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Blumenbar

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Priya Guns rasantes Debüt

Eine junge, queere, tamilische Frau rackert sich als Fahrerin ab, während draußen die Welt brennt. Priya Guns Debütroman ist politisch, originell, sexy und unvorhersehbar.

Von Melissa Erhardt

Eigentlich hat Damani einen Uni-Abschluss in Anthropologie. Der bringt der 32-jährigen Tamilin aber herzlich wenig: Es ist Krisenzeit, draußen wird gegen alles und jeden demonstriert, und der einzige Job, den sie findet, ist der als Ride-Share-Fahrerin. Die App bestimmt ihren Alltag, wann sie aufsteht und schlafengeht, wann sie Pausen macht und weiterfährt.

Dazu kommt die angespannte Situation zu Hause: Seit Damanis Vater vor einem halben Jahr gestorben ist, liegt ihre Mutter wie benommen auf dem Sofa und betäubt sich mit kitschigen Rom-Coms. Die Mahnungen und Räumungsandrohungen türmen sich am Küchentisch, die Wohnung riecht nach Schimmel, der Strom fällt immer wieder aus. Zeit zum Durchatmen findet Damani nur in den beruhigenden Worten der YouTube-Pseudotherapeutin Dr. Thelma Hermin Hesse. Oder mit ihren Freunden im Doo-Wop, einem besetzten Gebäude, wo tagsüber Angela Davis gelesen wird und abends Bob Marley läuft.

„Dein Taxi ist da“ ist im Blumenbar Verlag erschienen. Ins Deutsche hat den Roman Mayela Gerhardt übersetzt.

Dann trifft sie auf Jolene: Eine junge, weiße Frau, die dienstags Ashtanga-Yoga macht, samstags zum Buchclub geht und deren Wäsche nach frischer Baumwolle riecht. Damani ist hin und weg:

„Jolene war etwas ganz Neues für mich. Sie war ein Mythos, und man hatte uns allen beigebracht, dass sie etwas Heiliges war. Oder zumindest Frauen wie sie. Natürlich glaubte ich nicht an dieses Gerede, aber da war sie, saß in meinem Auto und war verrückt nach mir.“

Kleine Häppchen, große Wirkung

Wir merken schnell: „Dein Taxi ist da“ ist ein politischer Roman. Die Proteste und Straßenblockaden brodeln auffällig im Hintergrund, das Politische schwingt bei Guns auf jeder Seite, in jeder Figur mit. Sie schreibt über die Auswirkungen der prekären Gig-Economy auf marginalisierte Körper, über Klassenunterschiede, performativen Aktivismus und die Bedeutung von Safe Spaces im Real Life, ohne dabei jemals aufdringlich oder too much zu werden. Mit feinen Details zeigt sie, dass das Politische überall steckt: In der romantischen und freundschaftlichen Liebe, im Selbstbild, im Alltag. Das Private, das politisch ist; Frantz Fanon und Audre Lorde werden hier laut.

Priya Guns

Paula Berry

Priya Guns ist in Sri Lanka geboren. Nach Zwischenstopps in Kanada, Libanon und Palästina lebt die Autorin und Schauspielerin heute in London.

Wenn das Politische auf jeder Seite mitschwingt, schwingt Guns Sprachwitz, ihre Eloquenz, ihre Menschenkenntnis in jeder Zeile mit. „Dein Taxi ist da“ ist randvoll mit schwarzem Humor, Seitenhiebe auf die privilegierte Yoga machende und Kombucha trinkende Aktivist*innenszene inklusive.

Und dann wäre da ja noch das queere Abenteuer: Sehnsüchtiges Verlangen zwischen zwei Frauen, mit wenigen Worten zu Papier gebracht. Beides bleibt zum Glück auch in der Übersetzung erhalten: Als Leser*innen müssen wir lachen, nur um im nächsten Moment wieder die Begierde aus den Seiten dampfen zu spüren. Kapitalismuskritik übersetzt in ein queeres Abenteuer, quasi.

Serviert wird das Ganze in Häppchen, kleinen Szenen, meistens nicht länger als ein paar Seiten. Das habe sie für Leute wie sich selbst getan, die eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne haben und es generell eher schwierig finden, mit Büchern zu connecten, erzählt Guns. Das merkt man schnell: Der Roman geht runter wie Butter, der Schreibstil ist erfrischend und leicht.

„Dein Taxi ist da“ ist ein rasanter Roman über Wut, Liebe, Verlangen, Enttäuschung und Verzweiflung, über Solidarität und Gemeinschaft im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Eine Achterbahnfahrt an Emotionen, an der Gott sei Dank nichts aufgezwungen, nichts pathetisch ist. Garantiert jetzt schon eines der spannendsten Debüts des Jahres.

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