dass ihr etwas feiert, das sich einst wie eine Zerstörung angefühlt hat. Wir glaubten immer daran, dass es seiner Zeit voraus war. Jahre später stellt sich heraus, dass die Artists es manchmal einfach ahnen. Genauso wie die Little Monsters.“

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